Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher. Стендаль
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher - Стендаль страница 40

Название: Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher

Автор: Стендаль

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788026824862

isbn:

СКАЧАТЬ um dieselbe Zeit werde ich mir die Ehre nehmen, wiederzukommen«, erklärte er endlich.

      Im Wahne, es sei ein leichtes, einen so jungen Menschen zu dirigieren, hielt ihm Chélan eine lange Rede. Mit demütigster Miene und Haltung hörte Julian zu, ohne den Mund aufzutun.

      Als er endlich entlassen ward, eilte er zu Frau von Rênal, um sie zu verständigen. Er fand sie in heller Verzweiflung. Ihr Mann hatte eben ein ziemlich offenes Wort mit ihr gesprochen. Infolge seiner kraftlosen Natur und aus Rücksicht auf die Erbtante in Besançon hatte er sich entschlossen, seine Frau als völlig schuldlos zu betrachten. Er hatte ihr erzählt, wie es um ihren Ruf im Munde der Leute stand. Er wisse, es sei unwahr, neidischer Klatsch; immerhin müsse etwas geschehen.

      Einen Augenblick lang hatte sich Frau von Rênal eingebildet, Julian könne Valenods Anerbieten annehmen und somit in Verrières verbleiben. Aber sie war nicht mehr die naive scheue Frau wie noch im Jahre vorher. Ihre verhängnisvolle Leidenschaft und die Stürme ihres Gewissens hatten ihr den Blick geschärft. Während ihr Mann noch redete, ward es ihr zu Ihrem Schmerze von selber klar, daß zum mindesten eine vorübergehende Trennung unvermeidlich geworden war. »Fern von mir«, sagte sie sich, »wird ihn der Ehrgeiz von neuem packen. Das ist ganz natürlich bei einem Menschen, der nichts besitzt. Und ich – großer Gott – ich bin so reich! Reich und doch nicht glücklich! Draußen in der Welt wird er mich vergessen. Andre werden ihn lieben. Er wird wieder lieben. Ach, ich Ärmste! Aber darf ich klagen? Der Himmel ist gerecht. Meine Sünde hat mich blind gemacht. Ich hätte Elise durch Geld zum Schweigen verpflichten müssen. Nichts war leichter. Aber ich habe mir nicht die Mühe gemacht, darüber auch nur einen Augenblick nachzudenken. Meine tolle Liebesträumerei nahm alle meine Zeit in Anspruch. Nun bin ich dem Untergang geweiht.«

      Über etwas war Julian stark verwundert. Als er der Geliebten die schreckliche Mitteilung machte, daß er scheiden müsse, begegnete er keinem selbstsüchtigen Widerspruch.

      »Wir müssen gefaßt sein, mein lieber Freund!« sagte sie und schnitt sich eine Haarlocke ab. »Ich weiß nicht, was aus mir werden wird, aber wenn ich sterben sollte, so versprich mir, meine Kinder niemals zu vergessen. Ihnen fern und nah, mußt du sorgen, daß sie tüchtige Menschen werden. Sollte eine neue Revolution ausbrechen, so macht man allen Adligen den Prozeß. Dann ist ihr Vater am Ende gezwungen, ins Exil zu wandern, wegen des Bauern vielleicht, den man von seinem Dache heruntergeschossen hat. Wache über die Meinen! Gib mir deine Hand! Lebe wohl, mein lieber Freund! Unsre letzte Stunde ist gekommen. Habe ich das überwunden, dann werde ich auch die Kraft haben, den rechten Weg wiederzufinden.«

      Julian hatte Verzweiflungsausbrüche erwartet. Die Schlichtheit dieses Abschiedes rührte ihn tief.

      »Nein!« rief er aus. »So wollen wir nicht voneinander gehen! Ich verlasse dich. Die Menschen wollen es so. Du selbst willst es. In drei Tagen aber komme ich ein letztes Mal heimlich zu dir.«

      Frau von Rênal war wie gewandelt. Julian liebte sie also wirklich! Würde er sonst auf den Gedanken kommen, sie noch einmal zu besuchen? Ihr gräßlicher Schmerz schlug in die höchste Freude um, die sie je in ihrem Leben empfunden hatte. Sie fühlte sich von aller Last befreit. Die Gewißheit, den Geliebten noch einmal zu besitzen, nahm der Trennungsstunde alle Bitternis. Von diesem Moment an war sie in Wesen und Haltung durch und durch edel, fest und vornehm.

      Herr von Rênal kam bald zurück; er war außer sich. Zum ersten Male erwähnte er seiner Frau gegenüber jenen anonymen Brief, den er vor acht Wochen erhalten hatte.

      »Ich werde den Wisch mit in den Klub nehmen und aller Welt kundtun, daß er von Valenod herrührt, diesem Lumpen, dem ich geholfen habe, vom Habenichts zu einem der reichsten Bürger von Verrières emporzukommen. Ich werde ihm vor Zeugen ins Gesicht sagen, daß er den Brief geschrieben hat, und mich mit ihm schießen. Ich habe die Sache satt.«

      »Ich kann Witwe werden! Allmächtiger!« dachte Frau von Rênal. Aber schon im nämlichen Augenblick sagte sie sich: »Wenn ich dieses Duell nicht verhindere – und das kann ich auf jeden Fall –, dann bin ich die Mörderin meines Mannes!«

      Noch nie hatte sie ihn so geschickt bei seiner Eitelkeit gefaßt wie jetzt. In kaum zwei Stunden brachte sie es zuwege, daß er durch Gründe, die er selbst zu finden sich einbildete, der Meinung ward, gegen Valenod liebenswürdiger denn je sein zu müssen. Sogar Elise müsse wieder ins Haus genommen werden. (Dies vorzuschlagen fiel ihr sehr schwer; denn das Mädchen trug die Schuld an all ihrem Unglück. Der Gedanke kam von Julian.) Zu guter Letzt gelangte er ohne weitere Nachhilfe zu der ihm allerdings pekuniär wenig erfreulichen Einsicht, daß es angesichts des allgemeinen erbitterten Klatsches das allermißlichste wäre, wenn Julian – etwa als Hauslehrer im Hause Valenods – in Verrières verblieb. Rein wirtschaftlich betrachtet, konnte Julian kaum besseres tun, als das Angebot des Armenamtsvorstandes anzunehmen. Das war klar. Das beste hingegen für Herrn von Rênal war es, wenn Julian Verrières verließ und nach Besançon oder Dijon auf das Priesterseminar ging. Aber wie sollte man den jungen Mann dazu bringen? Und wovon sollte er dort seinen Unterhalt bestreiten?

      Als Rênal die Notwendigkeit eines Geldopfers erkannte, verfiel er weit größerer Verzweiflung als vordem seine Frau. Sie hatte sich mit ihrem Schicksal abgefunden. Nach der Unterredung mit ihrem Mann hatte sie den Zustand errungen, in dem sich ein mutiger Mann befindet, der, müde des Lebens, eben Gift genommen hat. Er steht dem Leben neutral gegenüber. Schon schaut er die Welt in der Verklärung. In diesem Sinne hat Ludwig der Vierzehnte in seiner Todesstunde gesagt: »Als ich König war …« Ein großartiges Wort!

      Es war kein leichtes Stück Arbeit, Herr von Rênal von dem Vorsatz, Valenod zu brüskieren, dahin umzustimmen, daß er Julian zunächst für ein Jahr sechshundert Franken Seminarzuschuß auszusetzen bereit war. Tausendfach verwünschte er den Tag, an dem er den so verhängnisvollen Plan gefaßt hatte, einen Hauslehrer zu nehmen.

      Sein einziger Trost war ein Gedanke, den er seiner Frau verheimlichte. Durch Geschicklichkeit und mit Hilfe der romantischen Phantasie Julians hoffte er ihn dahin zu bringen, daß er sich schon für eine geringere Summe verpflichtete, Valenods Angebot auszuschlagen.

      Noch mehr Mühe hatte Frau von Rênal, als sie Julian beweisen mußte, daß er eine Entschädigung ohne Bedenken annehmen könne, da er ja der Ehre ihres Mannes ein Opfer bringe, wenn er auf die ihm vor Zeugen angebotene Stelle mit achthundert Franken Gehalt im Hause Valenods verzichte.

      »Aber ich habe doch nie einen Augenblick daran gedacht, die Stelle anzunehmen«, wandte Julian immer wieder ein. »Du hast mich zu sehr an das aristokratische Leben gewöhnt. Ich würde unter diesen groben Leuten zugrunde gehen.«

      Die grausame Notwendigkeit beugte schließlich Julians Eigensinn mit eiserner Faust. Aber in seinem Hochmute gedachte er die vom Bürgermeister gebotene Summe höchstens als Darlehen zu nehmen und ihm dafür einen Schuldschein auszustellen, der samt Zinsen in fünf Jahren fällig sein sollte.

      Frau von Rênal erinnerte sich, daß noch einige tausend Franken in der Grotte oben in den Bergen vergraben lagen. Obwohl sie wußte, daß Julian dieses Geld voll Entrüstung ablehnen werde, bot sie es ihm doch zaghaft an.

      »Willst du mir die Erinnerung an unsre Liebe vergällen?« fragte er.

      So verließ Julian das Städtchen. Herr von Rênal war selig. Im schicksalsreichen Augenblicke des Abschiedes brachte es Julian nicht übers Herz, Geld von ihm zu nehmen. Er wies es kurz und würdig ab. Der Bürgermeister fiel ihm tränenden Auges um den Hals. Julian hatte ihn um ein Zeugnis gebeten. In seiner Begeisterung fand Rênal nicht hochtrabende Worte genug, Julians Fähigkeiten und seine Führung ins rechte Licht zu setzen.

      Der Scheidende besaß hundert Franken Ersparnisse. Die gleiche Summe nahm er sich vor, von seinem Freunde Fouqué zu leihen.

      Tiefbewegt ging er. Aber kaum war er von Verrières, СКАЧАТЬ