Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher. Стендаль
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher - Стендаль страница 39

Название: Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher

Автор: Стендаль

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788026824862

isbn:

СКАЧАТЬ das schwierigste bei der Sache war, das Eintrittsgeld zu erschwingen. Der Parkettplatz kostete vier Groschen. Eine kolossale Summe, nicht?«

      Er blinzelte die Kinder an, die laut lachten.

      »Signor Giovannone, der Herr Direktor von San Carlino, hörte mich eines schönen Tages singen. Ich war nun sechzehn Jahre alt. ›Du bist ein Goldkerl! ‹ erklärte er und fragte mich: ›Soll ich dich engagieren, Verehrtester? ‹ – ›Was wollen Sie mir zahlen? ‹ erwiderte ich ihm. – ›Vierzig Dukaten Monatsgage! ‹

      Meine Herren, vierzig Dukaten sind einhundertundsechzig Franken! Ich war im siebenten Himmel. ›Sagen Sie mir mal ‹ , entgegnete ich, ›wie komme ich aber von dem gestrengen Signor Zingarelli los? ‹ – › Lascia fare a me! ‹ Wißt ihr, was das heißt?«

      »Lassen Sie mich nur machen!« rief der älteste kleine Rênal.

      »Richtig, mein Junge! Des weiteren sagte mir Signor Giovannone: ›Caro, erst mal ein Verträgelchen! ‹ Ich unterschreibe das Ding und bekomme drei Dukaten Draufgeld. Noch nie in meinem ganzen Leben hatte ich so viel Mammon auf einem Haufen gesehen. Sodann instruierte er mich, wie ich mich verhalten sollte.

      Am andern Tage bitte ich um eine Audienz beim schrecklichen Signor Zingarelli. Sein uralter Leibkammerdiener läßt mich eintreten. ›Was willst du von mir, du Galgenstrick? ‹ brüllt mich der Meister an. – ›Maestro ‹, sag ich, ›ich bereue meine Sünden. Ich will nie wieder aus dem Conservatorio ausrücken, über das eiserne Staket weg. Ich will der Allerfleißigste werden. ‹ – ›Wenn ich nicht Angst hätte, den schönsten Baß, den ich je gehört, zu verderben, würde ich dich bei Wasser und Brot vierzehn Tage einsperren, du Schlingel. ‹ – ›Maestro ‹, sage ich wiederum, ›ich will das Musterbild der ganzen Schule werden. Credete a me! Nur um eine Gnade bitte ich ganz gehorsamst: wenn jemand kommt und mich haben will, damit ich draußen singe, – dann geben Sie mich um keinen Preis der Welt her! Ich bitte Sie flehentlichst: sagen Sie, Sie könnten nicht! ‹ – ›Wer zum Teufel sollte denn einen Taugenichts wie dich haben wollen? Übrigens entlasse ich dich noch lange nicht aus dem Conservatorio. Du willst dich wohl über mich lustig machen? Raus! ‹ Er will mir einen Tritt in den Allerwertesten verabreichen. ›Raus! ‹ wiederholt er. ›Oder ich sperr dich ein! ‹

      Eine Stunde später kommt mein Signor Giovannone zum Direktor. ›Ich möchte Sie bitten ‹, beginnt er, ›mir zum Millionär zu verhelfen. Geben Sie mir Geronimo! Er soll an meinem Theater singen. Diesen Winter wird meine Tochter heiratsfähig. ‹ – ›Was wollen Sie mit dem Racker? ‹ gröbst ihn Meister Zingarelli an. ›Da wird nichts draus. Ich geb ihn nicht her. Und wenn ichs auch erlaubte: er wird das Conservatorio nie und nimmermehr verlassen wollen. Eben erst hat er mirs hoch und heilig geschworen. ‹ – ›Wenn sichs nur darum handelt, ob er will ‹, meint Giovannone gravitätisch und zieht meinen Kontrakt aus der Tasche. › Carta canta! Hier ist seine Unterschrift! ‹

      Zingarelli reißt wütend an der Klingel. Der Hausdiener erscheint und erhält den Befehl zugebrüllt: ›Geronimo fliegt zum Conservatorio hinaus! Auf der Stelle! ‹

      So war ich hinausgeflogen und lachte mir ins Fäustchen. Am selben Abend sang ich die Arie del Moltiplico. Polichinell will heiraten und zählt alle Gegenstände, die er in seinem Haushalt braucht, an den Fingern auf, wobei er sich fortwährend verrechnet…«

      »Ach, singen Sie uns doch diese Arie!« bat Frau von Rênal.

      Geronimo tat es, und alles lachte bis zu Tränen. Erst nachts um zwei Uhr ging man schlafen. Die ganze Familie war von den guten Manieren, der Liebenswürdigkeit und dem Frohsinn des Sängers bezaubert.

      Am andern Tage händigten ihm Herr und Frau von Rênal die Briefe ein, die er zur Einführung in die Pariser Hofgesellschaft brauchte.

      »Also überall Lug und Trug!« seufzte Julian. »Jetzt geht dieser Signor Geronimo nach London gegen sechzigtausend Franken Honorar. Ohne die Gerissenheit des Direktors von San Carlino wäre seine göttliche Stimme vielleicht erst zehn Jahre später bekannt und berühmt geworden. Beim Teufel, ich wäre lieber ein Geronimo als ein Rênal. Gesellschaftlich gilt ein Rênal ja mehr, dafür hat ein Geronimo weniger Verdruß mit dem großen Haufen, und seine Tage sind voller Sonne.«

      Über etwas war Julian sehr erstaunt. Die letzten Wochen, die er für sich allein in Verrières verbracht hatte, waren ihm eine Zeit des Glückes gewesen. Verstimmung und Trübsal hatten ihn nur heimgesucht, wenn er zu den Diners eingeladen war, die seinetwegen gegeben wurden. Aber im einsamen Rênalschen Hause hatte er nach Herzenslust lesen, schreiben und grübeln können, ohne dabei gestört zu werden. Nicht wie sonst wurde er alle Augenblicke aus seinem leuchtenden Traumlande gejagt und in die Notwendigkeit versetzt, das Gangwerk von Alltagsseelen zu ergründen und sich durch Heucheleien in Wort und Tat vor ihnen zu schützen.

      »Liegt das Gestade des Glücks so nahe?« fragte er sich. »Das Fahrgeld dorthin ist eigentlich gering. Ich brauchte bloß Elise zu heiraten oder Fouqués Teilhaber zu werden. Ja, der Wandersmann, der das Hochgebirge erklimmt, ist wohl glücklich, wenn er einmal gemütlich rasten darf. Sollte er aber ewig verweilen, so wäre er todunglücklich.«

      Frau von Rênal kam auf viel gefährlichere Gedanken. Sie hätte ihrem Manne ohne Besinnen ihr Leben geopfert, wenn sie ihn in Gefahr gesehen hätte, denn sie war eine jener hochherzigen Romantikerinnen, die sich verpaßte Gelegenheiten zu edlen Taten ebenso vorwerfen, als hätten sie ein Verbrechen begangen. Gleichwohl hatte sie düstre Tage, an denen sie sich der glückhaften Vorstellung, plötzlich Witwe werden und Julian heiraten zu können, nicht erwehren konnte.

      Julian liebte ihre Söhne weit zärtlicher als der eigene Vater, und trotz seiner strengen Gerechtigkeit waren sie vernarrt in ihn. Sie fand sich damit ab, ihr geliebtes waldumrauschtes Vergy verlassen zu müssen, wenn sie Julians Frau würde. Im Geiste sah sie sich in Paris wohnen, mit der Erziehung ihrer Kinder beschäftigt, von aller Welt darob bewundert. Die Kinder, sie selbst und Julian, alle waren glücklich …

      Die moderne Ehe hat sonderbare Begleiterscheinungen, Ist vor der Heirat Liebe vorhanden, so stirbt sie sicher in der Langweile des ehelichen Beieinanders. Zumal bei Eheleuten, die reich genug sind, um nicht arbeiten zu müssen, stellt sich gründlicher Widerwille gegen das geruhsame Eheglück ein. Und nur die phantasielosen Frauen gehen an Liebschaften und Liebeleien vorbei, anstatt sich kopfüber in sie zu stürzen.

      Der Herbst und der Anfang des Winters gingen rasch vorüber. Endlich mußte man den Wäldern von Vergy Lebewohl sagen. Die gute Gesellschaft von Verrières war längst entrüstet, daß ihr Bannspruch so wenig Eindruck auf den Bürgermeister machte. Die ganze Stadt war voll des Klatsches über den Skandal im Rênalschen Hause.

      Kaum war Herr von Rênal in Verrières, als sich seine ehrsamsten Mitbürger an die ihren gewohnten Stumpfsinn genußreich unterbrechende Mission machten, ihm in höchst gewichtigen Ausdrücken den schlimmsten Verdacht gegen seine Frau beizubringen. Valenod, der vorsichtige Schlaumeier, hatte Elise in einem angesehenen Hause untergebracht. Von selbst kam sie auf den nützlichen Gedanken, dem alten wie dem neuen Pfarrer bis in alle Einzelheiten zu beichten, was sie über Julians Liebschaft wußte.

      Am Tage nach der Ankunft der Familie Rênal in Verrières ließ Chélan Julian bereits früh um sechs Uhr zu sich kommen.

      »Ich will nichts Näheres hören«, sagte er zu ihm, »ja, ich wünsche, oder wenn es sein muß, ich befehle Ihnen, daß Sie mir kein Wort sagen. Ich verlange nur, daß Sie binnen drei Tagen entweder nach Besançon in das Seminar oder zu Ihrem Freunde Fouqué gehen. Er ist nach wie vor bereit, Ihnen eine glänzende Zukunft zu schaffen. Ich habe alles vorgesehen und vorbereitet. Sie müssen fort von hier. Und vor einem Jahre lassen Sie sich in Verrières nicht wieder sehen.«

      Julian entgegnete nichts. Er überlegte sich, ob er СКАЧАТЬ