Boat People. Sharon Bala
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Название: Boat People

Автор: Sharon Bala

Издательство: Автор

Жанр: Контркультура

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isbn: 9783963114441

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      Als sie Priyas Etage erreichten, stieg Gigovaz mit ihr aus und steuerte direkt auf Joyces Büro zu. Packen Sie Ihre Sachen, Miss Rajakaran, sagte er. Sie ziehen um in die siebte Etage.

      Kochend vor Wut betrat Priya die Fähre. Sie verwünschte ihre Hautfarbe, sie verwünschte den Augenblick, in dem sie bei der Kanzleisitzung noch einmal zu Gigovaz hinübergeschaut hatte. Als sie Joyce Lau gefragt hatte, warum Gigovaz nicht jemanden haben wollte, der sich im Einwanderungsrecht auskennt, hatte Joyce nur die Achseln gezuckt und geantwortet: Peter will Sie haben. ­Niemand hatte sich zum Praktikum bei Gigovaz eingetragen, und jetzt hatte er Priya auf diese hinterhältige Art und Weise eingefangen.

      Die Motoren sprangen an, der ganze Schiffskörper begann zu vibrieren, rüttelnd und knackend setzte die Fähre sich in Bewegung. Gigovaz legte die Hände ineinander, stützte die Ellenbogen auf den Tisch und dozierte über die Relevanz der Glaubwürdigkeit. Die Wahrheit ist belanglos, sagte er. Entscheidend ist, ob die Kläger den Anschein geben, die Wahrheit zu sagen.

      Er hatte seine Professorenstimme aufgelegt, gelehrt und herablassend. Du bist nicht mein Mentor, dachte Priya.

      Gigovaz sah auf seine Armbanduhr. Wahrscheinlich werden die jetzt gerade von den Einwanderungsbeamten ausgefragt.

      Moment mal. Die werden ohne uns befragt?, wollte Priya wissen. Haben sie kein Recht auf einen Anwalt?

      Es gibt keine Anklage gegen sie, sagte Gigovaz. Technisch gesehen haben sie keinerlei Rechte.

      Über ihnen klapperte eine Heizungsöffnung. Die Fähre zerteilte das Wasser und schob sich nach vorn in ein glattes, graues, vernebeltes Nichts. Touristen an Deck fröstelten in ihren Regenmänteln und schossen unnütze Fotos.

      Vor zehn Jahren sind fünfhundert Flüchtlinge aus China gekommen, fuhr Gigovaz fort. Vier Schiffe innerhalb von zwei Monaten. Meine Klienten vom ersten Schiff waren schnell abgefertigt und ins Land entlassen, mit Krankenversicherung, Wohnzuschlägen, Arbeitsvermittlung, dem ganzen sozialen Willkommenspaket. Ein paar Monate später kamen die Anhörungen vor der Flüchtlingskommission. Die übliche Routine.

      Priya fragte sich, wie schnell dieser Fall hier durchgebracht werden kann. In einem Monat, höchstens. Er erwartete bestimmt nicht von ihr, dass sie bis zum Abschluss des Ganzen für ihn arbeiten wird.

      Gigovaz dozierte immer noch: Aber was, glauben Sie, passierte, als ein Schiff nach dem andern aufgekreuzt ist? Plötzlich waren die Asylsuchenden Kriminelle. In Prince George wurde ein Gefängnis wiedereröffnet, nur um sie erst mal aufzunehmen. Dann kamen die endlosen Haftüberprüfungen und Zulassungsanhörungen. Monat für Monat zog sich das hin. Um alles und jedes mussten wir kämpfen. Übrigens war das in demselben Jahr, in dem wir fünftausend Menschen aus dem Kosovo ausgeflogen haben.

      Das Flüchtlingsgesetz ist also ganz schön launisch, dachte ­Priya. Umso wichtiger wäre es, einen Experten hinzuzuziehen. Dann aber hätte er niemanden, dem er seine Weisheit predigen könnte.

      Dieses eine muss man begreifen, sagte Gigovaz, im Einwanderungsgesetz können die Richtlinien und ihre Ausführung weit auseinanderklaffen. Er löste die Hände aus ihrer Umklammerung und hielt ihr diesen Abstand demonstrativ vor Augen. Wenn es um Flüchtlinge geht, hat unser Land eine gespaltene Persönlichkeit.

      Dreihundert Menschen an Bord eines Schiffes, das rund um die Welt im Kollisionskurs auf Kanada zuschaukelt. Sie wurden gesichtet, sagte Gigovaz. Geheimdienste, Satelliten, Sichtungsberichte aus internationalen Häfen. Wochenlang haben sie allesamt gewartet. Jetzt sind die Leute hier.

      Und was wird aus ihnen?, fragte Priya. Ich meine, werden sie bleiben dürfen?

      Eine Lautsprecheransage wies die Passagiere noch einmal an, ihre mitgeführten Haustiere in den Autos zu lassen. Gigovaz fixierte den Lautsprecher an der Decke, bis die geisterhafte Stimme verstummte.

      Mein allererster Klient war ein Rohingya. Wissen Sie, wer die Rohingya sind?

      Als Priya kopfschüttelnd verneinte, erhob Gigovaz seine Zeigefinger, die wie zwei Kirchtürme nach oben wiesen, und dann brachte er die Spitzen zusammen.

      Das ist eine Minderheit in Myanmar – Muslime in einem buddhistischen Land. Staatenlos und unterdrückt. Ibrahim Mosar. Er hatte keine rechte Hand mehr. Brandflecken von Zigaretten auf der ganzen Brust.

      Priya zuckte zusammen und Gigovaz sagte: Ich war heißblütig und ungehalten wie jeder andere junge Flüchtlingsanwalt, und hier war mein Klient, ruhig und gelassen. Inschallah, Mr. Gigovaz, sagte er immer. So Gott will.

      Que será, será, sagte sie. Vermutlich eine Möglichkeit, sein Schicksal zu akzeptieren.

      Wir tun unser Bestes, sagte Gigovaz. Unsere Klienten tun ihr Bestes. Alles andere liegt an …

      Er hob seine Hände so, als balancierte er eine Servierplatte.

      Allah?, fragte sie.

      Dem Entscheider, sagte Gigovaz. Er griff blind mit einer Hand unter seinen Sitz. Sie näherten sich dem Fährhafen.

      Und was ist aus Ibrahim geworden?, fragte Priya.

      Gigovaz war aufgestanden und hielt seine Aktentasche in der Hand. Der Antrag wurde abgelehnt. Sie haben ihn zurückgeschickt.

      FROH, HIER ZU SEIN

      Die Einwanderungsbeamten verteilten Bananen und Wasser und sammelten Ausweispapiere ein. Mahindan hatte alles in seinem Koffer, in einer versiegelten Plastiktüte – Geburtsurkunden, Personalausweise, Sellians Impfbescheinigung. Er stand im Menschengewirr, hielt Sellian an der Hand und wartete, bis man ihn aufrief. Plötzlich gab es ein wildes Gedränge, Ranga humpelte mit Höchstgeschwindigkeit heran, winkte ihm zu, als wären sie alte Freunde. Als einer der Aufsichtsbeamten seine Papiere anforderte, blickte Ranga hilfesuchend zu Mahindan hinüber, zog dann aber einen zerfledderten Ausweis aus seiner Tasche. Mahindan wandte sich irritiert ab.

      Als er an der Reihe war, übergab Mahindan stolz seine Papiere, wohl wissend, wie sorgfältig er sich auf diesen Moment vorbereitet hatte. Dieses eine hatte er jedenfalls richtig gemacht. Sie nahmen ihm auch den Koffer ab. Als aber Sellian anfing zu weinen, erlaubte ihm der Beamte mit den blauen Augen, die kleine Ganescha-­Figur herauszunehmen, und er klopfte Sellian mit der Hand im lila Handschuh freundlich auf die Schulter. Mahindan starrte traurig auf seinen zerbeulten alten Hartschalenkoffer mit den stabilen Schnappverschlüssen aus Messing und den ärmlichen Schätzen darin – ein Hochzeitsalbum, Chithras Sterbeurkunde, seine Haus- und Garagenschlüssel. Das war alles, was von seinem Hab und Gut übrig geblieben war. Aber er sagte sich, dass er etwas besaß, das viel kostbarer war. Sicherheit. Hier. Hier konnte man atmen.

      Männer und Frauen wurden getrennt und angewiesen, sich in geordneten Reihen aufzustellen. Den Erwachsenen wurden Handschellen und Fußfesseln angelegt. An der Sorgfalt, mit welcher der Sicherheitsbeamte die beiden Enden der Schellen und Fesseln zusammenfügte, um ja nicht in die Haut zu kneifen, erkannte Mahindan, dass der Mann dies ungern tat.

      Nur auf kurze Zeit, versicherte Mahindan seinem Jungen, zu unserer eigenen Sicherheit.

      Es gab nicht genügend Tamil-Dolmetscher, und die Schutzmasken, die die Kanadier trugen, machten es schwer, ihren Gesichtsausdruck zu lesen. Mahindan konzentrierte sich auf die Augen und war überrascht von all den Farben, den Schattierungen von Blau, den grünen Flecken, den unterschiedlich tiefen Brauntönen. СКАЧАТЬ