Historische Romane: Die vierzig Tage des Musa Dagh, Verdi, Das Lied von Bernadette, Eine blassblaue Frauenschrift und mehr. Franz Werfel
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Читать онлайн книгу Historische Romane: Die vierzig Tage des Musa Dagh, Verdi, Das Lied von Bernadette, Eine blassblaue Frauenschrift und mehr - Franz Werfel страница 120

СКАЧАТЬ gegen den Damlajik bereits in die Hand genommen habe? Er, Bagradian, sei fast geneigt, dies zu befürchten. Jedenfalls werde der dritte Angriff sich mit den vorhergehenden nicht im entferntesten vergleichen lassen. Wahrscheinlich hätten die Türken schon außer mächtigen Infanteriegruppen auch Gebirgsartillerie und Maschinengewehrkompanien zusammengezogen, um den Damlajik unter Trommelfeuer zu nehmen. Demgegenüber könne die Verteidigung einige kleine Vorteile ins Treffen führen. Die Befestigungen seien nach den Erfahrungen vom vierzehnten August in den letzten Tagen wiederum verstärkt und verbessert worden. Der Besitz der Haubitzen biete keineswegs bloß einen moralischen Vorteil. Mehr als alles andere aber bedeute die Kampfgewöhnung der Zehnerschaften auf dem Damlajik ein wirkliches Übergewicht über den Feind: »Aus diesem Grunde ist es vielleicht nicht ganz und gar unmöglich, daß wir mit Gottes Hilfe noch einen Angriff abschlagen ...«

      Gabriel Bagradian stellte nunmehr einen überaus wichtigen Antrag. So unsinnig auch jeder Traum der Rettung scheine, der Führerrat dürfe sich nicht ergeben in das unabwendbare Schicksal fügen und träge zuwarten. Nein, nichts, aber auch gar nichts dürfe unversucht bleiben. Das Meer freilich sehe so fürchterlich leer aus, als sei die Schiffahrt bis heute noch nicht erfunden. Und doch, Gott weiß es, vielleicht liege dennoch, gegen alle Wahrscheinlichkeit und Erhoffbarkeit, ein Torpedoboot der Alliierten vor der Reede von Alexandrette:

      »Es ist unsere Pflicht, diese Möglichkeit anzunehmen. Es ist unsere Pflicht, sie nicht ungenützt vorübergehen zu lassen. Und wie steht es mit dem amerikanischen Generalkonsul in Aleppo, Mr. Jackson? Weiß er von den Christenkämpfen und der Not auf dem Musa Dagh? Es ist unsere Pflicht, ihn aufzuklären und von der amerikanischen Regierung Schutz zu fordern.«

      Gabriel setzte seinen neuen Plan auseinander. Zwei Gruppen von Boten sollten entsandt werden, die eine nach Alexandrette, die andere nach Aleppo; nach Alexandrette die besten Schwimmer, nach Aleppo die besten Läufer. Die Aufgabe der Schwimmer sei insofern leichter, als die Bucht von Alexandrette nur fünfunddreißig englische Meilen nordwärts liege und der Weg über ausgestorbene Bergeshöhen genommen werden könne. Der eigentliche Zweck des Unternehmens allerdings – das Kriegsschiff in der Bucht schwimmend zu erreichen – erfordere die höchste Entschlossenheit und Körperkraft. Diese Willensleistung bleibe den Aleppoläufern wohl erspart, dafür aber hätten sie eine Wegstrecke von fünfundachtzig Meilen vor sich, die nur bei Nacht, ohne Benützung der großen Straße, jenseits aller menschlichen Wohnstätten, und dennoch unter ständiger Todesgefahr, zurückgelegt werden könne. Gelänge es aber diesen Kurieren, das Haus von Mr. Jackson zu erreichen, so wären sie so gut wie gerettet.

      Dieser Plan Gabriel Bagradians, der ja der frevelhaftesten Hoffnung eine Chance gab und damit dem Todesbewußtsein entgegenwirkte, wurde in leidenschaftlicher Zwischenrede durchgesprochen. Man setzte die Zahl der Schwimmer mit zwei fest. Als Bote für Aleppo mochte sogar ein einziger junger Mensch genügen. Es hatte keinen Sinn, Menschenleben überflüssig in Gefahr zu bringen. Zwei Leute halten sich unauffälliger verborgen als drei, und einer schlüpft leichter an Zöllnern und Saptiehs vorüber als zwei. Auf den Vorschlag Ter Haigasuns sollte die Auswahl der Schwimmer und Läufer auf Grund freiwilliger Meldung erfolgen. Die Läufer (ob einer, ob zwei, stand jetzt noch nicht fest) hatten einen Brief an den amerikanischen Generalkonsul mitzunehmen, die Schwimmer desgleichen einen Brief an den mutmaßlichen Schiffskommandanten. Damit aber im Falle einer Verhaftung die Briefe den Türken nicht in die Hand fielen, sollten sie in das aufgeschnittene Leder der Leibgürtel eingenäht werden. – Ter Haigasun bestimmte Tag, Stunde und Form der freiwilligen Meldung. Er diktierte dem kleinen Gemeindeschreiber einen Aufruf an die Bevölkerung der Stadtmulde, diese Meldung betreffend. Die Münadirs, die Austrommler, wurden angewiesen, ihn noch an demselben Abend zu verbreiten. Gabriel Bagradian erbot sich, den Brief an Mr. Jackson zu schreiben. Aram Tomasian übernahm die Abfassung des Manifestes an das Kriegsschiff. Er setzte sich sogleich abseits und entwarf, während bereits ein neuer Punkt der Tagesordnung mit reichlichem Lärm beraten wurde, seinen Text für die Schwimmer. Dann und wann schien er von dem Werke selbst ergriffen zu sein, denn er sprang plötzlich auf, überlas mit lautem Pathos und feierlichen Handbewegungen irgendeine Stelle, wobei er durch und durch Pastor war, der seine Sonntagspredigt memoriert. Er brachte sein Manifest in kürzester Zeit zustande. Es hat sich als ein Zeugnis der vierzig Tage erhalten.

      An irgendeinen englischen, amerikanischen, französischen, russischen, italienischen Admiral, Schiffskapitän oder Befehlshaber, den die vorliegende Petition erreichen mag.

      Sir! Wir flehen im Namen Gottes und menschlicher Brüderlichkeit zu Ihnen. Wir, die Bevölkerung von sieben armenischen Ortschaften, im ganzen fünftausend Seelen etwa, haben uns auf jene Hochfläche des Musa Dagh geflüchtet, die Damlajik genannt wird und drei Wegstunden nordwestlich oberhalb Suedjas und der Steilküste des Meeres liegt.

      Wir haben hier Zuflucht gesucht vor türkischer Barbarei und Grausamkeit. Wir haben uns zur Wehr gesetzt, um von unseren Frauen die Schändung ihrer Ehre abzuwenden.

      Sir! Sie wissen zweifellos von der Vernichtungspolitik der Jungtürken gegen unser Volk. Unter dem Schein der Umsiedlung, unter dem lügnerischen Vorwand, einer nichtbestehenden Aufruhrbewegung vorzubeugen, treiben sie unsere Leute aus ihren Häusern, berauben sie ihrer Felder, Fruchtgärten, Weinberge und aller beweglichen und unbeweglichen Habe. So ist es unseres Wissens außer anderen Orten schon mit der Stadt Zeitun und ihren zweiunddreißig Dörfern geschehen ...

      Nun schilderte Aram Tomasian seine Erlebnisse auf dem Transport von Zeitun nach Marasch. Dann ging er auf die Verschickung der sieben Dörfer über und legte die bedrängte Lage des Volkes auf dem Damlajik in erregten Worten dar. Das Manifest schloß mit folgenden Hilferufen:

      Sir! Wir flehen Euch an im Namen Christi!

      Bringet uns, wir bitten Euch, nach Zypern oder nach einem anderen freien Lande. Unsere Leute sind nicht träge. Wir wollen unser Brot mit härtester Arbeit verdienen, sofern man sie uns gibt.

      Ist dies aber zuviel verlangt, um gewährt zu werden, so nehmet wenigstens unsre Frauen, nehmt unsere Kinder, unsre Alten auf! Uns wehrhafte Männer aber wollet gütig mit Waffen, Munition und Nahrungsmitteln hinreichend ausstatten, damit wir uns gegen die Streitkräfte des Feindes verteidigen dürfen, bis zum letzten Atemzug!

      Wir flehen Euch an, Sir, wartet nicht, bis es zu spät ist!

      Im Namen aller Christen hier oben.

      Ihr untertäniger Diener Pastor A. T.

      Dieses Manifest bekam eine doppelte Sprachfassung, auf der einen Seite des Blattes in französischer, auf der anderen in englischer Sprache. Die beiden Texte wurden unter Aufsicht Hapeth Schatakhians, des Sprach- und Stilmeisters, sorgfältig durchgefeilt. Das Amt jedoch, sie mit zierlichen kleinen Lettern auf die schmalen Blätter unterzubringen, erhielt sonderbarerweise nicht Lehrer Oskanian, Inhaber der berühmtesten Kalligraphie in allen Schriftarten weit und breit, sondern Samuel Awakian, der ein weit bescheidenerer Künstler war. Hrand Oskanian fuhr von seinem Sitz auf und starrte Ter Haigasun an, als wolle er ihn und die ganze Versammlung zum Zweikampf herausfordern. Diese neue Herabsetzung beraubte ihn aller Worte. Seine Lippen bewegten sich stumm. Ter Haigasun, sein Todfeind, lächelte ihm jedoch gnädig zu:

      »Setz dich, Lehrer Oskanian, und gib Ruhe! Deine Handschrift ist nämlich viel zu schön. Niemand, der sie liest, würde an die Ehrlichkeit unserer Not glauben, die noch solche Schlingen und Schnörkel zusammenbringt.«

      Der schwarze Knirps aber trat hocherhobenen Hauptes vor Ter Haigasun.

      »Priester! Du irrst dich in mir. Ich bin auf die dumme Schmiererei, weiß Gott, nicht eifersüchtig.«

      Er schüttelte seine geballten Kriegerfäuste vor Ter Haigasuns Gesicht aufdringlich hin und her, während seine Stimme vor schlechtverhehltem Zorn bebte:

      »In diesen Händen steckt längst СКАЧАТЬ