Название: Telefónica
Автор: Ilsa Barea-Kulcsar
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783990650219
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Hier muß man eine Taschenlampe haben. Diese Stiege gefällt mir nicht. Revolver – nein, Unsinn, keine Heldenromantik.
Die Telefónica war leer und still. Die Maschinengeräusche zerstörten diese Stille nicht, sie liefen vielmehr neben ihr her und machten sie noch drückender. Der Ventilator summte, man konnte dem Ton nicht entrinnen. Ein Fahrstuhl setzte sich in Bewegung, das surrte durch die hohen Schächte. Anita drehte sich um und ging blind tastend die Stufen abwärts, zurück in den fünften Stock. Als sie dort die halbdunkle Halle betrat, war sie erleichtert. Das war ihr Stockwerk und hier waren Menschen: eine alte Frau auf einem kleinen Schemel in der Ecke – schwarzes Kleid, weißes Haar, geduldige Müdigkeit, schläfriges Lachen, wie eine Theatergarderobiere. Wo ist nun wirklich die Toilette? Wie heißt Toilette auf Spanisch, oder meinetwegen Abort?
Als sie zögernd dort stand, kamen einige Telephonistinnen aus dem Korridor, in schwarzen Kitteln, die Telephonhörer noch auf dem Scheitel. Sie schritten plaudernd an Anita vorbei, sie unverhohlen musternd. Schichtwechsel: sie gingen sich waschen. Anita ging ihnen nach. Dabei entdeckte sie, daß die alte Frau tatsächlich so etwas wie eine Toilettenfrau war (blödsinnig kompliziert sind solche wichtigen Kleinigkeiten in einem fremden Land mit fremder Sprache!), und fand sich in einem weißgekachelten Waschraum.
Im Waschraum packte sie langsam, um ihre Nervosität zu überwinden, Handtuch, Kamm und Puderdose aus, unter dem Kreuzfeuer dreister unfreundlicher Augen. Alle Frauen im Raum musterten die Fremde. Die Telephonistinnen hatten die schwarzen Kittel abgelegt und aus den Stahlschränken des Nebensaales ihre Toilettensachen geholt. Eigentlich gingen sie nun alle schlafen, aber sie schminkten sich vorher. Im Spiegel beobachteten sie Anita.
Anita versuchte ehrlich, eine von ihnen nett und sympathisch zu finden, aber es gelang ihr nicht. Sie war sich der Tatsache bewußt, daß sie diesen Spanierinnen wie ein fremdartiges Tier vorkam. Aber das wußte sie doch nicht, wie reizlos sie ihnen erschien. Und sie hatte keine Ahnung von der Besorgnis, mit der sie die Jüngeren betrachteten, um herauszufinden, ob diese Ausländerin nicht am Ende doch unbekannte und gefährliche Waffen besäße; denn die Männer laufen ja manchmal merkwürdigen fremden Dingen nach.
Anita ihrerseits hätte gern den Spanierinnen, deren Augen sie im Spiegel begegnete, erklärt, daß sie bei ihren Männern (bei Männern, denen diese Frauen gefielen) weder Chancen hatte noch Chancen haben wollte. Sie las die Abneigung überdeutlich in diesen Blicken. Das war eine geschlossene Front gegen sie.
Vergebens suchte sie eine kleine Genossin unter all den harten Gesichtern. Sie hatte bei keiner ein wärmeres menschliches Gefühl. Sie schienen ihr so gleichartig. Fast alle hatten regelmäßige, einige hübsche Züge. Alle hatten die gleiche Haarpracht: viele kleine unnatürlich steife Locken im Nacken, glatter Scheitel, die Ohren frei, sehr gute Kopfform. Alle hatten schöne, große Kuhaugen. Alle waren dunkelbraun, und ihre Haare klebten aneinander wie geleimt. Zwei ältliche Frauen hatten saure, böse Gesichter, aber der gleiche harte Zug zeigte sich schon bei den jungen. Ein ganz junges Mädchen war sehr hübsch, aber sie hatte sich einen lächerlichen Herzmund geschminkt, und man vergaß ihr Gesicht, sobald man es nicht mehr sah.
Ich bin doch um Gottes willen nicht ungerecht, weil Frauen hübscher sind als ich? dachte Anita. So bin ich doch eigentlich nicht. Aber die da gefallen mir ganz einfach nicht, sie sind ganz ohne Nuancen und haben grobe Stimmen und steife Körper mit angelernten Reizbewegungen. Anita überließ sich einer primitiven Abneigung, vermischt mit Enttäuschung über die ungewohnte Antipathie, die sie selbst hier erregte.
Dann kam eine herein, die etwas anders war: sie bewegte sich sehr gut, wenn auch pfauenhaft bewußt, hatte ein blasses, übermäßig geschminktes Gesicht mit groben, unruhigen Zügen, flackernden und fordernden Augen, einem unzufriedenen, vollippigen Mund. Nicht uninteressant, nicht unintelligent, aber ein Luder, schätzte Anita.
Paquita streifte die Fremde mit einem langsamen Blick, schaute noch einmal rasch in die ruhigen grauen Augen (nicht so ganz außer Konkurrenz, wie man zuerst glauben möchte, dachte sie) und begann dann das Ritual des Schminkens und Brauenzupfens. Die Haare mit dem nassen Kamm in die exakten Locken und Ringel zu legen, dauerte einige Minuten. Sie wußte zwar im Grunde genau, daß sie heute in ihrem täglichen Gefecht mit Agustín verloren hatte, aber sie konnte ihm doch zufällig auf dem Korridor begegnen. Oder bei einem Alarm. Immer mußte sie auf der Hut sein, das machte sie müde und ärgerlich.
Diese Ausländerin, war das die Neue in der Zensur? Dann würde sie sicher mit Agustín zu tun haben. Aber sie war zuwenig Frau für ihn – wahrscheinlich. Sie hatte blasse Lippen, sie trug die Haare achtlos nach hinten gekämmt wie die dummen, kleinen Mädchen in den revolutionären Jugendorganisationen, die so etwas kommunistisch finden, und wie die alten Jungfern mit geistigen Interessen. Da fuhr nun die Ausländerin zweimal mit dem trockenen Kamm durch ihre dicken, knisternden Haare (wie trocken sie sein mußten – ungeschickt war doch diese Frau!), puderte sich die Nase, putzte sich die Nägel (keine Maniküre) – und das war alles. Soldatenmantel und Aktentasche – aber gescheit und energisch sieht sie aus –, na, sie wird schon wieder gehen, sie wird sich hier lächerlich machen, dachte Paquita, und schritt mit einem schrägen Blick an Anita vorbei in den Schlafsaal der Mädchen vom Nachtdienst. Dort sagte sie:
»Habt ihr gesehen, wie die Ausländerin geht? Als ob sie keine Hüften hätte. Und dabei ist sie dick und plump, und alt. Na …«
Als Anita im achten Stock den Vorraum der Kommandantur betrat – sie war mit dem Lift hinaufgefahren, um die Treppen zu vermeiden –, sagte ihr die Ordonnanz etwas Unverständliches, in dem sie nur das Wort Comandante auffing. Sie versuchte, ihr Anliegen auf Spanisch zu erklären: »Ja, der Comandante sagt, ich kommen, jetzt.«
»No, no, no«, antwortete Pepe und begann von neuem eine lange Rede, diesmal langsamer und mit vielen dramatischen Gesten. Anita begann zu verstehen, daß eine Frau – »Doña Pepa« – beim Comandante sei und sie hier warten solle. Ihr fiel das »Doña« und die Grimasse des Alten umso mehr auf, als er sie, Anita, dazwischen freundlich angrinste und mit »Camarada« ansprach. Sie setzte sich also und lächelte den alten Pepe so herzlich und unbefangen an, daß er in sich beschloß: die ist sympathisch und eine gute Frau. Wie kann ich sie unterhalten, während dieses Frauenzimmer, die Pepita, beim Agustín ist und ihm die Hölle heiß macht?
Ihm fiel das Granatloch im achten Stock ein; vielleicht hatte sie so was noch nicht gesehen. Er stand auf, sprach ein paar Worte sehr laut, wie zu einer Schwerhörigen, winkte, lachte, nahm schließlich Anita bei der Hand. Sie lachte auch, verstand das Wort »Obús«, Granate, vom Französischen her und überließ sich der Führung dieses ersten freundlichen Spaniers, den ihr der heutige Tag gebracht hatte. Sie vergaß dabei ihre Verstimmung darüber, daß sie nicht gleich mit Sánchez sprechen konnte und daß in seinem Zimmer wieder eine dieser Spanierinnen ihr ein böses Gesicht zeigen würde. Eine Frau bei diesem strengen Mann – schade.
Pepe führte Anita in ein dunkles Zimmer, mit zerbrochenen Scheiben, feucht und kalt. Wieder nahm er ihre Hand, legte sie auf die Stelle, wo der Fensterrahmen und die Ziegelmauer zerrissen waren, knipste für einen Augenblick lang mit größter Vorsicht, dicht über dem Boden, seine Taschenlampe an, um ihr die Ziegelbrocken und Sprengstücke zu zeigen. »Heute abend«, sagte er. Sie verstand ihn, sie hatte ja die Meldung gelesen, hob ein Stück Stahl auf und fuhr mit dem Finger über die Zacken.
»Nicht Menschen«, sagte sie im Ton der Feststellung »keine Toten, gut.« Pepe war sehr zufrieden. Die Frau da zeigte ein vernünftiges, sachliches Interesse, ohne Übertreibung. Nachdem sie mit sorgfältiger СКАЧАТЬ