Название: Gesammelte Werke von Dostojewski
Автор: Федор Достоевский
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788027204205
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»Aber woher wissen Sie denn das?«
»Ich weiß vielleicht mehr als Sie.«
»Was Sie komisch sind!… Sie sind gewiß noch recht krank. Sie haben nicht gut daran getan, auszugehen.«
»Also ich komme Ihnen komisch vor?«
»Allerdings. Was haben Sie denn da? Lesen Sie Zeitungen?«
»Ja.«
»Es steht viel von Feuersbrünsten darin.«
»Von Feuersbrünsten lese ich nicht.« Hier blickte er Sametow geheimnisvoll an; das spöttische Lächeln erschien wieder auf seinen Lippen. »Nein, von Feuersbrünsten lese ich nicht«, wiederholte er und blinzelte Sarnetow zu. »Aber gestehen Sie nur, lieber junger Mann, daß Sie schrecklich gern wissen möchten, was ich gelesen habe!«
»Es liegt mir gar nichts daran, das zu wissen. Ich habe nur so ganz ohne Absicht gefragt. Eine solche Frage ist doch wohl erlaubt. Was wollen Sie denn nur immer?…«
»Hören Sie mal, Sie sind doch ein gebildeter Mann und haben viele Bücher gelesen, nicht wahr?«
»Ich bin aus der sechsten Klasse des Gymnasiums abgegangen«, antwortete Sametow nicht ohne Selbstbewußtsein.
»Aus der sechsten Klasse! Ach, du mein Spätzchen! Und was hat er für einen schönen Scheitel und für Ringe und ist ein reicher Mann! Ei, was für ein liebes Jüngelchen!«
Hier brach Raskolnikow in ein nervöses Lachen aus und lachte Sametow gerade ins Gesicht. Dieser fuhr zurück, nicht sosehr gekränkt als vielmehr im höchsten Grade erstaunt.
»Nein, was sind Sie für ein komischer Mensch!« sagte Sametow noch einmal sehr ernst. »Mich dünkt, Sie phantasieren immer noch.«
»Ich phantasiere? Da irrst du dich, mein Spätzchen… Also komisch bin ich? Nun, interessant bin ich Ihnen wohl auch, nicht wahr? Bin ich Ihnen interessant?«
»Freilich, freilich!«
»Soll ich Ihnen also sagen, was ich gesucht habe, was ich gelesen habe? Sehen Sie nur, wieviel Nummern ich mir habe geben lassen! Das ist doch verdächtig, nicht wahr?«
»Nun, dann sagen Sie es.«
»Passen Sie auch auf wie ein Schießhund?«
»Was ist denn da groß aufzupassen?«
»Das will ich Ihnen nachher sagen. Jetzt aber, lieber Freund, erkläre ich Ihnen … nein, besser: ›ich gestehe‹ … Nein, auch das ist nicht der richtige Ausdruck … ›Ich gebe eine Aussage ab, und Sie nehmen sie entgegen‹, so stimmt es. Also ich gebe die Aussage ab, daß ich mich interessiert, gesucht, gelesen habe …« Raskolnikow kniff die Augen zusammen und machte eine Pause. »Ich habe nach den Berichten über die Ermordung der alten Beamtenwitwe gesucht und bin nur zu diesem Zwecke hierhergekommen«, sagte er endlich beinahe flüsternd und brachte dabei sein Gesicht dem Gesichte Sametows ganz nahe.
Sametow blickte ihn gerade und unverwandt an, ohne sich zu rühren und ohne sein Gesicht von dem des andern zu entfernen. Besonders seltsam erschien es ihm nachher, daß ihr Schweigen eine volle Minute gedauert hatte und sie einander eine volle Minute so angesehen hatten.
»Nun, was ist denn dabei, daß Sie das gelesen haben?« rief er endlich verwundert und ungeduldig. »Was kümmert das mich? Was ist denn dabei?«
»Das ist dasselbe alte Weib«, fuhr Raskolnikow, der sich bei Sametows letzten Worten gar nicht gerührt hatte, in demselben Flüstertone fort, »das ist dasselbe alte Weib, von dem neulich im Polizeibureau gesprochen wurde; Sie erinnern sich wohl, daß ich dabei in Ohnmacht fiel. Nun, verstehen Sie jetzt?«
»Aber was meinen Sie denn eigentlich? Was soll ich denn verstehen?« erwiderte Sametow beunruhigt.
Raskolnikows unbewegliches, ernsthaftes Gesicht verwandelte sich in einem Augenblicke, und er brach auf einmal wieder in dasselbe nervöse Lachen aus wie vorhin, wie wenn er völlig unfähig wäre, sich zu beherrschen. Und auf einmal stand ihm in größter Deutlichkeit jener noch nicht so weit zurückliegende Moment vor Augen, wo er mit dem Beile hinter der Tür stand, der Riegel hin und her sprang, die beiden vor der Tür schimpften und an der Klinke rüttelten und ihn selbst die Lust anwandelte, sie anzurufen, sie zu schimpfen, ihnen die Zunge herauszustrecken, sie zu höhnen und zu lachen, zu lachen, zu lachen!
»Entweder sind Sie verrückt oder…«, sagte Sametow und stockte, als hätte ihn ein plötzlich in seinem Kopfe aufblitzender Gedanke überrascht.
»Oder? Was meinen Sie mit Ihrem ›oder‹? Nun, was? Reden Sie!«
»Ach was!« antwortete Sametow ärgerlich. »Es ist ja alles dummes Zeug!«
Beide schwiegen. Nach dem plötzlichen, konvulsivischen Lachanfall war Raskolnikow sofort wieder nachdenklich und traurig geworden. Er setzte einen Ellbogen auf den Tisch und stützte den Kopf mit der Hand. Anscheinend hatte er ganz vergessen, daß Sametow da war. Das Schweigen dauerte ziemlich lange.
»Warum trinken Sie denn Ihren Tee nicht? Er wird ja ganz kalt!« sagte Sametow.
»Was? Tee? … Nun, meinetwegen…«
Raskolnikow nahm einen Schluck aus dem Glase, schob ein Stückchen Brot in den Mund und schien, nachdem er Sametow einen Augenblick betrachtet hatte, sich plötzlich wieder an alles zu erinnern und gleichsam wieder aufzuleben. Gleichzeitig nahm sein Gesicht von neuem den spöttischen Ausdruck an. Er trank nun seinen Tee weiter.
»Diese Schurkereien nehmen heutzutage Überhand«, sagte Sametow. »Da las ich neulich in den ›Moskauer Nachrichten‹, daß in Moskau eine ganze Bande von Fälschern abgefaßt ist. Es war eine ordentliche organisierte Gesellschaft. Sie machten Staatsschuldscheine nach!«
»Oh, das ist schon lange her! Das habe ich schon vor einem Monat gelesen«, erwiderte Raskolnikow ruhig. »Also das sind Ihrer Meinung nach Schurken!« fügte er lächelnd hinzu.
»Sind das etwa keine Schurken?«
»Die? Kinder sind das, Gelbschnäbel, aber keine Schurken! Nicht weniger als fünfzig Menschen tun sich zu einem solchen Zwecke zusammen! Hat denn das einen Sinn? Drei ist dabei das zulässige Maximum, und dabei ist noch erforderlich, daß jeder sich auf den andern sicherer verlassen kann als auf sich selbst. Sonst braucht nur einer in der Betrunkenheit zu schwatzen, und die ganze Sache geht in die Brüche. Gelbschnäbel! Sie engagieren unzuverlässige Leute, um die Papiere in Bankgeschäften umzusetzen: wie konnten sie nur so eine Sache dem ersten besten anvertrauen? Und setzen wir selbst den Fall, es wäre ihnen trotz ihrer ungeschickten Maßregeln geglückt, setzen wir den Fall, jeder hätte sich eine Million eingewechselt, nun, wie dann weiter? Wie hätte sich dann ihr ganzes Leben gestaltet? Jeder einzelne wäre dann von dem andern sein ganzes Leben lang abhängig gewesen! Da wäre es doch besser, sich gleich aufzuhängen! Aber sie haben nicht einmal das Umwechseln verstanden: da versucht einer dieser engagierten Helfershelfer in einem Bankgeschäfte solche Papiere umzuwechseln und hat bereits dafür seine fünftausend Rubel erhalten; aber nun fangen ihm die Hände an zu zittern. Viertausend zählt er nach, aber das fünfte Tausend nimmt er, ohne nachzuzählen, hin, auf Treu und Glauben, um es ja nur ja gleich in die Tasche stecken und sich möglichst schnell davonmachen zu können. Na, dadurch СКАЧАТЬ