Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher. Стендаль
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Читать онлайн книгу Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher - Стендаль страница 43

Название: Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher

Автор: Стендаль

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788026824862

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СКАЧАТЬ leise fuhr sie fort: »Was andre mit einem Taler bezahlen, soll Sie nur zehn Groschen kosten! Ich möchte Sie nicht Ihrer Ersparnisse berauben.«

      »Ich besitze zweihundert Franken«, entgegnete Julian.

      »Allmächtiger!« erwiderte die Dicke ängstlich. »Sagen Sie das nicht so laut! Hier in Besançon gibt es sehr viel Gauner. Man maust Ihnen Ihr Geld im Handumdrehen. Meiden Sie vor allem die Kaffeehäuser! Dort wimmelt es von Spitzbuben.«

      »Das will ich glauben!« meinte Julian mit einem Male nachdenklich.

      »Kommen Sie nur immer zu mir! Ich werde Ihnen einen guten Kaffee kochen. Vergessen Sie nicht, daß Sie hier stets eine Freundin und ein anständiges Mittagessen für einen Franken finden. Das lassen Sie sich hoffentlich gesagt sein. Jetzt setzen Sie sich zu Tisch. Ich werde Sie selbst bedienen.«

      »Ich werde nicht viel essen können«, entgegnete er. »Ich bin zu aufgeregt. Wenn ich Sie verlassen habe, trete ich in das Seminar ein.«

      Die brave Frau entließ ihn nicht, ohne ihm die Taschen mit allerlei Vorräten vollgestopft zu haben. Endlich machte er sich auf nach dem Schreckensort. Die Wirtin wies ihm vor dem Tore den Weg.

      25. Kapitel

      Schon von weitem erblickte Julian das vergoldete Eisenkreuz über dem Portal. Langsam schritt er darauf zu. Seine Beine versagten ihm geradezu den Dienst. »Hier stehe ich also vor der Hölle auf Erden, der ich nicht mehr entrinnen kann!« seufzte er.

      Nach langem Zögern entschloß er sich, an der Klingel zu ziehen. Der Klang der Glocke hallte unheimlich laut wie durch ein verlassenes Haus. Nach zehn Minuten erschien ein blasser schwarzgekleideter Mann und öffnete. Julian sah ihn an und schlug sofort die Augen nieder. Es war der Torwart. Er hatte ein sonderbares Gesicht. Seine vorgequollenen grünen Augen hatten längliche Pupillen wie die einer Katze, und die unbeweglichen Lider verrieten vollkommenen Mangel an Mitgefühl. Seine vorstehenden Zähne waren von dünnen gähnenden Lippen umrahmt. Auf einen jungen Menschen wirkt ein Verbrechergesicht nicht so schrecklich wie das eines völlig Gefühllosen. Mit dem einen raschen Blick in sein mageres frommes Gesicht hatte Julian erkannt, daß dieser Mann alles verachtete, was nichts mit dem Himmel zu tun hatte.

      Julian zwang sich, seine Augen wieder aufzuschlagen, und erklärte mit zitternder Stimme, vor Herzklopfen, daß er den Herrn Abbé Pirard, den Direktor des Seminars, zu sprechen wünsche. Ohne ein Wort zu erwidern, bedeutete der Schwarzröckige ihm zu folgen.

      Sie gingen eine breite Treppe hinauf; sie hatte ein Holzgeländer und ausgetretene Stufen, die auf der Innenseite so schief waren, daß es aussah, als wollten sie einstürzen. Oben öffnete der Pförtner eine kleine knarrende Tür, über der ein hohes, schwarz angestrichenes Kirchhofskreuz aus gewöhnlichem Holze angebracht war, und ließ Julian in ein niedriges dunkles Zimmer treten, an dessen weißgetünchten Wänden zwei große von der Zeit gedunkelte Gemälde hingen.

      Julian blieb allein. Sein Herz pochte heftig. Er war halbtot. Am liebsten hätte er geweint. Im ganzen Gebäude herrschte Totenstille.

      Nach einer Viertelstunde, die ihm so lang vorkam wie ein ganzer Tag, erschien der Pförtner finsteren Gesichts an der entgegengesetzten Seite des Gemaches wieder, auf der Schwelle einer Tür, und winkte ihm, ohne ihn eines Wortes zu würdigen.

      Julian trat in ein saalartiges, wiederum sehr düsteres Zimmer. Auch hier waren die Wände weiß getüncht. Im ersten Moment kam ihm der Raum unmöbliert vor. Aber im Weitergehen erblickte er in einer Ecke an der Tür eine Holzbettstelle, zwei Stühle mit Strohgeflecht und einen Lehnstuhl aus blankem Holz ohne Polsterung. Am andern Ende des Zimmers schimmerte ein kleines Fenster mit verwetterten Scheiben. Auf dem Fensterbrett standen ein paar vernachlässigte Blumenstöcke. Dort, an einem Tische, saß ein Mann in einem fadenscheinigen Priesterrocke. Offenbar mißgelaunt, hantierte er mit einem Stoß viereckiger Kärtchen. Auf jedes kritzelte er nacheinander ein paar Worte. Von der Anwesenheit der beiden Eintretenden nahm er keine Kenntnis.

      Unbeweglich verharrte Julian mitten im Zimmer auf dem Flecke, wo ihn der Pförtner stehengelassen hatte, ehe er wieder ging und die Tür hinter sich schloß. So verstrichen zehn Minuten. Der Mann in der schäbigen Soutane schrieb immer weiter. Julians Aufregung und Grauen wurden so stark, daß er nahe am Umsinken war; aber es war keineswegs der Eindruck des Häßlichen auf eine schönheitsliebende Seele.

      Jetzt hob der Schreibende den Kopf. Julian bemerkte es erst einen Augenblick später, und selbst nach dieser Wahrnehmung blieb er stumm und starr stehen, als hätte ihn der schreckliche Blick, der ihn getroffen, versteinert. Es schwamm ihm vor den Augen. Kaum erkannte er ein schmales Gesicht, das über und über mit roten Flecken bedeckt war. Nur die Stirn war frei davon und totenbleich. Zwischen dem Rot der Backen und dem Weiß der Stirn funkelten zwei kleine schwarze Augen, vor denen auch der Tapferste erschrocken wäre. Um die maßlos hohe Stirn hing dichtes flachgestrichenes rabenschwarzes Haar.

      »Wollen Sie näher kommen oder nicht?« herrschte ihn der Mann nach einer Weile ungeduldig an.

      Unsicheren Schrittes ging Julian näher an ihn heran. Es war ihm, als solle er umfallen. In seinem ganzen Leben war er nicht so blaß gewesen. Drei Schritte vor dem rohen Holztische, auf dem die Papiere lagen, blieb er stehen.

      »Näher heran!« gebot der Mann.

      Julian trat dicht heran und streckte unwillkürlich eine Hand vor, wie um sich auf etwas stützen zu wollen.

      »Sie heißen?«

      »Julian Sorel.«

      »Sie treffen recht spät ein«, brummte der Mann und sah ihn abermals mit einem bösen Blick an.

      Den konnte Julian nicht ertragen. Er streckte von neuem die Hand aus, als ob er sich an irgend etwas festhalten wolle, und fiel der Länge nach auf den Fußboden.

      Der Mann klingelte. Julian hatte das Sehvermögen und die Bewegungskräfte verloren. Aber er hörte, wie jemand kam.

      Man hob ihn auf und setzte ihn in den hölzernen Lehnstuhl. Dabei hörte er, wie der schreckliche Mann zu der andern Person sagte: »Er hat offenbar die Fallsucht. So einen können wir gerade gebrauchen!«

      Als Julian seine Augen zu öffnen imstande war, saß der Mann mit dem roten Gesichte wieder beim Schreiben. Der Pförtner war verschwunden. »Ich muß mich zusammenraffen«, nahm sich Julian vor, »und mir vor allem nicht anmerken lassen, was in mir vorgeht!« Es war ihm hundeelend zumute. »Wenn mir etwas zustößt: was wird man von mir denken?«

      Endlich hörte der Mann auf zu schreiben und sah Julian von der Seite an.

      »Sind Sie so weit, daß Sie mir antworten können?« fragte er.

      »Jawohl, Herr…«, erwiderte Julian mit schwacher Stimme.

      »Na, das ist ja schön!«

      Der Schwarzröckige hatte sich halb erhoben und wühlte ungeduldig im Schubfache seines Tannenholztisches, das knarrend aufging. Er suchte nach einem Briefe. Als er ihn gefunden, setzte er sich langsam wieder hin und warf Julian nochmals einen Blick zu, der ihm das bißchen Leben, das er noch im Leibe hatte, beinahe nahm.

      »Sie sind mir vom Pfarrer Chélan empfohlen«, brummte er. »Ein Mustermensch ohnegleichen, dieser Chélan, seit dreißig Jahren mein Freund.«

      »So habe ich die Ehre, mit Herrn Abbé Pirard zu sprechen«, lispelte Julian, kaum imstande zu reden.

      »Allerdings«, erwiderte der Seminardirektor mit ärgerlicher Miene. Seine kleinen Augen СКАЧАТЬ