Weihnachts-Sammelband: Über 250 Romane, Erzählungen & Gedichte für die Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe). О. Генри
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СКАЧАТЬ folgen würde, denn daß er etwas auf dem Herzen hatte, war sicher. Endlich blickte Cedrik auf: »Weiß Newick alles von den armen Leuten?« fragte er.

      »Er sollte alles wissen,« erwiderte der Graf. »Hat er etwas vernachlässigt – hm?«

      So voll Widerspruch ist die menschliche Natur, daß der alte Herr, der sich sein lebenlang nicht um seine Gutsangehörigen bekümmert hatte, an dem Interesse des Kindes für die Leute und an der ersten Gedankenarbeit, die der kleine Lockenkopf in dieser Richtung vollbrachte, seine ganz besondre Freude hatte.

      »Es gibt im Dorfe,« sagte Fauntleroy, ihn mit weitgeöffneten, schreckerfüllten Augen anblickend, »eine Gegend, am äußersten Ende, Herzlieb hat es gesehen, dort stehen die Häuser ganz nahe bei einander und sind alle am Einfallen, man kann kaum atmen drin, und die Leute sind so arm, und alles ist so gräßlich! Oft haben sie Fieber, und die Kinder sterben und vor lauter Elend werden die Menschen bösartig! 's ist viel schlimmer als bei Bridget! Der Regen läuft zum Dache herein! Herzlieb hat eine arme Frau besucht, die dort wohnt, und dann hab' ich sie gar nicht küssen dürfen, eh' sie sich anders angezogen hatte. Wie sie mir es erzählt hat, sind ihr die Thränen aus den Augen gestürzt.«

      Auch in seinen Augen standen Thränen, aber trotzdem lächelte er voll Zuversicht, als er aufsprang und sich an des Großvaters Knie schmiegte.

      »Ich hab' ihr gesagt, daß du das nur nicht wüßtest, und daß ich dir's sagen wolle. Du kannst ja alles besser machen, wie du's bei Higgins gut gemacht hast. Du hilfst ja allen Menschen! Newick muß nur vergessen haben, dir das zu sagen.«

      Newick hatte es nicht vergessen, er hatte seinem Herrn sogar mehr als einmal die verzweifelte Lage der Leute in diesem »Grafenhof« genannten Teile des Dorfes geschildert. Er kannte sie wohl, die windschiefen, elenden Spelunken mit den nassen Wänden und zerbrochenen Fensterscheiben und löcherigen Dächern, in denen Fieber und Elend hauste. Mr. Mordaunt hatte ihm das alles oft und viel in den schwärzesten Farben gemalt, und dann hatte der Graf eine sarkastische Antwort gegeben, und wenn die Gicht gerade schlimm war, hatte er erklärt, je früher das Gesindel draufgehe, desto besser. Aber als er jetzt auf die kleine Hand auf seinem Knie heruntersah und von der Hand in die ehrlichen, offnen, vertrauensvollen Augen, da überkam ihn ein Gefühl, das mit dem der Scham starke Ähnlichkeit hatte.

      »Was?« sagte er. »Nun willst du auch noch einen Erbauer von Musterwohnhäusern aus mir machen? Was für eine Idee!«

      »Die greulichen Häuser müssen abgerissen werden,« erklärte Cedrik eifrig. »Herzlieb sagt es. O bitte – bitte, wir wollen sie morgen schon abbrechen lassen! Und wir wollen selbst hingehen; die Leute freuen sich so, wenn sie dich sehen – sie wissen's dann schon, daß du kommst, um ihnen wieder zu helfen.«

      Der Graf stand auf. »Komm, wir wollen unsern Abendspaziergang auf der Terrasse machen,« sagte er mit einem kurzen Auflachen, »und uns die Geschichte überlegen.«

      Neuntes Kapitel.

       Schwere Sorgen

       Inhaltsverzeichnis

      Die Wahrheit war, daß Mrs. Errol bei ihren Besuchen im Dorfe, das ihr erst so malerisch erschienen war, viel Elend, Jammer, Not, Trägheit und Böswilligkeit kennen und nach und nach einsehen gelernt hatte, daß Erleboro nicht mit Unrecht für das ärmste und am meisten vernachlässigte Dorf des ganzen Landesteiles galt. Vieles sah sie mit eignen Augen, vieles erfuhr sie durch Mr. Mordaunt, der ihr gern sein Herz ausschüttete und ihres Anteils froh ward. Die Intendanten, die alles zu verwalten hatten, suchten nur jeglichen Konflikt mit dem Grafen zu vermeiden, und so wurde von Tag zu Tage alles schlimmer, Grafenhof war aber in der That ein Fieberherd, und der Zustand der Häuser sprach laut genug von der Gleichgültigkeit des Gutsherrn gegen seine Leute. Als Mrs. Errol den Ort zum erstenmal betrat, erfaßte sie ein Schauder, und als sie die bleichen, verwahrlosten, zwischen Laster und Schmutz aufwachsenden Kinder sah und ihres Jungen gedachte, der nun in fürstlicher Pracht seine goldne Kindheit verlebte, stieg ein kühner Gedanke in diesem weisen kleinen Mutterherzen auf.

      »Der Graf gewährt meinem Kinde jede Bitte,« hatte sie zu Mr. Mordaunt gesagt. »Er befriedigt jeden kleinsten Wunsch. Weshalb soll diese Güte oder Schwäche nicht auch andern zu gute kommen?«

      Sie kannte das reine, warme Kinderherz durch und durch, und so erzählte sie ihm von dem entsetzlichen Stande der Dinge im Grafenhof, sicher, daß er mit dem Großvater davon sprechen werde, und hoffend, daß dies gute Früchte tragen möchte.

      Und dem war so. Was auf den alten Herrn den stärksten, unwiderstehlichsten Einfluß übte, war seines Enkels felsenfestes, unerschütterliches Vertrauen in seine Großmut und Güte. Er konnte es nicht übers Herz bringen, den Jungen darüber aufzuklären, daß Selbstsucht und Eigenwillen die Grundzüge seines Handelns und Lebens gewesen waren. Als ein Wohlthäter der Menschheit und als Inbegriff aller ritterlichen Tugenden angesehen zu werden, war etwas entschieden Neues, und der Gedanke, diesen liebevollen braunen Augen gegenüber auszusprechen: »Es ist mir ganz einerlei, ob das Gesindel zu Grunde geht oder nicht«, schien ihm vollkommen unausführbar. Schon hatte er den kleinen Blondkopf so lieb gewonnen, daß er sich, um dessen Illusionen zu schonen, lieber auf einer guten That ertappen ließ, wobei er sich freilich selbst sehr lächerlich vorkam. Newick wurde zur Audienz befohlen und nach längerer Beratung der Beschluß gefaßt, daß die elenden Bretterbuden eingerissen und an ihrer Stelle menschliche Wohnungen errichtet werden sollten.

      »Lord Fauntleroy dringt darauf,« bemerkte er trocken, »er sieht darin eine Verbesserung des Besitztums. Sie können es die Leute wissen lassen, daß der Gedanke von ihm ausgeht.«

      Natürlich verbreitete sich die Kunde von dieser geplanten Verbesserung mit Windeseile. Erst begegnete dieselbe mannigfachem Unglauben, als aber eine Schar fremder Arbeiter eintraf und die baufälligen Hütten einzureißen begann, ward es den Leuten klar, daß dieser kleine Lord wieder Großes für sie gewirkt hatte, und sein Lob wurde in allen Tonarten gesungen und die kühnsten Prophezeiungen für seine Zukunft ausgesprochen. Von dem allem ahnte er nichts. Er lebte sein glückliches Kinderdasein, rannte jauchzend im Park umher, hegte die Kaninchen in ihrem Bau, lag im Grase unter den großen Bäumen oder auf dem Teppiche vor dem Kamine und las wundervolle Geschichtenbücher, deren Inhalt er dann erst dem Grafen und später seiner Mutter wiedererzählte; auch lange Briefe an Dick und Mr. Hobbs wurden abgesandt und von drüben beantwortet.

      Als der Neubau der kleinen Häuser begonnen hatte, ritt er häufig mit dem Großvater nach Grafenhof hinüber und nahm lebhaften Anteil an der Arbeit. Er stieg dann womöglich ab und machte die Bekanntschaft der Arbeiter, wobei er über allerlei Handwerksgeheimnisse Aufschluß erhielt und ihnen von Amerika erzählte. Wenn die Herrschaft dann den Bauplatz verlassen hatte, war der kleine Lord mit seinen harmlosen, hier und da komischen Redensarten noch lange das Gesprächsthema. »Das ist ein Rarer,« hieß es, »und gescheit ist er und so gemein mit unsereinem.« Natürlich wurde alles, was Fauntleroy gesprochen hatte, weiter erzählt, und so kam jeder in Besitz einer ganzen Sammlung von Anekdoten über den kleinen Lord, und nach und nach wußte man weit und breit, daß der »wilde Graf« zu guter Letzt noch etwas gefunden hatte, was seinem harten, verbitterten Herzen lieb war.

      Wie lieb, das wußte freilich niemand, denn er äußerte sich gegen keinen Menschen über seine Empfindung für Cedrik, und wenn er je von ihm sprach, geschah es mit einem halb ironischen Lächeln. Fauntleroy aber fühlte es wohl, daß er dem Großvater lieb war und daß dieser ihn gern um sich hatte, ob's nun in seinem behaglichen Bibliothekzimmer war, wenn er im Lehnstuhle saß, oder bei Tische oder draußen beim Reiten und Fahren und dem Abendspaziergange auf der Terrasse.

      »Weißt du noch,« begann Cedrik, der СКАЧАТЬ