Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen & Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe). О. Генри
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen & Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe) - О. Генри страница 211

СКАЧАТЬ dies ist deine Großtante, Lady Lorridaile.«

      »Wie geht es dir, Großtante?« sagte Fauntleroy.

      Sie legte die Hand auf seine Schulter, und nachdem sie einen Augenblick in das ihr zugewandte süße Gesicht geblickt hatte, küßte sie ihn herzlich.

      »Ich habe deinen armen Papa sehr lieb gehabt, und du siehst ihm ähnlich,« sagte sie bewegt. »Nenne du mich nur Tante – Tante Constantia.«

      »Das freut mich, wenn man mir das sagt, denn es scheint, daß jedermann meinen Papa lieb gehabt hat, ganz wie Herzlieb auch – Tante Constantia,« setzte er nach einer kleinen Pause nicht ohne Anstrengung hinzu.

      Lady Lorridaile war entzückt. Sie beugte sich noch einmal über ihn, um ihn zu küssen, und die Freundschaft war geschlossen.

      »Nun, Molyneux,« sagte sie später zu dem Grafen, »besser hatte die Sache nicht ausfallen können.

      »Das meine ich auch,« bemerkte ihr Bruder trocken. »Es ist ein hübscher kleiner Kerl, und wir sind sehr gute Freunde. Mich halt er für den sanftmütigsten, liebenswürdigsten Philanthropen der Welt. Da du es doch herauskriegen würdest, Constantia, will ich dir's lieber gleich sagen: Der Junge kann mich alten Narren um den Finger wickeln.«

      »Und was hält seine Mutter von dir?« fragte Lady Lorridaile mit ihrer gewohnten Unverblümtheit.

      »Das habe ich sie nicht gefragt,« versetzte der Graf mürrisch.

      »Höre, Bruder,« fuhr Lady Lorridaile fort, »ich will von vornherein offen und ehrlich zu Werke gehen und dir nicht vorenthalten, daß ich deine Handlungsweise ganz und gar mißbillige und fest entschlossen bin, Mrs. Errol meinen Besuch zu machen. Wenn du deshalb Streit mit mir anfangen willst, so sprich dich lieber jetzt gleich aus. Alles, was ich von dem jungen Frauchen höre, berechtigt mich zu der Annahme, daß sie den Jungen zu dem gemacht hat, was er ist; sogar deine Pächtersleute sollen sie ja verehren wie eine Heilige.«

      »Sie vergöttern Cedrik,« sagte der Graf. »Was Mrs. Errol betrifft, so wirst du eine recht hübsche kleine Frau kennen lernen, und ich bin ihr eigentlich zu Dank verpflichtet, daß sie dem Jungen so viel von ihrer Schönheit abgegeben hat. Mit deinen Besuchen kannst du es nach Belieben halten, nur bitte ich mir aus, daß sie ruhig in Court Lodge bleibt, und daß du nicht etwa von mir verlangst, daß ich sie besuche.«

      »So schlimm ist es lange nicht mehr mit seinem Hasse,« äußerte sich Lady Lorridaile nachher gegen ihren Gatten, »er ist überhaupt auf dem Wege, ein andrer Mensch zu werden, und, unglaublich aber wahr, er kann zu guter Letzt noch ein Herz bekommen, alles durch seine Zuneigung für den unschuldigen, goldigen kleinen Burschen. Das Kind hat ihn ja wirklich und wahrhaftig lieb. Er lehnt sich an sein Knie, wenn er mit ihm spricht; Mylords eigne Kinder hätten sich eher bei einem Tiger niedergelassen.«

      »Molyneux, sie ist die bezauberndste, anmutigste Frau, die ich je gesehen habe,« erklärte Lady Lorridaile ihrem Bruder, als sie am nächsten Tage von ihrem Besuche bei Mrs. Errol zurückkam. »Ihre Stimme ist wie ein silbernes Glöckchen, und du dankst ihr alles, was du an dem Jungen hast, durchaus nicht nur die Schönheit. Dein größter Mißgriff ist, daß du sie nicht herzlich bittest, bei dir zu wohnen und für dich zu sorgen. Uebrigens lade ich sie nach Lorridaile ein.«

      »Sie trennt sich nicht so weit von dem Kinde,« bemerkte der Graf.

      »Dann muß der auch mitkommen,« erklärte Lady Lorridaile lachend.

      Sie wußte sehr wohl, daß letzteres nicht zu erreichen gewesen wäre. Mit jedem Tage sah sie mehr und mehr, wie fest Großvater und Enkel aneinander hingen und wie alles, was der rauhe alte Mann an Ehrgeiz, Hoffnung und Herzenswärme besaß, sich auf das Kind konzentrierte, dessen liebevolle, reine Seele diese Liebe vertrauensvoll und selbstverständlich erwiderte.

      Sie wußte auch, daß die eigentliche Veranlassung, in Schloß Dorincourt nach Jahren der Einsamkeit wieder eine große Gesellschaft zu geben, keine andre war, als das Verlangen, der Welt den Enkel und Erben zu zeigen und sie zu überzeugen, daß der Junge, von dem so viel gesprochen und gefabelt wurde, alle diese Schilderungen noch weit hinter sich ließ.

      »Bevis und Maurice haben ihm so tiefe Demütigungen bereitet,« sagte Lady Lorridaile zu ihrem Manne, »daß er sie förmlich gehaßt hat. Jetzt kann sein Stolz endlich einen Triumph feiern.«

      Angenommen wurde die Einladung von allen Seiten, und wohl nirgends, ohne daß die Gebetenen in Bezug auf Lord Fauntleroy sehr neugierig waren und die Frage besprochen wurde, ob man ihn wohl zu sehen bekommen werde.

      Der Abend kam und Lord Fauntleroy war sichtbar.

      »Der Junge hat so gute Manieren,« entschuldigte der Graf diese etwas ungewöhnliche Anordnung seiner Schwester gegenüber. »Er wird niemand im Wege sein. Kinder sind in der Regel Dummköpfe oder Quälgeister – die meinigen waren beides – aber er kann antworten, wenn man mit ihm spricht, und schweigen, wenn dies nicht geschieht. Unangenehm bemerklich macht er sich nie.«

      Sein Talent zum Schweigen zu entwickeln fand Fauntleroy wenig Gelegenheit, denn die ganze Gesellschaft schien es darauf abgesehen zu haben, ihn zum Reden zu bringen. Die Damen waren sehr zärtlich gegen ihn und hatten alles mögliche zu fragen, und die Herren trieben ihren Scherz mit ihm, gerade wie es auf der Reise von Amerika an Bord des Dampfers gewesen war. Fauntleroy war sich zuweilen nicht klar, weshalb seine Antworten so herzliches Lachen hervorriefen, aber er hatte die Erfahrung ja schon öfter gemacht, daß die Leute lachen mußten, wenn es ihm vollkommen Ernst war, und so ließ er sich nicht drausbringen, sondern freute sich des festlichen Abends von Herzen. Alles entzückte ihn, der Lichterglanz in den prächtigen Gemächern, die herrlichen Blumen, die jeden Raum schmückten, die fröhlichen Menschen, besonders aber die Damen mit den wunderbaren, glänzenden Toiletten und den schimmernden Juwelen. Eine junge Dame war darunter – er hörte sagen, daß sie eben von London komme, wo sie die Saison mitgemacht – die war so bezaubernd, daß er kaum den Blick von ihr wenden konnte. Sie war ziemlich groß, und auf dem schlanken Halse saß ein stolzes, feines Köpfchen, von dunklem, weichem Haar umrahmt, mit großen, tiefblauen Augen und roten Lippen. Ihr ganzes Wesen hatte einen fremdartigen, wunderbaren Reiz, und weil eine Menge von Herren sie huldigend umringten und ängstlich bestrebt schienen, Eindruck auf sie zu machen, nahm Cedrik entschieden an, daß sie eine Prinzessin sein müsse. In seinem Bilderbuche hatte die Prinzessin ja auch ein weißes Atlaskleid und eine Perlenschnur um den Hals. Sein Interesse war so groß, daß er sich ihr halb unbewußt immer mehr näherte, bis sie sich endlich rasch zu ihm wandte.

      »Komm doch her, Lord Fauntleroy,« sagte sie lächelnd, »und sage mir, weshalb du mich so ansiehst?«

      »Weil du so schön bist,« erwiderte Seine Herrlichkeit unerschrocken.

      Die umstehenden Herren brachen in ein schallendes Gelächter aus, und auch die junge Dame lachte ein wenig und errötete kaum merklich.

      »Ach, Fauntleroy,« sagte einer der jungen Herren, »nutze nur deine Zeit gut! Wenn du älter bist, hast du nicht mehr den Mut, so was zu sagen.«

      »Aber das muß doch jedermann sagen,« erwiderte Fauntleroy mit seinem hellen Stimmchen. »Finden Sie denn nicht, daß sie schön ist?«

      »Wir dürfen aber nicht sagen, was wir denken,« versetzte der Gefragte unter erneuter Heiterkeit, so daß das schöne Mädchen, Miß Vivian Herbert, den etwas verdutzt dreinblickenden Cedrik schützend zu sich heranzog, wobei sie womöglich noch hübscher aussah als zuvor.

      »Lord Fauntleroy darf sagen, was er denkt, und ich freue mich darüber – jedenfalls СКАЧАТЬ