»Sein Wohl!« sprach er, »und er soll denen drüben was zu raten aufgeben – den Grafen und Marquisen und wie das Volk heißt.«
Von da an ward der Verkehr fleißig fortgesetzt, und Mr. Hobbs fühlte sich nun weit weniger vereinsamt und verlassen. Sie lasen die Penny Story Gazette und vieles andre miteinander und nahmen sichtlich zu an Verständnis für die vornehme Welt, und zwar in einer Weise, welche für die verhaßten Aristokraten manches Ueberraschende gehabt haben würde. Eines Tages raffte sich Mr. Hobbs sogar zu einem richtigen Bücherkauf auf und setzte den in der Buchhandlung thätigen jungen Mann durch seine Frage nach einem Buche über Grafen in einiges Erstaunen. Nachdem lang über ein derartiges litterarisches Erzeugnis hin und her geredet worden war und verschiedene Mißverständnisse sich aufgehellt hatten, trat Mr. Hobbs im Besitz von »Der Tower von London von Mr. Harrison Ainsworth« hochbefriedigt den Rückweg an.
Sobald Dick erschien, machten sie sich über die neue Erwerbung her, und es zeigte sich, daß es ein höchst wunderbares und spannendes Buch war, welches in der Zeit der sogenannten »Blutigen Maria« spielte. Als sie nach und nach daraus ersahen, wie sehr es zu den Liebhabereien dieser englischen Königin gehört hatte, den Leuten die Köpfe abzuhacken und sie lebendig zu verbrennen, geriet Mr. Hobbs in große Unruhe.
Freilich hatten seine Zeitungen, soviel er sich erinnern konnte, aus unsrer Zeit derartige Dinge nicht gemeldet, aber was ließ sich nicht erwarten von einem Land, das einmal eine solche Königin hervorgebracht hatte, und das auch jetzt wieder unter der Oberhoheit eines weiblichen Wesens stand, was Mr. Hobbs in seiner Eigenschaft als überzeugter Junggeselle ohnehin nicht billigen konnte? Was ließ sich erwarten von einem Volk, das, wie Mr. Hobbs »hatte sagen hören«, nicht einmal den vierten Juli feierte!
Mehrere Tage trug Mr. Hobbs bange Sorge im Herzen, und erst als Fauntleroys Brief eintraf, wurde ihm etwas leichter zu Mut. Er las ihn mehrmals, für sich allein und mit Dick, und auch den Brief, welchen Dick um dieselbe Zeit erhielt, studierte er gründlich. Beide waren sehr glücklich im Besitz dieser Schriftstücke, deren Inhalt und Wortlaut sie eingehend miteinander besprachen. Die Antworten nahmen Tage in Anspruch und wurden fast ebenso oft überlesen und überlegt, wie die kürzlich empfangenen Briefe.
Für Dick war es ohnehin kein leichtes Stück Arbeit, einen Brief zu schreiben. Was er von den Geheimnissen der Lese- und Schreibekunst sein eigen nannte, hatte er in ein paar Monaten, in denen er eine Abendschule besuchen konnte, erworben – es war zu der Zeit gewesen, als er mit seinem älteren Bruder zusammenlebte. Er war ein aufgeweckter Bursche und hatte diese einzige Gelegenheit, sich zu bilden, wohl zu benutzen gewußt und sich von da an durch anfangs äußerst mühsames Zeitungslesen weitergeholfen: das Schreiben aber konnte nur durch gelegentliche Versuche mit einem Kreidestücke auf Mauern oder Trottoir fortgesetzt werden. Er erzählte Mr. Hobbs vieles von seinem Leben und dem älteren Bruder, der nach Kräften gut gegen ihn gewesen war, nachdem er als kleiner Kerl schon Vater und Mutter verloren hatte. Der Bruder hieß Ben und hatte sich des Kleinen angenommen, soviel er eben konnte, bis Dick alt genug war, um Zeitungen in der Straße feilzuhalten. Sie hatten sich nie getrennt, und Ben hatte sich ganz ordentlich durchgearbeitet und schließlich einen anständigen Posten in einem Laden errungen.
»Und dann,« rief Dick, noch in der Erinnerung empört, »muß ihn der Teufel reiten, daß er heiratet. Einfach verrückt wird er über ein Mädel und mir nichts dir nichts wird geheiratet! Und eine nette Sorte war's, der aufgelegte Feuerteufel. Wenn die in Wut kam, schlug sie einfach alles zusammen, und wütend war sie schier den ganzen Tag. Ihr Kind – gerade so! Der Balg plärrte Tag und Nacht. Und wenn ich ihn nicht 'rumschleppen wollte und das Ding quiekste – brr! da flog mir's an den Kopf. Einmal war's ein Teller, der traf aber nicht mich, sondern den Jungen und hat ihms Kinn zerschnitten, daß es zum Erbarmen war. ›Die Narbe behält er sein lebenlang‹ hat der Doktor gesagt. Ne kuriose Mutter war die! Zum Henker! Haben wir ein Höllenleben gehabt alle drei, Ben und ich und das Wurm. Ueber Ben ging's den ganzen Tag los, weil er nicht mehr zusammenbrachte: schließlich wollt' er's mit was anderm im Westen probieren, mit Viehhandel. Kaum ist er eine Woche fort und ich komm' abends heim vom Zeitungsverkaufen – wupp, sind die Stuben leer, die Frau im Hause aber sagt mir, Dame Minna sei mir nichts dir nichts auf und davon – hast du nicht gesehen! Irgendwer hat behauptet, sie sei übers Wasser, um bei einer Dame Kindsfrau zu werden – nett für die! Fort und verschwunden war sie und weder Ben noch ich hörten mehr was von ihr. Ich an seiner Stell' war froh gewesen, die los zu sein, aber er war's nicht; du lieber Himmel, war der verliebt bis über die Ohren, wenigstens im Anfang. Na, sauber war sie, wenn sie aufgeputzt war und gerad' nicht in Wut. Ein Paar pechschwarze Augen im Kopfe und schwarzes Haar bis zu den Knieen, das hat sie zu einem Strick gedreht, dick wie mein Arm, sag' ich Ihnen, und um den Kopf 'rum gelegt, weiß nicht, wie oft, Herr, und die Augen, wen sie so damit anblitzen wollte! Es hieß, sie sei halb italienisch – ihre Eltern kamen von dort, drum sei sie so schief gewickelt. Das war eine Person – na so was!«
Ben schrieb seinem Bruder hie und da aus dem Westen. Lang war es ihm schlecht genug ergangen, und er hatte viel umherwandern müssen, schließlich aber hatte er sich in Kalifornien auf einer Farm, wo die Viehzucht im großen betrieben wurde, festgesetzt und hatte um die Zeit, als Dicks Beziehungen zu Mr. Hobbs angeknüpft wurden, seinen regelmäßigen Verdienst.
»Das Weib, das hat ihn um seine fünf Sinne gebracht,« sagte Dick. »Mir hat der arme Teufel oft leid gethan.«
Sie saßen eben miteinander unter der Ladenthüre, und Mr. Hobbs stopfte seine Pfeife.
»Er hätte nicht heiraten sollen,« sprach er orakelhaft, während er aufstand, um sich ein Zündhölzchen zu holen. »Weiber – ich für mein Teil hab' nie begreifen können, zu was die gut sein sollen.«
Während er das Zündhölzchen bedächtig aus der Schachtel nahm, warf er einen Blick auf sein Pult.
»Zum Kuckuck!« rief er, »da liegt ja ein Brief! Hab' den vorhin gar nicht gesehen. Der Briefträger hat ihn wohl nur so hingelegt, oder hat die Zeitung drüber gelegen?«
Er nahm ihn auf und studierte die Adresse.
»Der ist ja von ihm!« lautete seine Ansicht. »Von ihm und von keinem andern!«
Die Pfeife war vergessen; ganz aufgeregt setzte er sich wieder, zog sein Taschenmesser heraus und schnitt mit liebevoller Vorsicht das Couvert auf.
»Will nur sehen, was er diesmal Neues weiß,« bemerkte er.
Dann entfaltete er das Blatt und las seinem neuen Freunde folgendes vor:
Schloß Dorincourt.
»Mein lieber Mr. Hobbs. ich schreibe das in großer Eile weil ich ihnen etwas wunderliches zu sagen habe worüber sie sich ser erstaunen würden mein lieber Freund wenn sie es hören, es ist alles ein irtum und ich bin kein Lord und ich mus nie ein Graf werden weil eine Dame da ist die war mit meinem Onkel Bevis ferheirathet der jetz tod ist und sie hat einen kleinen son und der ist Lord Fauntleroy denn so ist es in England das der kleine son von dem eltesten son des Grafen Graf wird wenn alle andern tod sind ich meine wenn sein fater und Großvater tod sind, mein Großvater ist nicht tod aber mein Onkel Bevis und deshalb ist sein son Lord Fauntleroy weil mein fater der jüngste son gewesen ist und meine nahme ist Cedrik Errol ganz wie früher in New York und alles gehört dem andern Knaben, im Anfang habe ich gedagt, ich müsse im auch meinen Pony und meinen wahgen geben aber mein Großvater hat gesagt das müsse ich nicht und meinem Großvater tut es ser leid und ich glaube er hat die Dame gar nicht ser СКАЧАТЬ