Imperium USA. Daniele Ganser
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      Doch der militärisch-industrielle Komplex wollte auch nach dem Ende des Kalten Krieges keine Budgetkürzung, und die USA traten sogar noch aggressiver auf. »In der Dekade nach dem Fall der Berliner Mauer … haben die USA ihre militärische Macht nicht nur dafür eingesetzt, um auf Krisen zu reagieren«, so der US-Historiker Andrew Bacevich. »Das Militär wurde eingesetzt, um vorzubeugen, einzuschüchtern … und zu kontrollieren. Und zwar routinemäßig und andauernd. Im Zeitalter der Globalisierung hat sich das Verteidigungsministerium endgültig in ein Ministerium der Machtprojektion verwandelt.« Das Pentagon wurde zum Angriffsministerium. Das Ziel der USA, so erkannte Bacevich, bestehe darin, »ein militäsich, politisch, ökonomisch und kulturelles Imperium von globaler Reichweite zu errichten.«20

      Es ist wenig bekannt, dass die Pentagon-Buchhaltung mitunter äußerst undurchsichtig ist, was auf Korruption hinweist. Am 10. September 2001 erklärte US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld in einer bemerkenswerten Rede im Pentagon, dass die Bürokratie im Verteidigungsministerium zu groß sei, und dass zu viel Geld verschwendet werde. »In diesem Gebäude verschwindet das Geld in Aufgaben, die doppelt ausgeführt werden, und einer aufgeblähten Bürokratie«, kritisierte Rumsfeld. Das Verteidigungsministerium habe 660000 zivile Angestellte und 1,4 Millionen Soldaten im Aktivdienst, dazu noch eine Million Milizsoldaten in der Nationalgarde. Jeder Dollar, der in der Bürokratie verschwinde, fehle den Soldaten an der Front, klagte Rumsfeld. Einsparungen von 18 Milliarden pro Jahr seien durchaus möglich, aber das Umsetzen eines Sparprogramms sei schwierig. »Eine Institution, die mit Billionen von Dollars über die lange Zeit von mehreren Dekaden aufgebaut wurde, lässt sich nicht im Handumdrehen verändern«, mahnte Rumsfeld. »Einige sagen, das sei, wie wenn man ein Kriegsschiff wendet. Ich glaube, es ist noch schwieriger.«21

      In einem Bericht der BBC über die Rede von Rumsfeld steht der erstaunliche Satz, dass »Transaktionen im Umfang von 2,3 Billionen Dollar nicht nachverfolgt werden können«. Das ist eine sehr große Summe und hätte weltweit für Schlagzeilen sorgen müssen. Wer sich die Rumsfeld-Rede im Internet anhört, stellt fest, dass Rumsfeld auf Englisch von unauffindbaren »2,3 Trillions« sprach. Das sind im Deutschen 2,3 Billionen oder 2300 Milliarden Dollar, was dem mehrfachen Jahresbudget des Pentagons entspricht. Rumsfeld meinte vermutlich nicht, dass sich dieses Geld in Luft aufgelöst hatte, aber dass gemäß einer internen Buchprüfung im Pentagon viele Transaktionen nicht den Standards einer sauberen Buchhaltung genügen. Rumsfeld klagte: »Wir können in diesem Gebäude nicht einmal Informationen zwischen den Stockwerken austauschen, weil die Informationen auf dutzenden verschiedenen technischen Systemen gespeichert sind, die untereinander nicht kompatibel sind. Wir haben etwa 20 Prozent zu viel Infrastruktur für das, was wir brauchen, um unsere Streitkräfte zu unterstützen, was den Steuerzahler etwa drei bis vier Milliarden Dollar pro Jahr kostet.«22

      Am Tag nach der Rumsfeld-Rede ereigneten sich die Terroranschläge vom 11. September. Von Budgetkürzungen war plötzlich keine Rede mehr. Auch wurde nie geklärt, was mit den 2300 Milliarden geschehen war. Vielmehr wurden die Militärausgaben mit der neuen Begründung »Terrorbekämpfung« weiter erhöht. 2001, im Jahr der Terroranschläge, betrugen die Militärausgaben 316 Milliarden Dollar. Im Jahr 2002 kletterten sie auf 345 Milliarden Dollar. Im Jahr 2003, als die USA den Irak angriffen, überstieg das Pentagon-Budget erstmals die Marke von 400 Milliarden Dollar. 2005 schließlich lagen die Militärausgaben bei 478 Milliarden Dollar. Jedes Jahr kamen einige Milliarden dazu. Die Begründung lautete stets: Krieg gegen den Terror. Im Jahr 2006 lagen die Ausgaben schon bei 534 Milliarden, und im Jahr 2007 wurde erstmals die magische Marke von 600 Milliarden Dollar erreicht. In den sechs Jahren nach 9/11 hatte sich das Pentagon-Budget verdoppelt. Für den militärisch-industriellen Komplex war 9/11 ein Glücksfall.23

      Es ist interessant, genauer hinzuschauen, für was das US-Imperium im Jahr 2015 die große Summe von 600 Milliarden Dollar ausgab. Für den sogenannten »Krieg gegen den Terror« im Irak, in Syrien und Afghanistan wurden 64 Milliarden Dollar oder rund zehn Prozent des Jahresbudgets ausgegeben. Gleich viel wurde in Forschung und Entwicklung investiert. Für fast 100 Milliarden wurden neue Waffensysteme für die Luftwaffe gekauft, darunter 38 neue Kampfjets des Typs F-35 von der Firma Lockheed Martin, 86 Black-Hawk-Helikopter von der Firma Sikorsky und 9 Jagdflugzeuge des Typs P-8 Poseidon von der Firma Boeing, welche für die Jagd auf U-Boote eingesetzt werden können. Eingekauft wurden auch zwei nuklear getriebene Angriffs-U-Boote der Virginia-Klasse für 6 Milliarden Dollar. Sowie neue Raketen, Abwehrsysteme und Munition im Wert von 17 Milliarden Dollar. Knapp 6 Milliarden wurden für Informations- und Überwachungssysteme ausgegeben. In Satelliten und andere Weltraumsysteme wurden gut 7 Milliarden investiert. Für die Bezahlung und den Unterhalt des militärischen Personals schlugen 135 Milliarden zu Buche. Und den großen Betrag von 195 Milliarden Dollar verbuchten die Pentagon-Bürokraten für Betrieb und Instandhaltung.24

      Die Friedensbewegung weiß, dass man mit 600 Milliarden Dollar pro Jahr viel Gutes bewirken könnte. Statt in Krieg und Waffen könnte das Geld in Bildung und Aufklärung über Kriegsursachen fließen, oder in den Ausbau der erneuerbaren Energien, oder in Projekte, um das Plastik aus den Meeren zu holen, oder zur Linderung des Hungers in armen Ländern, oder in alternative Medien, die Kriegslügen aufdecken, oder in die Bewältigung von Angst und Trauma, oder in Achtsamkeits-Seminare. All diese Investitionen würden den Frieden und eine intakte Umwelt stärken und wären ein wertvoller Beitrag für eine enkelgerechte Welt. Gerade für junge Menschen ist es eine Gewissensnot zu sehen, dass tausende Menschen täglich an Hunger sterben, obgleich dieser »mit einem kleinen Teil der Mittel behoben werden könnte, die für immer noch mehr militärische Aufwendungen in Anspruch genommen werden«, so der frühere deutsche Bundeskanzler Willy Brandt; dies sei »organisierter Wahnsinn«.25

      Aber das Geld fließt noch immer in die falsche Richtung. Immer wieder erhalten dieselben Rüstungskonzerne den Zuschlag, obwohl sie die Waffensysteme selten zum abgemachten Zeitpunkt liefern, und auch nicht zu den Kosten und dem Leistungsumfang, der versprochen wurde. Auch Präsident Donald Trump erhöhte die Militärausgaben. Gemäß dem Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI lagen die US-Militärausgaben im Jahr 2018 bei 649 Milliarden Dollar. Die USA gaben mehr Geld fürs Militär aus als die nächsten acht Länder auf der Top-Ten-Liste zusammen. Auf Platz zwei folgte China mit 250 Milliarden Dollar. Danach Saudi-Arabien mit 68 Milliarden Dollar, gefolgt von Indien mit 67 Milliarden Dollar und Frankreich mit 64 Milliarden Dollar. Russland auf Platz sechs gab im selben Jahr 61 Millilarden und damit nur gut ein Zehntel so viel aus wie die USA. Auf den weiteren Plätzen folgten Großbritannien und Deutschland mit je 50 Milliarden Dollar pro Jahr. Derzeit wird Deutschland von den USA bedrängt, die Militärausgaben in den kommenden Jahren auf 80 Milliarden pro Jahr zu erhöhen, was die Steuerzahler enorm belasten würde.26

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      Grafik 2: Die zehn Länder mit den weltweit höchsten Militärausgaben (2018).

      Eine Trendwende ist nicht in Sicht. Präsident Donald Trump erhöhte das Pentagon-Budget für das Jahr 2019 erstmals auf 716 Milliarden Dollar. Dies entspricht fast 2 Milliarden Dollar pro Tag. »Wie der Himmel, die Erde und das Meer ist der Weltraum zum Schlachtfeld geworden«, erklärte Trump bei der Unterzeichnung des Budgets auf einer Militärbasis im Bundesstaat New York. Um die Vorherrschaft im Weltraum für die USA zu sichern, seien entsprechend hohe Militärausgaben notwendig. Das Pentagon und der militärisch-industrielle Komplex waren begeistert. Als Trump am 17. Januar 2019 im Pentagon weitere Rüstungsausgaben versprach, erhielt er tosenden Applaus. »Sie machen das nur, weil ich Ihnen das größte und umfassendste Militärbudget in unserer ganzen Geschichte gegeben habe«, erwiderte Trump, als er sich für den Applaus der Militärs bedankte.27 Im Dezember 2019 stimmte sowohl die Mehrheit der Demokraten wie auch der Republikaner im Senat und im Repräsentantenhaus einer nochmaligen Erhöhung der Militärausgaben auf 738 Millarden Dollar für das Jahr 2020 zu. Nie zuvor in ihrer Geschichte haben die USA mehr Geld für Krieg und Rüstung ausgegeben.

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