Название: Gesammelte Werke von Dostojewski
Автор: Федор Достоевский
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788027204205
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»Bei dergleichen Dingen?«
»Sind Sie denn etwa Ihrer Nerven sicher? Nein, ich für meine Person nicht! Für eine Belohnung von hundert Rubeln sich einer solchen Gefahr auszusetzen! Hinzugehen, um ein solches Wertpapier an den Mann zu bringen, und wohin? In eine Bank, wo sie in solchen Sachen gerieben sind – nein, da hätte ich die Ruhe verloren. Und Sie nicht?«
Raskolnikow verspürte wieder die größte Lust, ihm die Zunge herauszustrecken. Alle Augenblicke lief ihm ein Frösteln über den Rücken.
»Ich hätte es anders angegriffen«, begann er. »Beim Umwechseln wäre ich so verfahren: das erste Tausend hätte ich so etwa viermal von allen Seiten nachgezählt, jeden Schein genau angesehen und dann das zweite Tausend vorgenommen; ich hätte angefangen zu zählen, hätte bis zur Mitte gezählt, eine beliebige Fünfzigrubelnote herausgenommen, gegen das Licht gehalten, umgewendet und wieder gegen das Licht gehalten, ob sie auch nicht falsch sei. ›Ich bin darin ängstlich‹, hätte ich gesagt, ›eine Verwandte von mir ist neulich auf diese Art um fünfundzwanzig Rubel geschädigt worden‹, und hätte eine ganze solche Geschichte erzählt. Und wenn ich das dritte Tausend zu zählen angefangen hätte, dann hätte ich gesagt: ›Ach, entschuldigen Sie, ich glaube, ich habe in dem zweiten Tausend das siebente Hundert nicht richtig gezählt; ich habe nun doch Zweifel‹, und hätte das dritte wieder hingelegt und nochmal nach dem zweiten gegriffen – und so bei allen fünfen. Und wenn ich fertig gewesen wäre, dann hätte ich aus dem fünften und aus dem zweiten Tausend je eine Note herausgenommen, sie wieder gegen das Licht gehalten und, wie wenn ich wieder an der Echtheit zweifelte, gesagt: ›Bitte, tauschen Sie mir diese um‹, und so hätte ich den Bankangestellten in Angstschweiß versetzt, so daß er halb verzweifelt gesucht hätte, mich nur endlich loszuwerden! Zuletzt, wenn ich fertig gewesen wäre, wäre ich gegangen, hätte die Tür aufgemacht – und wäre mit einem ›Ach, entschuldigen Sie!‹ noch einmal umgekehrt, um noch etwas zu fragen, irgendwelche Aufklärung zu erhalten. So hätte ich das gemacht!«
»Donnerwetter, was tragen Sie da für feine Kunstgriffe vor!« sagte Sametow lachend. »Der Haken ist dabei bloß: gesprächsweise läßt sich so etwas wohl darlegen; aber bei der Ausführung würden Sie sicher auch Ihre Fehler machen. Ich sage Ihnen, meiner Ansicht nach kann dabei nicht einmal ein geriebener, verwegener Kerl, geschweige denn ein Mensch wie Sie oder ich, sich auf sich selbst verlassen. Aber wozu fernliegende Beispiele heranziehen; wir haben ja ein ganz naheliegendes: die alte Frau, die hier in unserm Revier ermordet wurde. Es muß doch gewiß ein verwegener Mensch gewesen sein; am hellen Tage hat er die Tat riskiert; nur durch ein reines Wunder ist er davongekommen; aber die Hände haben ihm trotzdem gezittert: den Raub durchzuführen hat er nicht verstanden; da haben seine Nerven gestreikt; das sieht man an dem Hergange …«
Es machte den Eindruck, als ob sich Raskolnikow gekränkt fühlte.
»Sieht man das? Nun, dann fangen Sie ihn doch! Vorwärts! Aber bald!« rief er in höhnisch aufstachelndem Tone Sametow zu.
»Man wird ihn schon kriegen!«
»Wer? Sie von der Polizei? Sie wollen ihn kriegen? Na, dann tummeln Sie sich nur! Bei Ihnen ist ja doch immer die Hauptsache: gibt jemand viel Geld aus oder nicht? Wenn einer vorher kein Geld hatte und nun auf einmal viel auszugeben anfängt – na, dann ist ja kein Zweifel, daß der es ist! Darum kann Sie jedes kleine Kind hinters Licht führen, wenn es will!«
»Das ist ja eben das Eigentümliche, daß sie es alle so machen«, erwiderte Sametow. »Da begeht einer mit aller Schlauheit einen Mord, setzt sein Leben aufs Spiel, und dann geht er sofort in eine Kneipe und ist geliefert. Beim auffälligen Geldausgeben werden sie gefaßt. So schlau wie Sie sind eben nicht alle; Sie würden natürlich nicht in eine Kneipe gehen?«
Raskolnikow zog die Augenbrauen zusammen und blickte Sametow starr an.
»Meine Auseinandersetzung von vorhin hat Ihnen wohl Appetit gemacht, und Sie möchten nun auch gern wissen, wie ich mich in diesem Falle benommen hätte?« fragte er mißvergnügt.
»Das möchte ich allerdings gern wissen«, antwortete jener fest und ernst.
Sein Ton und seine Miene waren auffällig ernst geworden.
»Sehr gern?«
»Ja, sehr gern!«
»Nun schön! Das hätte ich also so gemacht«, begann Raskolnikow; wiederum brachte er auf einmal das Gesicht dem Gesichte Sametows ganz nahe, wiederum starrte er ihn unverwandt an, und wiederum dämpfte er seine Stimme zum Flüstertone herab, so daß jener diesmal ordentlich zusammenfuhr. »Ich hätte es so gemacht: ich hätte das Geld und die Wertsachen genommen, und sowie ich den Tatort verlassen hätte, wäre ich sofort, ohne vorher irgendwo einzukehren, in eine Gegend gegangen, wo ein rings eingeschlossener Platz ist und nur Zäune und fast keine Menschenseele – nach einem Gemüsegarten oder so etwas Ähnlichem. Auf diesem Hofe, oder was es nun ist, hätte ich mir schon vorher einen Stein ausgesucht, so ungefähr im Gewichte von einem halben Zentner, in einer Ecke, an einem Zaune; der Stein hat da vielleicht schon seit der Erbauung des Hauses gelegen. Diesen Stein hätte ich aufgehoben – unter ihm muß eine Vertiefung sein –, und in diese Vertiefung hätte ich alle Wertsachen und das Geld hineingelegt. Dann hätte ich den Stein wieder in seine frühere Lage gewälzt, die Erde mit dem Fuße angedrückt und wäre davongegangen. Und nun hätte ich ein, zwei Jahre lang, drei Jahre lang nichts angerührt – na, nun könnt ihr suchen! Es war da, und nun ist’s verschwunden, wie der Zauberkünstler sagt.«
»Sie sind verrückt«, sagte Sametow, unwillkürlich gleichfalls beinahe flüsternd, und rückte von Raskolnikow weg.
Diesem funkelten die Augen; er war erschreckend bleich geworden; seine Oberlippe zuckte und zitterte. Er beugte sich ganz nahe zu Sametow hin und bewegte die Lippen, ohne ein Wort zu sprechen; das dauerte etwa eine halbe Minute. Er wußte, was er tat, hatte aber die Herrschaft über sich verloren. Wie damals der Riegel an der Tür hin und her sprang, so hüpfte jetzt ein furchtbares Wort auf seinen Lippen; jeden Augenblick konnte es sich losreißen, jeden Augenblick; er brauchte es nur aus dem Mund herauszulassen, es nur auszusprechen!
»Und wenn ich nun wirklich das alte Weib und Lisaweta ermordet hätte?« sagte er plötzlich – und kam wieder zur Besinnung.
Sametow blickte ihn verstört an und wurde kreidebleich. Sein Gesicht verzerrte sich zu einem Lächeln.
»Wie wäre das wohl möglich?« sagte er kaum hörbar.
Raskolnikow blickte ihn grimmig an.
»Gestehen Sie nur: Sie haben es geglaubt? … Ja? Nicht wahr?«
»Durchaus nicht! Ich glaube es jetzt weniger als je!« rief Sametow hastig.
»Nun ist er eingegangen, endlich! Nun haben wir das Spätzchen erwischt! Also haben Sie es früher doch geglaubt, wenn Sie es jetzt ›weniger als je‹ glauben?«
»Aber durchaus nicht!« rief Sametow, augenscheinlich äußerst verlegen. »Also nur darum haben Sie mir mit Ihren Reden einen Schreck eingejagt, um mich zu einem solchen Geständnis zu bringen?«
»Also Sie glauben es nicht? Aber was haben Sie denn damals auf dem Polizeibureau gesprochen, nachdem ich weggegangen war? Und warum hat der Leutnant Schießpulver nach meinem Ohnmachtsanfall mit mir ein Verhör angestellt? He, du!« rief er dem Kellner zu, indem er aufstand und nach seiner Mütze griff, »was bin ich schuldig?«
»Dreißig Kopeken zusammen«, antwortete der herbeilaufende Kellner.
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