Taiga. Sergej Maximow
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Название: Taiga

Автор: Sergej Maximow

Издательство: Автор

Жанр: Контркультура

Серия:

isbn: 9783963114489

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       Meiner Frau Sofja Maximowa gewidmet

       DIE PASSANTIN

       Ich hoffe, dass das Leben mit lebendigem Klang aufhört, plötzlich, ohne Stöhnen und elendes Gejammer.

       Leskow

      Zu Beginn des Frühjahrs wurde ich von der Außenstelle Roptscha in den Norden, an die Petschora geschickt. In Ust-Koshwa teilte mich die dortige Lagerleitung als Feldlaborant einer geologischen Expedition zu.

      Als ich das Labor übernahm und die Analysenberichte durchstöberte, kamen ein paar Seiten aus dem Tagebuch des vertragsbeschäftigten Laboranten Michailow zutage, meines Vorgängers, der bei dem Versuch, einen der Bohrarbeiter zu retten, im Fluss ertrunken war. Die Seiten waren auf den 2. und 3. Februar 1940 datiert. Der Leiter der Expedition erzählte mir, dass Michailow kurz vor seinem Tod irgendwelche Papiere, offenbar ein Tagebuch, verbrannt habe. Zuerst dachte ich, die beiden Seiten vom 2. und 3. Februar seien zufällig übersehen worden, kam dann aber zu dem Schluss, dass Michailow sie bewusst nicht verbrannt hatte: Auf einer Ecke des ersten Blatts stand, mit Bleistift geschrieben, in der Handschrift des umgekommenen Laboranten: »Auf keinen Fall vernichten.« Der Tagebucheintrag für jene zwei Tage lautete folgendermaßen:

      2. Februar

      Der Schneesturm wütet schon den dritten Tag. Unsere winzigen Segeltuchzelte sind unter den gewaltigen Schneewehen kaum noch zu finden. In einem wohnt der Leiter unserer geologischen Expedition, Ingenieur Petrow, im zweiten hat man das kleine Feld­labor eingerichtet, hier sind auch die zwei Gesteinssammler und ich untergebracht. Im dritten wohnen die Arbeiter.

      Es ist Abend. Das Eisenöfchen glüht rot. Laut knistern die Kiefernscheite, und die Glaskolben und -zylinder auf meinem Tisch glänzen trübe. Auf dem Zeltdach hört man den trockenen Schnee rascheln. Die 7-linige Petroleumlampe mit dem zerschlagenen Glas brennt schwach. Das Glas hat der Gesteinssammler Golowin einmal zerschlagen, während einer Alkoholpsychose.

      Ich bin heute Abend allein. Der Expeditionsleiter, die Gesteinssammler und die Arbeiter sind seit drei Tagen unterwegs, um am Berg Ubys Schotterlagerstätten zu erkunden. Sie sollten gestern schon zurück sein, doch offenbar hat der Schneesturm sie aufgehalten.

      Neben dem Arbeiterzelt war der Koch Iwan, ein Mordwine von der Wolga, damit beschäftigt, Holz zu spalten. Bei jedem Axthieb ächzte er und stieß saftige Flüche aus.

      Ich drehte den Lampendocht weiter heraus, setzte mich näher an den glühenden Ofen, ließ die gekreuzten Arme auf die Knie sinken und verfiel in Nachdenken. Hell pfiff der Wind in den Baumzweigen über den Zelten, schlüpfte in das Blechrohr und schlug als schwarzer, teeriger Rauch aus dem Ofen. Durch die Öffnung zwischen der Zeltplane und dem Rohr wehte eine Handvoll Schneeflocken herein, überzog mich als silbriger Staub und verzischte auf dem glühenden Blech des Rohrs.

      Iwan schlug die vollgeschneite Plane am Eingang zurück, betrat mit einem Armvoll Brennholz das Zelt, warf es auf den Boden und klopfte sich den Schnee ab.

      »So ein Wetterchen aber auch, gottverdammich …«

      »Tee aufgesetzt?«, erkundigte ich mich.

      »Hab ich. Kocht gleich«, erwiderte er träge und verließ das Zelt, steckte aber im nächsten Moment den Kopf wieder herein und teilte mir erschrocken mit:

      »Da schreit jemand in der Taiga …«

      Eilig verließ ich hinter ihm das Zelt. Inmitten der weißen Pracht stand wie eine schwarze Mauer der Wald. Zwischen den schnell dahinschwebenden Wolken schimmerte die grüne Mondscheibe und tauchte gleichgültig immer wieder in das struppige Gewölk ein. Der Schneesturm wirbelte. Wir lauschten.

      »U-u-u-u-a-a-ah!«, erklang aus der Taiga ein schwer definier­bares Rufen. Es war eine Frau, die da schrie, und offenbar aus ziemlicher Nähe.

      »A-a-a-ah …!«

      Ich lief schnell zum Zelt, setzte meine Schapka auf, zog mir die Wattejacke über und schob eine kleine Axt hinter meinen Gurt. Iwan zerrte zwei Paar Skier aus einem Schneehaufen, warf mir ein Paar hin, zog die Riemen der Bindung über seine Filzstiefel und meinte stockend:

      »Sie schreit nicht weit von hier … am Fluss.«

      Wir fanden sie etwa dreihundert Meter von unserem Lager entfernt, am Ufer der Koshwa, eines kleinen Zuflusses der kalten Petschora. Sie saß, an einen Baumstamm gelehnt, im Schnee. Ihr Kopf war in ein warmes Tuch gehüllt, unter dem große Augen mit taunassen Wimpern seltsam glänzten. Neben ihr lag ein prall gefüllter Reisesack.

      »Ich bin vom Weg abgekommen …«, sagte sie mit tiefer, etwas heiserer Stimme. »Wer sind Sie?«

      »Geologen, Prospektoren«, erwiderte ich. »Stehen Sie auf, sonst erfrieren Sie noch.«

      Die Frau erhob sich.

      »Meine Skier habe ich unterwegs stehen gelassen. So ein Schneesturm. Ist es weit bis zu euch?«

      »Nein, ganz in der Nähe. Kommen Sie, wärmen Sie sich auf. Woher kommen Sie?«

      Sie druckste, schwieg einen Augenblick, sagte dann leise:

      »Aus Ust-Uchta. Ich bringe die Post, na und bin vom Weg ­abgekommen, bin fast erfroren. Ohne die Skier wird es schwierig …«

      »Sie können meine haben«, bot ich ihr an. »Erst einmal aber müssen Sie trocken werden und abwarten, bis der Schneesturm vorbei ist.«

      In meinem Zelt ließ sie sich kraftlos auf eine Pritsche sinken und streckte die frierenden Hände an den Ofen.

      »Helfen Sie mir bitte beim Ausziehen … Meine Finger sind völlig erstarrt.«

      Ich löste ihr Tuch, nahm ihr die Jacke ab und zog ihr die vereisten, hartgefrorenen Filzstiefel von den kleinen bloßen Füßen. Sie zog die Beine auf die Pritsche, umfing die Knie mit den Armen und begann, das Kinn darauf gestützt, unverwandt ins Feuer zu starren. Das krause schwarze Haar fiel ihr ungeordnet über die Schultern und warf seinen Schatten auf die glatte weiße Stirn. Auf ihren markanten, ein wenig aufgeworfenen Lippen lag ein unbestimmtes Lächeln, und auf den dichten Wimpern über den großen dunklen Augen glänzten Tropfen geschmolzenen Schnees, vielleicht auch Tränen. Die kurzen Ärmel der wollenen Bluse gaben den Blick auf ihre hübschen molligen Arme frei.

      »Wie heißen Sie?«

      »Irina. Und Sie?«

      Ich stellte mich vor und bot ihr ein wenig von unserem Sprit an.

      »Sehr gerne. Mir ist furchtbar kalt.«

      Ich goss ein wenig leicht verdünnten Sprit in ein Messglas. Sie trank es aus, begann zu husten und sich zu schütteln. Wir lachten.

      »Stark?«

      »Ganz schön«, meinte sie und zeigte beim Lächeln ihre blitzenden weißen Zähne.

      In der Nähe des Zelts flog mit lautem Flattern ein Vogel auf. Erschrocken zuckte Irina zusammen und sah mich an.

      »Was war das?«

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