Jesus war kein Europäer. Kenneth E. Bailey
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Название: Jesus war kein Europäer

Автор: Kenneth E. Bailey

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

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isbn: 9783417228694

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СКАЧАТЬ es Menschen möglich ist, mit Gott zu kommunizieren. Dieser Gedanke stammt aus dem antiken Nahen Osten und spiegelt sich in Moses Worten am brennenden Dornbusch wider (2Mo 3,1-22). Dort spricht Gott mit Mose, der darauf besteht, Gottes Namen zu erfahren. Hinter der Geschichte steht die unausgesprochene Annahme, dass Mose nicht mit Gott kommunizieren kann, wenn er seinen Namen nicht kennt. Gottes Name ist außerdem eine Zusammenfassung seines Wesens. Seine Kenntnis ist ein Bekenntnis: dass Gott personal ist, dass man ihn kennen kann (Mt 28,19), und dass Offenbarung immer ein Akt Gottes ist.

      Hier ist ein kleiner Exkurs angebracht. Wenn eine Aussage im Passiv Gott als eigentlichen Urheber der Handlung hat, spricht man von einem passivus divinus, einem „göttlichen Passiv“. Juden im ersten Jahrhundert achteten streng darauf, Gottes Namen nicht auszusprechen, es sei denn, es war unbedingt notwendig. Sie spürten, dass jeder gedankenlose Gebrauch von Gottes heiligem Namen unabsichtlich einen Verstoß gegen die Zehn Gebote darstellen könnte, in denen es heißt, wir sollen Gottes Namen „nicht zu Nichtigem aussprechen“ (2Mo 20,7). Um dieser Gefahr aus dem Weg zu gehen, entwickelten sie Methoden, von Gott zu sprechen, ohne seinen Namen in den Mund zu nehmen. Als verbindliche Regel wurde der heilige Gottesname (Jahwe) beim Lesen der Heiligen Schrift durch die Worte Adonaj (mein Herr) oder Elohim (Gott) ersetzt. Manchmal erfüllten die Umschreibungen „Engel“ oder auch „der Name“ den gleichen Zweck. Zusätzlich setzten sie eine Aussage oft einfach ins Passiv.

      In den Worten Jesu in den Evangelien finden sich über zweihundert Fälle dieses göttlichen Passivs. Dies zeichnet Jesus in seiner Redeweise als Juden des ersten Jahrhunderts aus. Der Satz im Vaterunser, den wir hier untersuchen, gehört dazu. In der Heiligung seines Namens ist Gott der Handelnde.107

      Dies führt zu der Frage, wie die Heiligkeit Gottes und die Heiligkeit seines Volkes miteinander in Verbindung stehen. Gott offenbart sich – das heißt, seine Heiligkeit – durch große Heilstaten in der Geschichte, und zu dieser Offenbarung gehört auch sein Name. Die Gemeinde sieht zu. Welche Auswirkungen hat dies auf sie – oder sollte es haben?

      Weil Gott heilig ist, muss auch sein Volk heilig sein (5Mo 7,6; 26,18). Als Zeugen seiner Heiligkeit werden sie herausgefordert, in der gleichen Heiligkeit zu leben. Die große Vision Jesajas im Tempel gehört zu den Stellen, die dieses Prinzip am deutlichsten zeigt (Jes 6,1-10).

      Gott heiligt seinen Namen, indem er seine Heiligkeit zeigt. In Jesaja 6,1-5 beschreibt der Prophet seine große Vision von Gottes Heiligkeit im Tempel. An diesem heiligen Ort sieht er „den Herrn sitzen auf hohem und erhabenem Thron“. Über ihm sind Seraphim, die je sechs Flügel besitzen. Diese himmlischen Wesen bedecken ihre Gesichter und Füße und rufen aus (V. 3):

      Heilig, heilig, heilig ist der HERR der Heerscharen!

      Die ganze Erde ist erfüllt mit seiner Herrlichkeit!

      Jesaja spürt sofort, dass er ein Mensch unreiner Lippen ist und mitten unter einem Volk unreiner Lippen wohnt – ein Bewusstsein, das durch seine Nähe zur Heiligkeit Gottes geweckt wird. Klar sieht er den Gegensatz zwischen seinem eigenen Leben beziehungsweise dem Leben seines Volkes und Gottes Heiligkeit. Seine Reaktion:

      Wehe mir, denn ich bin verloren.

      Denn ein Mann mit unreinen Lippen bin ich,

      und mitten in einem Volk mit unreinen Lippen wohne ich.

      Denn meine Augen haben den König,

      den HERRN der Heerscharen, gesehen.

      Jesaja 6,5

      Jesaja bringt daraufhin kein Opfer, durch das er sich reinigen und den Weg zum heiligen Gott eröffnen könnte. Vielmehr schickt Gott, als Jesaja über seine Unreinheit klagt, einen Engel, der eine brennende Kohle vom Opferaltar nimmt, um Jesajas Lippen zu reinigen. Dann fragt Gott: „Wen soll ich senden, und wer wird für uns gehen?“ Und Jesaja antwortet: „Hier bin ich, sende mich!“ Dieser Text zeigt eine wichtige Reihenfolge auf:

      1. Jesaja sieht, wie Gott seine Heiligkeit zeigt.

      2. Jesaja, der sich plötzlich seines Mangels an Heiligkeit bewusst ist, bekennt seine Unreinheit.

      3. Gott schickt einen Engel, der ihn mit Feuer vom Opferaltar reinigt.

      4. Nachdem Jesaja gereinigt ist, fordert Gott ihn mit der Frage heraus: „Wen soll ich senden?“

      5. Der gereinigte Prophet antwortet: „Hier bin ich, sende mich!“

      Im Vaterunser bittet der Glaubende mit den Worten „Dein Name werde geheiligt“ um eine Demonstration der Heiligkeit Gottes. Das heißt, der Beter meint: „Möge Gott erneut seine Heiligkeit zeigen.“ Das wiederum bringt die Bereitschaft zum Ausdruck, sich auf Jesajas dramatische Erfahrung einzulassen.

      Doch wie bei Hesekiel zu lesen war, sehen wir auch die Größe von Gottes mächtigem, rettendem Handeln in der Geschichte als Ausdruck seiner Heiligkeit. Jesaja, alleine im Tempel, erhält gleichzeitig eine Vision dieser Heiligkeit. Sowohl Jesajas individuelle Erfahrung als auch die weitreichenden Aussagen Hesekiels stehen hinter dem Vaterunser.

      Damit stellt sich die Frage nach dem scheinbar scharfen Gegensatz, der in den ersten beiden Anfangssätzen des Vaterunsers liegt. Im ersten Satz stellt Jesus Gott als liebenden Vater vor. Andererseits ist Gott heilig, und diese Heiligkeit verlangt Reinheit, sprich: Gerechtigkeit. Angesichts dieser Heiligkeit spüren wir unsere eigene Unreinheit, so wie Israels Sünde Gottes Heiligkeit entehrte.

      Wie lassen sich Liebe und Heiligkeit miteinander vereinbaren? Erstere zieht uns zu Gott, während Letztere uns – wie Jesaja – dazu bringt, uns zurückzuziehen.

      Wie kann Gott im Umgang mit Sündern gleichzeitig Liebe und Heiligkeit sein? Liebe, die gern vergeben möchte, und Heiligkeit, die ein Maß an Gerechtigkeit verlangt, ohne dass zwangsläufig Gericht eintritt? Die Geschichte des Propheten Hosea hilft uns, die Spannung zwischen diesen beiden Aspekten von Gottes Wesen zu klären.

      Gott trägt Hosea auf, eine Frau namens Gomer zu heiraten, die offenbar unmoralisch lebte (Hos 1,2). Hosea heiratet sie und drei Kinder werden geboren. Doch Hosea entdeckt, dass er nicht der Vater der letzten beiden Kinder ist. Kurz darauf verlässt Gomer ihn und wird Prostituierte, vermutlich im Baalstempel. Bald ist sie für den Baalskult nicht mehr zu gebrauchen und Hosea findet sie, als sie verkauft werden soll. Seltsamerweise kauft er sie zurück und nimmt sie mit zu sich nach Hause.

      Um seinen Bund mit ihr zu erneuern, erkennt Hosea, dass in ihrer Beziehung die großen Prinzipien von Gerechtigkeit und Recht herrschen müssen. Gomers Verhalten der Vergangenheit kann und darf sich nicht wiederholen. Doch das Recht verlangt, dass sie für ihre sexuellen Vergehen zu Tode gesteinigt werden muss. Andererseits möchte Hosea mit ihr in einer Beziehung voller Liebe und Erbarmen leben, in der die Vergangenheit vergessen ist und ein neues Leben begonnen hat. Hosea sagt Gomer gegenüber, was sie beide benötigen:

      Und ich will dich mir verloben in Ewigkeit,

      und ich will dich mir verloben in Gerechtigkeit und in Recht

      und in Gnade und in Erbarmen […]

      Hosea 2,21 (Hervorhebung von mir)

      Wie können angesichts dessen, was Gomer getan hat, beide Seiten dieser Gleichung aufgelöst werden? Soll Hosea Gerechtigkeit und Recht in den Vordergrund stellen oder Liebe und Erbarmen? Hosea erzählt seine persönliche Geschichte, weil er in ihr ein Bild für die Beziehung СКАЧАТЬ