Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher. Стендаль
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Читать онлайн книгу Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher - Стендаль страница 35

Название: Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher

Автор: Стендаль

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788026824862

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СКАЧАТЬ er doch. Zuweilen läßt er es am Takt fehlen. Er bildet sich ein, wunder wie artig zu sein, wenn er einem überschwengliche geschmacklose Komplimente macht. Und das tut er häufig. Wahrscheinlich hat er sie aus irgendwelchen Romanen…«

      »Unsinn! Er liest ja gar keine«, fuhr Herr von Rênal dazwischen. »Das weiß ich bestimmt. Denke nur nicht etwa, ich sei so blind, daß ich gar nicht wüßte, was in seiner Stube vorgeht!«

      »So! Um so schlimmer für ihn! Wenn er seine törichten Komplimente aus keinem Romane hat, dann erfindet er sie eben selber. In dem Tone wird er von mir auch in Verrières gesprochen haben. Aber das brauchen wir nicht einmal anzunehmen …«

      Frau von Rênal machte eine kleine Pause und tat, als ginge ihr ein Licht auf. Sodann fuhr sie fort: »Julian braucht in dem Stile nur mit Elise geschwatzt zu haben. Das ist genau dasselbe, als hätte er es Valenod ins Gesicht gesagt …«

      »Donner und Doria!« schrie Rênal und schlug so derb auf den Tisch, daß alles im Zimmer wackelte. »Der anonyme Brief mit der verfluchten Kleberei und Valenods Süßholzgeraspel haben das gleiche Papier!«

      »Das hat lange gedauert!« dachte Frau von Rênal. Sie gab sich den Anschein, als drücke diese Entdeckung sie zu Boden. Gleichsam sprachlos setzte sie sich still in der andern Ecke des Salons auf das Sofa.

      Die Schlacht war so gut wie gewonnen. Nur hatte Frau von Rênal viel Mühe, ihren Mann daran zu hindern, zu dem vermeintlichen Schreiber des anonymen Briefes zu laufen und ihn zur Rede zu stellen.

      »Sagst du dir nicht selbst, daß es das allerverkehrteste wäre, Valenod ohne genügende Beweise eine Szene zu machen? Du bist vielbeneidet. Und warum? Wegen deiner Fähigkeiten. Wegen deiner vorzüglichen Amtstätigkeit. Wegen deiner geschmackvollen Bauten. Wegen der Mitgift, die ich dir eingebracht habe und ganz besonders wegen der großen Erbschaft, die uns von unsrer guten Tante her winkt, wenngleich man sie wohl stark überschätzt. Alles das hat dich zur Hauptperson von Verrières gemacht …«

      »Du vergißt meine Herkunft«, fügte Herr von Rênal hinzu. Er sah nicht mehr so finster aus.

      »Nein, nein!« fuhr sie eifrigst fort. »Du bist einer der vornehmsten Edelleute der Gegend. Wenn der König machen könnte, was er möchte, wenn er den Aristokraten zu ihren Rechten verhelfen könnte, so würdest du zweifellos in der Pairs-Kammer sitzen und wer weiß was sein. Und bei dieser Superiorität willst du deinen Neidern eine Blöße bieten? Mit Valenod von seinem anonymen Briefe sprechen, das hieße vor ganz Verrières, – was sag ich! – vor Besançon und dem ganzen Regierungsbezirk öffentlich kundgeben, daß dieser Spießbürger, den ein Rênal unbedachterweise seiner Freundschaft gewürdigt hat, imstande war, ihn zu beleidigen. Wenn die Briefe, die du dir gewaltsam angeeignet hast, ein Beweis wären, daß ich Valenods Liebe erwidert hätte, so müßtest du mich töten. Das hätte ich dann tausendfach verdient. Aber zum Zeugen deines Zornes darfst du ihn niemals machen. Vergegenwärtige dir, daß alle unsre Nachbarn nur auf einen Anlaß lauern, über dich herzufallen! Vergegenwärtige dir, daß du im Jahre 1816 der Urheber gewisser Verhaftungen warst. Der Mann, der sich auf das Dach seines Hauses geflüchtet hatte …«

      »Ich vergegenwärtige mir«, unterbrach Rênal sie heftig, »daß du gegen mich weder Rücksicht noch Freundschaft kennst!« Die volle Bitternis der Erinnerung an jene Dinge sprach aus ihm. »Wenn ich wenigstens Pair geworden wäre!«

      »Ich denke, mein Lieber«, erwiderte Frau von Rênal lächelnd, »daß ich einmal reicher sein werde denn du, daß ich seit zwölf Jahren deine Kameradin bin, und daß ich dadurch auch ein Wörtchen im Hause mitzureden habe, zumal in einer Angelegenheit wie der heutigen …« Und mit kaum verhohlener Entrüstung setzte sie hinzu: »Wenn dir Julian mehr wert ist als ich, so bin ich bereit, den Winter bei meiner Tante zuzubringen.« Die letzten Worte brachte sie meisterhaft heraus. Es lag bei aller Höflichkeit Bestimmtheit in ihrem Auftreten. Herr von Rênal fügte sich innerlich. Aber wie das Kleinstädter machen: er redete noch lange hin und her und kam auf sämtliche Argumente noch einmal zurück. Seine Frau ließ ihn räsonieren.

      Endlich, nach zwei Stunden nutzloser Rederei, bekam er es selber satt. Seine Kräfte waren zu Ende, zumal er die ganze Nacht vor Wut nicht geschlafen hatte. Sein Plan, wie er sich Valenod, Julian und schließlich Elisen gegenüber verhalten wollte, war gefaßt.

      Ein-oder zweimal während dieser großen Szene war Frau von Rênal nahe daran, mit dem Manne, der zwölf Jahre lang ihr Lebensgefährte gewesen, Mitgefühl zu empfinden. Aber große Leidenschaft ist egoistisch.

      Ihre fortwährende Erwartung, er werde den gestern abend eingegangenen Brief erwähnen, erfüllte sich nicht. Frau von Rênal fühlte sich nicht völlig sicher, ehe sie nicht wußte, was man ihrem Manne alles aufgeredet hatte. Ein Ehemann hat das Schicksal seiner Frau in der Hand. Er kann sie durch die öffentliche Verachtung morden. Dies geschieht, wenn sich ihr alle Salons verschließen.

      Dieses Gefühl der Gefahr war so mächtig in Frau von Rênal, daß sie sich in ihr Zimmer zurückzog. Die Unordnung, in der sie es fand, entsetzte sie. Die Schlösser aller Schubfächer ihres hübschen Schreibtisches waren erbrochen. »Daran sieht man, wie erbarmungslos er gewesen wäre!« sagte sie sich. Der Anblick dieser Brutalität verscheuchte ihre letzten Skrupel.

      Kurz vor Essenszeit kam Julian zurück. Beim Nachtisch, als sich die Dienstboten entfernt hatten, sagte Frau von Rênal trocknen Tones zu ihm: »Sie haben mich gebeten, Herr Sorel, auf vierzehn Tage nach Verrières gehen zu dürfen. Herr von Rênal hat Ihnen diesen Urlaub bewilligt. Sie können ihn antreten, wann es Ihnen beliebt. Aber damit die Kinder nichts versäumen, werden Ihnen ihre Arbeiten täglich zur Durchsicht zugehen.«

      Herr von Rênal fügte griesgrämig hinzu: »Das heißt: von mir aus haben Sie nur acht Tage!«

      Julian ersah aus seinem Gesicht die Nervosität eines arg gequälten Mannes.

      »Er hat noch immer keinen festen Entschluß«, meinte Julian zu seiner Freundin, als sie einen Augenblick allein im Salon waren. Sie erzählte ihm rasch alles. »Heute nacht Näheres!« schloß sie vergnügt.

      »Sind die Weiber doch verdorben!« dachte Julian. »Es ist ihnen ein Genuß, uns zu hintergehen. Sie tun es triebmäßig.« Laut sagte er, nicht ohne leichte Kühle, zu Frau von Rênal: »Ich finde, die Liebe hat dich scharfäugig und blind zugleich gemacht. Du hast dich heute bewundernswert benommen. Ist es aber klug, uns heut nacht zu sehen? Das Haus wimmelt von Feinden. Denke nur an Elisens leidenschaftlichen Haß gegen mich!«

      »Dieser Haß hat große Ähnlichkeit mit deiner leidenschaftlichen Gleichgültigkeit gegen mich!«

      »Gleichgültig oder nicht gleichgültig: ich muß dich retten aus der Gefahr, in die ich dich gestürzt habe. Elise kann deinem Mann mit einem einzigen Worte alles verraten. Und was hindert ihn, in der Nähe meines Zimmers zu lauern, eine Waffe in der Hand?«

      »Also nicht einmal Mut!« warf sie mit dem ganzen Hochmut einer vornehmen Dame hin.

      Julian erwiderte kalt: »Niemals werde ich mich erniedrigen, von meinem Mut zu reden. Das wäre ordinär. Die Welt wird mich nach meiner Tat beurteilen!« Aber dann fügte er hinzu, indem er ihre Hand ergriff: »Ach, du ahnst ja nicht, wie sehr ich an dir hänge und wie groß meine Freude ist, daß ich dir vor dieser grausamen Trennung Lebewohl sagen darf!«

      22. Kapitel

      Kaum war Julian in Verrières, als er sich bereits Vorwürfe machte, gegen Frau von Rênal ungerecht gewesen zu sein. »Wenn sie bei ihrem Auftritt mit ihrem Manne versagt hätte, aus Inferiorität, so hätte ich sie als dummes Frauenzimmer verachtet. Aber sie hat sich meisterhaft diplomatisch benommen. Fast habe ich Mitleid mit dem Besiegten, obgleich er mein Feind ist. Es ist nicht gerade weltmännisch СКАЧАТЬ