Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher. Стендаль
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Читать онлайн книгу Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher - Стендаль страница 37

Название: Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher

Автор: Стендаль

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788026824862

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СКАЧАТЬ Rheinwein zu trinken, das war ihm unmöglich.

      »Er hat dem Ärmsten das Singen verboten«, sagte er sich, »und Gott läßt es ruhig geschehen!«

      Zum Glück bemerkte niemand seine unpassende Rührseligkeit.

      Der Steuerinspektor hatte ein royalistisches Lied angestimmt. Den Kehrreim brüllte man im Chor mit. »Schau!« rief Julians Gewissen ihm zu. »Diesem dreckigen Glück strebst du zu! Du erringst es nur, wenn du dich diesen Genossen und ihrer Weltanschauung beugst. Dann ergatterst du unter Umständen einen Posten mit 20 000 Franken Gehalt; aber, während du dir den Bauch vollschlägst, mußt du es fertigbekommen, einem armen Sträfling das Singen zu verbieten. Du gibst Diners von dem Gelde, das du seiner kargen Kost abknappst, und während du tafelst, muß er mehr denn sonst leiden …«

      »Großer Napoleon«, fuhr er in seinen Gedanken fort, »wie herrlich war deine Zeit! Damals kam man durch die Gefahren der Schlachten vorwärts; heutzutage, indem man stumm und feig zusieht, wie Unglückliche geknechtet werden!«

      Sehr bald sollte er unsanft an die Rolle gemahnt werden, die er zu spielen hatte. Er war in so gute Gesellschaft nicht eingeladen worden, damit er träume und kein Wort rede. Ein reicher Leinwandfabrikant sprach ihn über den Tisch hinweg an, um ihn zu befragen, ob es Tatsache wäre, daß er im Neuen Testament so ungemein bewandert sei, wie man überall erzähle.

      Es wurde plötzlich still im Zimmer. Im Nu war ein lateinisches Neues Testament in den Händen des Fragestellers; es war Herr Rubigneau. Auf Julians Aufforderung wurden die Anfangsworte einer beliebigen Stelle vorgelesen. Daraufhin sagte er die Fortsetzung aus dem Gedächtnis her. Es verließ ihn auch diesmal nicht. In der lärmigen Stimmung, wie sie zu Ende eines Festmahles zu herrschen pflegt, wurde dies Wunder laut gepriesen. Julian sah die Gesichter der Damen um sich herum strahlen. Etliche waren nicht häßlich. Eine gefiel ihm sogar: die Frau des sangeslustigen Steuerinspektors.

      »Ich schäme mich, vor den Damen so lange Lateinisch zu reden«, sagte er mit einem Blick auf diese Frau. »Wenn Herr Rubigneau so gütig wäre, den erstbesten lateinischen Satz vorzulesen, so will ich versuchen, ihn aus dem Stegreif zu übersetzen.«

      Diese zweite Probe seines Könnens setzte seinem Ruhme die Krone auf. Es wurde weiterhin viel gelacht.

      Als er sich empfehlen wollte, wurde Julian von Frau Valenod noch ein Viertelstündchen zurückgehalten. Die Kinder mußten ihm den Katechismus vorleiern, wobei sie die lächerlichsten Fehler machten, die außer ihm niemand bemerkte. Er hütete sich wohlweislich, sie zu verbessern. Von neuem machte er sodann Anstalt, sich zu verabschieden, aber er mußte noch eine Fabel von Lafontaine über sich ergehen lassen.

      »Das ist ein sehr unmoralischer Dichter«, sagte er zu Frau Valenod. »Mitunter wagt er das Erhabenste in den Staub zu ziehen. Er ist von den besten Beurteilern scharf getadelt worden.«

      Beim Weggang hatte Julian vier oder fünf Dinereinladungen einzuheimsen.

      »Der junge Mann macht dem ganzen Bezirk Ehre«, meinten einstimmig die stark angeheiterten Gäste. Irgendwer ging sogar so weit, davon zu reden, man solle ihm die Fortsetzung seiner Studien in Paris auf Gemeindekosten ermöglichen.

      Als Julian endlich vor der Haustür stand, atmete er voll Genuß die frische Luft ein und rief dreimal leise vor sich hin: Schweinebande!

      In diesem Augenblick war er durch und durch Aristokrat, er, den Herrn von Rênals hochmütige Überlegenheit und gnädige Höflichkeit, hinter der sich doch nur Geringschätzung verbarg, tausendmal zu Tode gekränkt hatte. Mit einem Male ward ihm der ungeheure Unterschied zwischen einem Rênal und einem Valenod klar. Im Nachhauseschlendern sagte er sich.: »Ganz abgesehen davon, daß sich Valenod auf Kosten der Armen und Gefangenen bereichert: wann wäre es Herrn von Rênal jemals eingefallen, seinen Gästen zu verraten, was ihn eine Flasche Wein kostet, die er ihnen vorsetzt?« Und es fiel ihm ein, wie unzählig viele Male Valenod von seinem Hause, seinem Landgut usw. gesprochen hatte, und daß Frau Valenod während des Essens einem der Diener eine schreckliche Szene gemacht hatte, weil er ein Sektglas aus dem Dutzend zerbrochen hatte. Obendrein hatte der Lümmel dreist geantwortet.

      »Eine nette Gesellschaft!« sagte Julian bei sich. »Und wenn mir diese Valenods die Hälfte abgeben wollten von alle dem, was sie stehlen: ich möchte nicht bei ihnen leben. Eines schönen Tages könnte ich mich doch nicht halten und müßte ihnen ins Gesicht sagen, daß ich sie verachte.«

      Auf Frau von Rênals Wunsch mußte er gleichwohl mehrere solcher Gastereien mitmachen. Julian war Mode geworden. Man verzieh ihm die Geschichte mit der Ehrenwache. Ja im Grunde war diese Torheit der Anlaß seiner jetzigen Erfolge. Bald wurde im ganzen Städtchen von nichts weiter geredet als davon, wer im Wettstreit um den gelehrten jungen Mann den Endsieg erringen werde: Herr von Rênal oder der Armenamtsvorstand.

      Im Tun und Treiben dieser ihm neuen Welt entdeckte Julian einen Mann, den er für ehrenwert hielt. Es war ein Landvermesser namens Gros, ein Jakobiner, wie man sagte. Julian, der sich geschworen hatte, nur Dinge zu sagen, an die er selber nicht glaubte, war im Verkehr mit ihm in arger Verlegenheit.

      Aus Vergy bekam er dicke Pakete von Schularbeiten. Auch war ihm geraten worden, seinen Vater hin und wieder aufzusuchen. Er fügte sich dieser traurigen Notwendigkeit. Mit einem Worte, er stellte seinen guten Ruf in jeder Beziehung wieder her.

      23. Kapitel

      Eines Morgens wurde er zu seiner größten Überraschung aus dem Schlummer geweckt, indem sich zwei Hände auf seine Augen legten. Es war Frau von Rênal, die nach der Stadt gefahren war. Vier Treppenstufen auf einmal nehmend, war sie hinaufgeeilt. Die Kinder stiegen mit ihrem Lieblingskaninchen, das die Reise hatte mitmachen müssen, langsamer. So war sie eine Weile vor ihnen in Julians Zimmer. Diese Weile war kurz, aber köstlich.

      Als die Knaben mit dem Tiere, das sie ihrem Freunde zeigen wollten, heraufkamen, war die Mutter bereits wieder vor der Tür. Julian nahm die kleine Gesellschaft samt dem Kaninchen freundlichst auf. Es war ihm, als habe er seine Familie wieder um sich. Er fühlte so recht, wie er die Kinder liebte und wie gern er mit ihnen schwatzte. Er war erstaunt über ihre wohlklingende Sprache, über ihr einfaches und vornehmes Benehmen. Das alles wusch ihm die Phantasie wieder rein von den Eindrücken der Kleinstadtwelt, ihren rüden Umgangsformen und ihrem häßlichen, ihm so widerlichen Ideenkreise, der keinen andern Pol hatte als die Furcht vor dem Mißerfolg und nichts weiter war als der uralte Kampf zwischen Elend und Überfluß. Bei ihren Schmausereien offenbarten sie einander Dinge, bei deren Erbärmlichkeit den Zuhörern übel ward.

      »Ihr Adligen habt wirklich Grund, hochmütig zu sein«, gestand er Frau von Rênal, als er alles das erzählte, was er in der letzten Zeit erlebt und erduldet hatte.

      »Du bist also Mode geworden!« sagte sie belustigt und konnte sich nicht satt lachen über die Schminke, die sich Frau Valenod Julian zu Ehren aufgelegt hatte. »Es scheint mir, sie hat ein Auge auf dich geworfen.«

      Das Frühstück war herrlich. Das Dabeisein der Kinder, ein Umstand, der eigentlich lästig war, erhöhte schließlich die glückliche Stimmung. Die kleinen Wichte waren unerschöpflich, Julian ihre Freude über das Wiedersehen immer wieder zu bekunden. Durch die Dienstboten hatten sie natürlich erfahren, daß Julian zweihundert Franken mehr bekommen sollte, wenn er Hauslehrer bei den Valenodschen Kindern würde.

      Während Stanislaus-Xaver, der von seiner Krankheit her noch recht blaß aussah, seine Brötchen verzehrte, fragte er plötzlich seine Mutter, wieviel sein silbernes Besteck und der Becher, aus dem er gerade trank, wert seien.

      »Warum denn?«

      »Ich will es verkaufen und das Geld Herrn Julian geben. Er soll nicht der Dumme sein, wenn er bei uns bleibt.«

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