Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher. Стендаль
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Название: Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher

Автор: Стендаль

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788026824862

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СКАЧАТЬ schwelgt, eine Beute zu verschlingen.

      »Der Brief des Pfarrers Chélan ist kurz«, fuhr er wie im Selbstgespräch fort. » Intelligenti pauca! Heutzutage kann man sich nie kurz genug fassen.«

      Sodann las er laut vor:

      »Lieber Pirard,

      ich schicke Ihnen Julian Sorel aus unsrer Gemeinde. Ich habe ihn vor nun bald zwanzig Jahren getauft. Er ist der Sohn eines wohlhabenden Schneidemüllers, aber sein Vater gibt ihm kein Geld. Julian wird einmal ein tüchtiger Arbeiter im Weinberge des Herrn werden. An Gedächtnis und Auffassungsgabe fehlt es ihm nicht. Er versteht zu denken. Ob sein Drang zum geistlichen Stande ausdauert? Ist er aufrichtig?«

      Hier unterbrach sich Pirard: »Aufrichtig?« wiederholte er im Tone der Befremdnis und sah Julian scharf an. Aber schon war sein Blick menschenfreundlicher.

      »Aufrichtig?« brummte er nochmals. Dann las er weiter:

      »Ich bitte Sie um eine Freistelle für Julian Sorel. Er wird sich ihrer würdig erweisen, indem er die vorgeschriebenen Examina besteht. Ich habe ihm etwas Theologie beigebracht, etwas von der guten alten Gottesgelahrtheit von Bossuet, Arnault und Fleury. Wenn er Ihnen nicht zusagt, so schicken Sie mir ihn zurück. Der Vorstand des hiesigen Armenhauses, den Sie ja kennen, bietet ihm eine Hauslehrerstelle mit achthundert Franken im Jahre.

      Meine Seele hat ihren Frieden. Gottlob, ich überwinde den schweren Schlag nach und nach.

      Vale et ama me!

      Ihr Chélan.«

      Gegen das Ende des Briefes las der Abbé Pirard immer langsamer. Den Namen seines Freundes sprach er mit einem Seufzer aus.

      »Er hat seinen Frieden!« murmelte er vor sich hin. »Wahrlich, seine Tugend verdient diese Gnade. Wolle Gott mir das gleiche bescheren, wenn es mit mir so weit ist!« Er blickte gen Himmel und bekreuzigte sich.

      Beim Anblick dieser frommen Gebärde wich das tiefe Grauen, das ihn seit dem Eintritt in dieses Haus gelähmt hatte, allmählich von Julian.

      »Ich habe hier dreihunderteinundzwanzig Anwärter für den heiligen Stand«, sagte der Abbé Pirard nach einer kleinen Weile in strengem, doch nicht bösartigem Tone. »Davon sind mir sieben oder acht von ähnlichen Männern wie dem Pfarrer Chélan empfohlen. Somit sind Sie der neunte unter den dreihunderteinundzwanzig. Meine Protektion besteht nun aber nicht in Begünstigung und Nachsicht, sondern in doppelter Achtgabe auf Sie und in doppelter Strenge gegen die Sünde … Schließen Sie die Tür da!«

      Julian strengte sich an, zur Tür zu gehen. Es gelang ihm, ohne hinzusinken. Dabei bemerkte er, daß ein kleines Fenster neben der Tür hinaus ins Freie ging. Er sah Baumwipfel. Dieser Anblick tat ihm wohl, als grüßten ihn alte Freunde.

      » Loquerisne linguam latinam? (zu deutsch: Sprichst du Lateinisch?)« fragte der Abbé, als Julian wieder vor ihm stand.

      » Ita, pater optime! (Jawohl, ehrwürdiger Vater!)« antwortete Julian, nunmehr einigermaßen erholt. Noch nie in seinem Leben war ihm ein Mensch weniger ehrwürdig vorgekommen als der, vor dem er sich seit einer halben Stunde befand.

      Die Unterhaltung setzte sich auf lateinisch fort. Die Augen des Direktors blickten Julian sichtlich sanfter an. Mehr und mehr gewann er seine Selbstbeherrschung wieder. »Ich bin doch gar kein Held«, sagte er sich, »wenn ich mich durch diesen Scheinheiligen ins Bockshorn jagen lasse! Er wird ganz genauso ein Spitzbub sein wie in Verrières der Abbé Maslon.« Jetzt freute sich Julian, daß er den größern Teil seiner Barschaft in seinen Stiefeln versteckt trug.

      Pirard stellte mit ihm eine kurze theologische Prüfung an, wobei ihn Julians umfangreiche Kenntnisse überraschten. Seine Verwunderung steigerte sich, als er ihn über die Heilige Schrift befragte. Als er aber auf die Kirchenväter und ihre Dogmen zu sprechen kam, stellte er fest, daß Julian den heiligen Hieronymus, den heiligen Augustin, den heiligen Basilius und den heiligen Bonaventura kaum dem Namen nach kannte.

      »Ja, ja«, dachte Pirard bei sich, »da haben wir wieder die verhängnisvolle Neigung zum Protestantismus, die ich Chélan immer vorgeworfen habe: eine gründliche, viel zu gründliche Kenntnis der Bibel!« Julian hatte nämlich, ohne danach gefragt zu sein, von der wissenschaftlichen Entstehungsgeschichte der Genesis, des Pentateuch usw. gesprochen. »Wohin führt dies ewige Deuteln an der Heiligen Schrift?« dachte Pirard weiter. »Zu nichts denn zum Selbstkult, zum ärgsten Protestantismus! Wenn diesem bedenklichen Wissen wenigstens kirchengeschichtliche und dogmatische Kenntnisse die Waagschale hielten!«

      Den Höhepunkt aber erreichte des Direktors Erstaunen, als er Julian über die Autorität des Papstes examinierte. Er erwartete die Grundlehren der gallikanischen Kirche zu Gehör zu bekommen. Statt dessen sagte ihm der Prüfling das halbe Papstbuch von de Maistre her.

      »Ein sonderbarer Kauz, dieser Chélan!« sagte sich der Abbé im stillen. »Hat er ihm dieses Buch in die Hände gegeben, um ihn zum Spötter hierüber zu machen?«

      Die Fragen, die er stellte, um herauszubekommen, ob Julian wirklich an die Doktrin de Maistres glaubte, blieben erfolglos. Was der junge Mann gesagt, war offenbar nur gedächtnismäßig gewesen.

      Julian war inzwischen wieder in den Vollbesitz seiner körperlichen und geistigen Kräfte gelangt. Er fühlte, daß er wieder Herr seiner selbst war. Als die langwierige Prüfung ihr Ende fand, hatte er den Eindruck, als sei die Strenge des Herrn Seminardirektors gegen ihn kaum mehr echt. In der Tat, hätte Pirard nicht seit fünfzehn Jahren seinen Schülern gegenüber höchste Gemessenheit als unbedingt nötig erachtet, so hätte er den Neuling im Namen der Logik an sein Herz gedrückt. Die Klarheit und Knappheit seiner Antworten hatten ihn entzückt.

      »Ein gesunder und kühner Geist!« dachte er bei sich. »Allerdings: Corpus debile, (Leiblich schwach.)«

      »Fallen Sie öfters so hin?« fragte er auf französisch und wies mit der Hand nach der Diele.

      »Es war das erstemal in meinem Leben«, entgegnete Julian. »Ich war über das Gesicht des Pförtners so erschrocken.«

      Der Abbé Pirard lächelte unmerklich.

      »Aha! Die Suggestion des weltlichen Getues!« meinte er. »Sie sind an lachende Gesichter gewöhnt. Aber das sind Masken der Lüge. Die Wahrheit ist ernst, mein Lieber. Und ist unser Beruf hienieden nicht auch ernst? Sie müssen sich bemühen, jener Schwäche Herr zu werden. Sie sind zu empfänglich für das eitle Äußerliche!«

      Im weiteren ging er mit sichtlichem Vergnügen abermals zu lateinischer Rede über. »Wenn Sie mir nicht durch einen Mann von der Art des Pfarrers Chélan empfohlen wären, würde ich mit Ihnen in der Sprache der profanen Menschheit sprechen, an die Sie allzusehr gewöhnt sind. Eine volle Freistelle im Seminar, die Sie haben möchten, wird nur höchst selten gewährt. Aber der Pfarrer Chélan, ein Mann, der sechsundfünfzig Jahre apostolischer Arbeit gewidmet hat, verfügt selbstverständlich über eine volle Freistelle.«

      Sodann warnte der Abbé Pirard den nunmehrigen Seminaristen, ohne seine Genehmigung in eine Kongregation oder sonst welche geheime Gesellschaft einzutreten.

      »Ich gebe Euer Hochehrwürden mein Ehrenwort«, versicherte Julian, in der Offenherzigkeit des Ehrenmannes.

      Der Seminardirektor lächelte zum ersten Male deutlich.

      »Ihr Ehrenwort? Das gibt es hier nicht«, sagte er. »Das ist etwas allzu Weltliches. Die selbstgefällige Ehre der Weltkinder führt zu so vielen Sünden und oft gar zu Verbrechen. Sie schulden mir Gehorsam nach Punkt 17 der päpstlichen Bulle Unam ecdesiam Seiner СКАЧАТЬ