Название: Gesammelte Werke von Dostojewski
Автор: Федор Достоевский
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788027204205
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Er ging hinaus, am ganzen Leibe zitternd von einer heftigen nervösen Aufregung, in die sich indes ein Gefühl von fast unerträglich starker Freude mischte; im übrigen war er düster und entsetzlich müde. Sein Gesicht war ganz verzerrt, wie nach einem schweren Anfalle. Seine Ermattung nahm schnell zu. Es stand jetzt mit ihm so, daß seine Kräfte beim ersten Impuls, beim ersten Reiz plötzlich geweckt wurden und sich einstellten und dann ebenso schnell wieder ermatteten, wenn der Reiz aufhörte.
Sametow saß, nachdem er allein zurückgeblieben war, noch lange in Nachdenken versunken auf seinem Platze. Durch Raskolnikow waren alle seine bisherigen Gedanken über einen gewissen Punkt unversehens umgestoßen worden, und er war nun zu einer festen Meinung gelangt.
»Ilja Petrowitsch ist ein Dummkopf!« sagte er mit großer Bestimmtheit.
Kaum hatte Raskolnikow die nach der Straße führende Tür geöffnet, als er auf den Stufen mit dem eintretenden Rasumichin zusammenstieß. Beide, obwohl nur einen Schritt voneinander entfernt, hatten einander nicht gesehen, so daß sie beinahe mit den Köpfen zusammenprallten. Eine Zeitlang maßen sie sich mit den Blicken. Rasumichin war zunächst im höchsten Grade erstaunt; aber plötzlich flammte der Zorn, ein echter, unverstellter Zorn, drohend in seinen Augen auf.
»Also hier bist du!« schrie er aus vollem Halse. »Aus dem Bette ist der Mensch davongelaufen! Und ich habe ihn da sogar unter dem Sofa gesucht! Auf den Dachboden sind wir gegangen. Deinetwegen habe ich Nastasja beinahe durchgeprügelt… Und nun ist er hier! Rodjka! Was bedeutet das? Sage die Wahrheit! Gestehe! Hörst du wohl?«
»Das bedeutet, daß ihr mir alle gründlich zum Ekel geworden seid und daß ich allein sein will«, antwortete Raskolnikow ruhig.
»Allein sein willst du? Du kannst ja noch gar nicht gehen, und dein Gesicht ist weiß wie Leinwand, und du bekommst kaum Luft! Du Dummkopf! Was hast du hier im Kristallpalast zu suchen gehabt? Gestehe sofort!«
»Laß mich in Ruh!« erwiderte Raskolnikow und wollte vorbeigehen.
Aber dieses Benehmen versetzte nun Rasumichin völlig in Wut, und er faßte ihn kräftig an der Schulter.
»›Laß mich in Ruh?‹ Du wagst zu sagen: ›Laß mich in Ruh?‹ Weißt du wohl auch, was ich sofort mit dir tun werde? Ich packe dich mit beiden Armen, schnüre dich zu einem Bündel zusammen, trage dich unterm Arm nach Hause und schließe dich da ein!«
»Höre, Rasumichin«, begann Raskolnikow leise und scheinbar ganz ruhig, »siehst du denn nicht, daß ich deine Wohltaten nicht mag? Wie kann es dir nur Vergnügen machen, jemandem Wohltaten zu erweisen, der sich nicht das geringste daraus macht, sie vielmehr nur als drückende Last empfindet? Wozu hast du mich beim Beginn meiner Krankheit aufgesucht? Vielleicht wäre es mir ganz lieb gewesen, zu sterben! Nun, habe ich es dir heute nicht hinlänglich zu verstehen gegeben, daß du mich peinigst, daß du mir … zum Ekel geworden bist? Wahrhaftig, ein eigentümliches Vergnügen, andre Menschen zu peinigen! Ich versichere dir, daß all das ein ernstliches Hindernis für meine Wiederherstellung ist, weil es mich unaufhörlich aufregt. Sossimow ging doch vorhin eben deshalb fort, um mich nicht aufzuregen! Ich bitte dich inständig: laß auch du mich in Ruhe! Und schließlich, was für ein Recht hast du, mich mit Gewalt zurückzuhalten? Siehst du denn nicht, daß ich jetzt völlig bei klarem Verstande rede? Sag selbst: welche Gründe soll ich schließlich noch vorbringen, um dich dazu zu bewegen, daß du dich mir nicht weiter aufdrängen und mir keine Wohltaten mehr erweisen möchtest? Haltet mich meinetwegen für undankbar, für einen gemeinen Menschen; aber laßt mich alle in Ruhe, ich bitte euch flehentlich, laßt mich in Ruhe, laßt mich in Ruhe!«
Er hatte ruhig begonnen und sich im voraus über all das Gift gefreut, das er von sich zu geben beabsichtigte; aber er schloß in voller Wut und mit keuchendem Atem, wie vorher bei dem Gespräch mit Lushin.
Rasumichin stand ein Weilchen da, dachte nach und ließ dann seine Hand los.
»Scher dich zum Teufel!« sagte er leise und fast melancholisch. »Halt!« brüllte er plötzlich los, als Raskolnikow sich rührte, um fortzugehen, »hör mich mal an! Ich erkläre dir hiermit, daß ihr alle, ohne Ausnahme, weiter nichts als Schwätzer und Prahlhänse seid! Trifft euch einmal ein kleines Leid, so benehmt ihr euch damit wie eine Henne, die ein Ei legt! Auch bei solcher Gelegenheit kopiert ihr fremde Autoren. Keine Spur von eigenem, selbständigem Leben ist bei euch zu finden. Kerle wie aus Gallert und statt des Blutes Käsewasser in den Adern! Keinem von euch glaube ich etwas! Die Hauptsache ist euch in allen Lagen immer, euch nur ja nicht wie ein Mensch zu benehmen. Halt! Halt!« schrie er mit gesteigerter Wut, als er merkte, daß Raskolnikow wieder Miene machte, wegzugehen. »Hör mich zu Ende! Du weißt, ich bekomme heute Besuch zur Einweihung meiner neuen Wohnung; vielleicht sind meine Gäste in diesem Augenblicke auch schon da; ich habe meinen Onkel dort gelassen (ich war vorhin eben noch einmal auf einen Sprung dort), damit er die Gäste empfängt. Wenn du also nicht ein Esel wärest, ein ganz dummer Esel, ein rechter Quadratesel, eine bloße Übersetzung aus einer fremden Sprache,… siehst du, Rodja, ich gebe zu, daß du ein verständiger junger Mann bist, aber ein Esel bist du! – also, wenn du nicht ein Esel wärest, so würdest du lieber heute mich besuchen und den Abend bei mir zubringen, als so zwecklos die Stiefelsohlen ablaufen. Ausgegangen bist du ja nun doch einmal; das ist nicht mehr zu ändern! Ich würde dir einen schön weichen Lehnstuhl hinstellen, meine Wirtsleute haben einen… Ein Täßchen Tee, anregende Gesellschaft… Oder du kannst auch auf der Chaiselongue liegen – du liegst dann doch mitten unter uns… Sossimow ist auch da. Nun, wirst du kommen?«
»Nein.«
»Dein ›Nein‹ besagt gar nichts!« rief Rasumichin ungeduldig. »Woher willst du das wissen, daß du nicht kommen wirst? Du kannst für deine künftigen Handlungen keine Bürgschaft übernehmen! Und du hast auch gar kein Verständnis für die Situation. Ich habe mich schon tausendmal ganz ebenso mit andern Leuten aufs gröbste verzankt und bin dann doch wieder zu ihnen hingegangen,… man schämt sich und kehrt dann wieder zu dem Betreffenden zurück. Also vergiß nicht: im Potschinkowschen Hause, im zweiten Stock…«
»In Ihrer Lust, Wohltaten zu erweisen, Herr Rasumichin, kommen Sie womöglich noch dahin, sich von demjenigen, dem Sie sich aufdrängen, ruhig durchprügeln zu lassen.«
»Durchprügeln? Mich? Für den bloßen Gedanken reiße ich ihm die Nase ab! Das Potschinkowsche Haus, Nr. 47, in der Wohnung des Beamten Babuschkin…«
»Ich komme nicht, Rasumichin!«
Raskolnikow wandte sich um und ging fort.
»Ich wette darauf, daß du kommst!« rief Rasumichin ihm nach. »Sonst bist du … Sonst will ich gar nichts mehr von dir wissen! – He, warte mal! Ist Sametow da drin?«
»Ja.«
»Hast du ihn gesehen?«
»Ja.«
»Hast du auch mit ihm gesprochen?«
»Ja.«
»Worüber denn? Na, hol dich der Kuckuck, dann sag es nicht; ist mir auch gleich. Also: Haus Potschinkow, 47, Wohnung von Babuschkin, vergiß das nicht!«
Raskolnikow ging bis zur Sadowaja-Straße und bog dort um die Ecke. Rasumichin sah ihm in Gedanken versunken nach. Dann machte er mit der Hand eine Gebärde, die etwa besagte: ›Es ist nichts mit ihm anzufangen!‹ und wendete sich dem Eingange zu; aber noch auf den Stufen СКАЧАТЬ