Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen & Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe). О. Генри
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СКАЧАТЬ tief aufseufzte und unter die Ladenthür trat, von wo er in geschmackvoller Umrahmung durch Kartoffelsäcke und Aepfelkisten die Straße entlang blickte. Abends, wenn das Geschäft geschlossen war, zündete er dann wohl seine Pfeife an und spazierte wuchtigen, bedächtigen Schrittes bis an das kleine Haus, das Cedrik bewohnt hatte, und das mit seinem weißen Zettel: »Zu vermieten« gar öde und unwohnlich dreinschaute, sah dran hinauf, schüttelte den Kopf, paffte mächtige Rauchwolken aus seiner Pfeife und wandelte gepreßten Herzens wieder nach Hause.

      So gingen zwei oder drei Wochen dahin, ehe ein neuer Gedanke in ihm aufdämmerte. Mr. Hobbs' Gedanken hatten stets einen gründlichen, langwierigen Entwickelungsprozeß durchzumachen, und wenn einmal wirklich einer ins Leben getreten war, pflegte er ihn so unbequem zu finden, wie ein Paar neuer Stiefel. Nachdem sich aber sein Gemütszustand in dieser Zeit eher verschlimmert, als gebessert hatte, gedieh ein ganz nagelneuer Plan schließlich zur Reife. Er wollte Dick aufsuchen. Es war gut, daß er den Tabak seinem eignen Geschäft entnehmen konnte, denn er mußte unzählige Pfeifen rauchen, bis er zu diesem festen Entschlüsse gelangte. Er wollte Dick aufsuchen, Cedrik hatte ihm viel von dem Freunde erzählt, und es lebte ein unbestimmtes Gefühl in ihm, daß er vielleicht in Dick einigen Ersatz und einige Erleichterung für sein Mitteilungsbedürfnis finden konnte.

      Als Dick eines Tages mit größter Energie die Gehwerkzeuge eines Kunden bearbeitete, ereignete es sich, daß ein untersetzter, stämmiger Mann mit einem runden Kopfe und spärlichen Haaren auf dem Trottoir stehen blieb und unverwandt Dicks Schuhputzerzeichen anstarrte und die Inschrift:

      Professor Dick Tipton, Schwarzkünstler

      studierte, was endlich Dicks Interesse lebhaft erregte, und ihn, nachdem der erste Kunde einstweilen im Besitze spiegelblanker Stiefel abgezogen war, zu der Frage veranlaßte: »Stiefel wichsen, Sir?«

      Mit entschlossener Miene trat der Mann vor und setzte den Fuß auf die kleine Bank.

      »Ja,« sagte er bestimmt.

      Während Dick sein Kunstwerk mit Eifer begann, sah der breitschulterige Mann bald ihn, bald das Schild aufmerksam an.

      »Woher haben Sie das Ding?« fragte er.

      »Von einem Freunde von mir,« erwiderte Dick, »von einem Knirps. Hat mir die ganze Einrichtung geschenkt. War der beste kleine Kerl, den's gibt. Ist in England jetzt. Soll so ein – so ein Lord werden da drüben.«

      »Lor – Lord?« fragte Mr. Hobbs mit bedeutsamer Langsamkeit. »Lord Fauntleroy, hm? Künftiger Graf Dorincourt?«

      Um ein Haar hatte Dick die Bürste fallen lassen.

      »Donnerwetter,« rief er, »Sie kennen ihn?«

      »Ich habe ihn gekannt,« versicherte Mr. Hobbs, sich die feuchte Stirn trocknend, »seit er überhaupt auf der Welt ist. Jugendfreunde – ja, Jugendfreunde sind wir gewesen.«

      Es verursachte ihm wirklich eine gewisse Gemütsbewegung, von seinem Freunde zu sprechen. Er zog die prachtvolle goldne Uhr aus der Tasche, klappte den Deckel auf und wies Dick die Inschrift.

      »Das war's, was er mir als Andenken gab vor der Abreise. ›Ich will nicht, daß Sie mich vergessen,‹ so hat er Wort für Wort gesagt. Hätt' ihn auch nicht vergessen, meiner Seel'!« fuhr er kopfschüttelnd fort, »wenn er mir auch kein Andenken gegeben hätte, und wenn ich auch mein Lebtag nichts mehr von ihm zu sehen kriegte. Den vergißt keiner.«

      »Der netteste Bursche war er,« stimmte Dick bei, »den die Sonne je gesehen hat. Und Grütze im Kopf. Hab' mein Lebtag nicht so viel Grütze bei so einem Knirps gesehen. Habe große Stücke auf ihn gehalten, das ist wahr, wir sind auch Freunde gewesen, so auf eine Art, das will ich meinen. Seinen Ball habe ich ihm unter einer Kutsche vorgeholt und das, das hat er mir nie nicht vergessen, der kleine Kerl! Und da ist er heruntergekommen zu mir mit seiner Mutter oder seiner Mamsell und dann schrie er: »Hallo, Dick,« als ob er ein sechs Fuß hoher Bengel wäre und gerade der rechte Kamerad für mich, und dabei war der Guck in die Welt nicht so hoch wie mein Kasten und steckte noch im Mädelsrocke. Ein fideles kleines Haus war es, und wenn es einem einmal schief ging, that es einem gut, mit ihm zu diskutieren.«

      »So ist's,« bestätigte Mr. Hobbs, »und Sünd' und Schand' ist's, aus dem einen Grafen zu machen. Der hätt's zu was gebracht in der Spezereibranche oder auch im Ellenwarengeschäft – aus dem hätte sich was machen lassen,« und er schüttelte sein massives Haupt mit tiefem, ehrlichem Bedauern.

      Es zeigte sich bald, daß die neuen Bekannten so viel miteinander zu besprechen hatten, daß die Sache sich nicht auf der Straße abmachen ließ, und so wurde verabredet, daß Dick am folgenden Abend sich bei Mr. Hobbs im Geschäft einfinden sollte, was dem jungen Manne außerordentlich einleuchtete. Er war ein Kind der Straße von klein auf, aber in ihm lebte von jeher eine gewisse Sehnsucht nach einer ehrbaren, bürgerlichen Existenz. Seit er sein Gewerbe allein betrieb, hatte sich seine Einnahme so ansehnlich gesteigert, daß er sich ein Nachtlager unter Dach und Fach gönnen konnte, und keine Haustreppen mehr als solches zu benutzen gezwungen war, und allmählich gestattete er sich auch den Luxus, Pläne zu schmieden und nach noch Höherem zu streben. Die Einladung zu einem so umfangreichen, ansehnlichen Manne, der einen eignen Laden und sogar Wagen und Pferde zur Beförderung seiner Waren besaß, war ein bedeutender Schritt auf dem Wege zu einer höheren Lebensstellung.

      »Ist Ihnen über Grafen und Schlösser vieles bekannt?« erkundigte sich Mr. Hobbs. »Ich möchte gern mehr Einzelheiten über diese Sachen wissen.«

      »In der Penny Story Gazette kommt eine Geschichte, wo sich's um vornehme Leute handelt. Sie heißt: ›Das Verbrechen einer Krone‹ oder ›Die Rache der Gräfin May.‹ Kurioses Zeug ist's, aber ganz famos. Ein paar von uns lesen's.«

      »Bringen Sie mir das Blatt mit, ich will's bezahlen,« erklärte Mr. Hobbs mit Würde. »Bringen Sie mir alles, wo ein Graf drin vorkommt, und wenn's kein Graf ist, so thut's auch ein Marquis oder ein Herzog, obwohl er allerdings immer nur von einem Grafen gesprochen hat. Ueber Grafenkronen haben wir uns auch unterhalten, gesehen habe ich aber nie welche. Denk' mir, hier herum sind keine zu haben.«

      »Wenn's einer hätte, wär's Tiffany,« sagte Dick, »weiß aber nicht, ob ich sie kennen würde, wenn ich eine zu sehen kriegte.«

      Mr. Hobbs fand es nicht für nötig, zu gestehen, daß er selbst auch keine Vorstellung von der Beschaffenheit eines solchen Dings habe, sondern schüttelte nur bedächtig den Kopf und bemerkte: »Vermutlich keine Nachfrage nach dem Artikel bei uns,« womit die tiefsinnige Frage ihre Erledigung gefunden hatte.

      Damit war der Anfang zu einer Freundschaft gemacht, die für den einen Teil auch ihre materiellen Vorteile hatte, denn Mr. Hobbs nahm seinen neuen Bekannten mit großer Gastfreundschaft auf. Er stellte ihm einen Stuhl nahe an die Thüre in der unmittelbaren Nachbarschaft des großen Apfelfasses, und nachdem der Besucher Platz genommen, sagte er mit einer einladenden Handbewegung: »Versehen Sie sich.«

      Er besah sich dann die mitgebrachten Blätter mit dem Grafenroman, sie lasen einen Teil der Geschichte miteinander und besprachen die Verhältnisse der englischen Aristokratie mit großer Sachkenntnis. Mr. Hobbs dampfte sein edles Kraut dabei und schüttelte sehr häufig das rundliche Haupt, am häufigsten, als er dem mitfühlenden Dick die denkwürdigen Scharten an den hohen Stuhlbeinen vorwies.

      »Die kommen von seinen Füßchen,« sagte er nachdrücklich. »Ich sitze oft stundenlang da und seh' mir sie an. Ja, ja, in dieser Welt geht's bald auf, bald ab mit uns. Da saß er und knabberte Biskuits aus der Büchse und Aepfel aus dem Faß und warf das Kerngehäus auf die Straße 'naus, und jetzt sitzt er in einem Schlosse und ist ein Lord. Die Scharten da an dem Stuhl haben eines СКАЧАТЬ