Название: Lebensbilder
Автор: Оноре де Бальзак
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783955014735
isbn:
Überdies sind die Anwohner auf der großen Kommerzialstraße nach Hamburg nicht mehr im Stande der Unschuld und ihre Blicke in realen Dingen schärfer als die des unglücklichen Dichters. Noch was die Besorgnisse seiner Freunde um vieles steigerte, trug er einen kostbaren Ring, den er mit einer Art abergläubischer Scheu nie vom Finger ließ. Auch beim Ausgehen aus Berlin war er nicht zu bewegen, ihn einzustecken, und der flimmernde Edelstein vertrug sich schlecht mit den baumwollenen Zwickelhandschuhen, dem Knotenstock und dem groben Rocke ...
Er hat keine Mitteilungen eingesandt, er hat keinem seiner zahlreichen Freunde hier geschrieben, aus Hamburg verlautet nichts von seiner Ankunft, er ist fast seit einem Jahre verschwunden und der betrübtesten Vermutung ein weites Feld eröffnet. Der Weg, den seine Phantasie ihn vielleicht gedrungen, einzuschlagen, ist nicht bekannt; aber selbst auf dem bekanntesten weiß, wer die Hamburger Tour gemacht, welche Gefahren in den ausgefahrenen Hohlwegen jenseits der preußischen Grenze, in der Nähe von Britzenburg oder in den Marschländern der Elbe, dem verspäteten Reisenden drohen.
Müssen wir den Verschollenen als einen Verlorenen betrachten, so ging in ihm eines unserer originellsten Talente viel zu früh unter. Schiff kann kaum das dreißigste Jahr erreicht haben. Aber selten hat ein Dichter so entschiedenes Unglück. Ich rechne nicht dahin, daß er, in großer Wohlhabenheit erzogen, durch einen Vermögensumschlag in seiner Familie plötzlich arm wurde, denn sein Sinn war über diese Unglücksfälle hinaus. Echter Dichter aus der Zeit, wo es noch kein Bewußtsein und keine Spekulation gab, gingen seine Sorgen nicht über den Augenblick hinaus. Er jubelte, wenn er etwas hatte, und darbte, wenn er nichts hatte. In dieser Kunst, zu darben und dabei liebenswürdig und heiter zu bleiben, suchte er seinesgleichen. Aber sein Unglück war die merkwürdige Nichtanerkennung, die seine Dichtungen gefunden. Wenn das Schicksal lang ungerecht war gegen echtes Talent, irgendwie und wo kommt die Anerkennung! Und unsere Zeit, in allem rascher als die vorigen Jahrhunderte, holt gewöhnlich noch den Lebendigen ein, um ihm Balsam auf die Wunden zu träufeln und einen bescheidenen Kranz auf den kahl gewordenen Scheitel zu drücken. Schiff war wohl schon zehn Jahre öffentlich aufgetreten, aber noch hatte weder das Publikum noch die Kritik die Notiz von ihm genommen, auf die sein Talent Anspruch hat. Von seinem ersten Buch, einer Studentenhumoreske, die in ihrem Kreis gefallen hat, »Pumpauf und Pumprich«, wurde ihm sogar die Autorschaft abgestritten. Er selbst sprach nicht gerne davon, als einem Produkte jugendlichen Übermuts. Sie hat, wenn auch in barocker Manier, ihre Verdienste, doch bleibe sie immerhin vergessen. Eben desgleichen bleibt der Ruhm, den seine dramatischen Arbeiten in Anspruch nehmen, zweifelhaft. Seine »Agnes Bernauerin« bekundet freilich die ganze dichterische Innigkeit, den Naturhauch und Naturdunst der Empfindungen, in dem Schiffs Poesie ihren Kulminationspunkt hat, aber als Drama ist das Ganze allzusehr subjektiver Guß, der der Gestaltung entbehrt. ...
Seine Märchen und Novellen gehören dagegen zu den sinnreichsten Phantasien und ausgebildetsten der neueren Zeit. Das Märchen »Alban und Alba«, die schauervolle Erzählung »Varinka«, die psychologisch humoristischen Novellen »Zwei Fliegen mit einer Klappe« und »Der Häßliche« und andere würden dem Verfasser einen Ehrenplatz in der Literatur sichern, wenn sein Unglücksstern nicht gewollt, daß sie in den Zeltungsblättern übersehen und, in Sammlungen erschienen, nicht beachtet wurden. An Tiefe der psychologischen Auffassung, an Schmelz in den lyrischen Partien wetteifern sie mit Tiecks Novellen und würden mehreren darunter wenig nachgeben, wenn Schiff Tiecks Weltblick besäße. Er kann aber nur kleine Segmente aus dem Globus herausschneiden, für das Umher ist er blind.
Am sichtbarsten war dieser Unglücksstern bei seiner Übersetzung der »peau de chagrin« von Balzac. Unter dem sinnvoll umgearbeiteten Titel »Elendshaut« [* Ein Flüchtigkeitsfehler von Alexis. Schiff schrieb »Elendsfell«] lieferte Schiff nicht eine Übersetzung, sondern eine der geistvollsten Parodien der Balzacschen Schrift. Kaum eine Seite in Schiffs Arbeit ist Eigentum des Franzosen. Die Charaktere der Fabel, den Dialog umschmelzend, bemühte er sich, die verkehrten Richtungen der französischen Romantik zu persiflieren, und glaubte nicht anders, als daß jeder Leser dies auf den ersten Blick sehen und anfangs sich verwundern, dann den Schalk erkennen würde. Denn so gegen sein eigenes Fleisch wüten kann kein Franzose. Schiff erwartete Ruhm und Ehre bei der Entdeckung. Aber sein Plan war zu fein angelegt für das Publikum. Man las die »Elendshaut« mit Vergnügen und gab sich nicht Mühe, darüber nachzudenken. In den gedruckten Kritiken wurde Schiffs Arbeit als eine recht gelungene, treue Übersetzung gerühmt! Das war selbst für seine Lebensphilosophie zuviel.
Daniel Schiffs Persönlichkeit war eine der merkwürdigsten und hat nicht wenig dazu beigetragen, dem Sukzeß des Schriftstellers zu schaden. Sein Wesen, sein Benehmen streifte über das Kindliche hinaus. Wer, ohne ihn zu kennen, den unsteten, zerstreuten Menschen sah und dabei Fragen hörte, die man gewöhnlich schon in Tertia abgetan hat, dachte an alles andere eher als an einen geistvollen Schriftsteller. Seine Zerstreutheit überschritt alles Maß. Unbeholfen in den Verhältnissen des Lebens, ging er oft mit einer Naivität auf sein Ziel los, welche heut zu den Wundern gehört ...
Obgleich er in der Unterhaltung vom Hundertsten auf das Tausendste übersprang und durch Kreuzfragen die Sprechenden aus der Fassung brachte, wurde er doch plötzlich zum begeisterten Redner, wenn die Unterhaltung eine Ader traf, wo er zu Hause war. ...
Ein Widerwille gegen alles Sentimentale war nicht Produkt seiner ästhetischen Anschauungsweise, sondern trug einen idiosynkratischen Charakter, der selbst belustigen konnte. Er wurde unruhig, seine Zerstreutheit nahm einen krankhaften Anstrich an, die innere Natur rebellierte, wenn er eine sentimentale Lektüre anhören mußte. Ja, instinktartig witterte er, wo etwas Derartiges kommen mußte, und seine Gesichtszüge bekamen einen Ausdruck, den man nicht besser als mit dem populären Worte »ihm wird schlimm« bezeichnen kann. So war für andere seine Angst belustigend, die er in der Nähe von Kirchhöfen empfand. Auf Spaziergängen mußte man ihnen ausweichen, wenn man ihn heiter erhalten wollte. Er konnte nicht begreifen, wie ein vernünftiger Mensch hingehen, sich auf Gräber setzen, die Inschriften lesen und mit geistiger Wollust der Gestorbenen gedenken könne. Daß es geschieht, hielt er für eine Krankheit der Zeit, die ihn besonders in Berlin anwiderte.
Als Kritiker war er oft ungerecht, wie er denn überhaupt nur traf, wo er eine verwandte Natur fand. Da aber sind seine Kritiken schlagend und dabei Meisterwerke in der Form.....Am unglücklichsten, ja, recht verloren kam er sich in der jüngst vergangenen Periode politischer Aufregung vor. Hier fehlten ihm die gewöhnlichsten Begriffe, und während er im romantischen Zauber seiner sinnlichen Naturwelt fortwebte, sah er sich immer mehr außer Verständigung gesetzt mit seinen Freunden, deren Sinnen und Treiben von den Weltbewegungen affiziert und geleitet wurde. Vergebens arbeitete er, zu einem Verständnis zu kommen. Die Politik und er waren nicht Pole, sondern sich abstoßende Elemente. Es klingt wie eine Parodie, daß Dr. Schiff einst in seiner Jugend ein halbpolitisches Wochenblatt in Hamburg redigiert hat. Doch war es der Fall. In seiner treuherzigen Gutmütigkeit bekannte er aber selbst, daß ihm der Eigentümer gekündigt habe, weil er Artikel verwechselt und die Interpunktion als Nebensache außer acht gelassen hatte. Es passierte auch später wohl, daß er ein Buch rezensierte und in seiner Zerstreutheit den Titel eines andern über die Kritik setzte.
Nächst der Politik war ihm das klassische Altertum verschlossen. Er begriff nicht, wie man von Homer entzückt sein könne. Alles, was sich dem Klassischen in Auffassung und Form näherte, ließ ihn ebenso kalt, als das sentimentale Element ihn anwiderte. Mit Schiller und was ihm anhing, konnte er sich nie befreunden. Gegen Raupach war er animos. Man rechne seine Ausfälle gegen diesen verdienten Dichter nicht, wie einige wollen, einem boshaften Gemüt zu: der Naturmensch Schiff hielt es für Pflicht, zu hassen, was ihm schlecht erschien, und das christliche und Moralprinzip der Liebe gegen unsere Feinde war ihm unverständlich. »Was wollt ihr denn an mir putzen?« sagte er. »Ich bin nun einmal, wie ich geboren wurde, und ihr solltet euch freuen, wenn ihr in eurer Kulturwelt noch einmal einen Menschen findet, der kein Produkt der Nildüng ist.«
Doch СКАЧАТЬ