Die beliebtesten Geschichten, Sagen & Märchen zur Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe). Walter Benjamin
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Читать онлайн книгу Die beliebtesten Geschichten, Sagen & Märchen zur Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe) - Walter Benjamin страница 156

СКАЧАТЬ Hotel kam, das bei weniger schlechtem Wetter nicht viel mehr als eine Viertelmeile zu Fuß entfernt war. Nun hatte es sich gerade so gefügt, meine Liebe, daß ich genötigt war, auf das zweite Stockwerk fünf Schilling wöchentlich aufzuschlagen. Denn ich hatte einen Verlust gehabt, weil jemand im Abendanzug, als ginge er zu einem Dinner, davongelaufen war, und das ist ein sehr hinterlistiges Verfahren und hatte mich reichlich mißtrauisch gemacht, da ich es mit dem Parlament in Verbindung brachte. Als deshalb der Gentleman drei Monate fest und mit Vorauszahlung vorschlug und sich außerdem das Recht vorbehielt, nach Ablauf dieser Zeit auf weitere sechs Monate zu denselben Bedingungen zu verlängern, da sagte ich, mir käme es so vor, als habe ich mich bereits einem anderen Mieter gegenüber verpflichtet; ich wüßte es aber nicht bestimmt und wollte deshalb einmal nach unten gehen und nachsehen; sie möchten so lange bitte Platz nehmen. Sie nahmen Platz, und ich ging nach unten vor die Tür des Majors, den ich bereits angefangen hatte um Rat zu fragen, da ich das sehr nützlich fand. Ich erkannte an seinem leisen Pfeifen, daß er dabei war, seine Stiefel zu wichsen, wobei er in der Regel nicht gestört werden wollte; jedoch rief er freundlich: »Wenn Sie es sind, Madam, dann treten Sie ein«, und ich trat ein und erzählte ihm die Sache.

      »Nun, Madam«, sagte der Major, sich die Nase reibend – ich fürchtete im Augenblick, er täte es mit dem schwarzen Schwamm, aber es war bloß sein Handgelenk, da er mit seinen Fingern immer geschickt und sauber war – »nun, Madam, ich vermute, daß Sie das Geld ganz gern annehmen würden?«

      Ich scheute mich, gar zu rasch »ja« zu sagen, denn die Wangen des Majors hatten sich ein wenig tiefer gefärbt und es lag eine Unregelmäßigkeit, auf die ich nicht weiter eingehen will, in bezug auf einen Teil vor, den ich nicht nennen will.

      »Ich bin der Ansicht, Madam«, sagte der Major, »daß, wenn Geld für Sie da ist – wenn es für Sie da ist, Mrs. Lirriper –, Sie es annehmen sollten. Was spricht in dem Falle im zweiten Stockwerk dagegen?«

      »Ich kann wirklich nicht sagen, daß etwas dagegen spricht, Sir; doch dachte ich, ich wollte mich erst mit Ihnen beraten.«

      »Sie sagten, glaube ich, ein jungverheiratetes Paar, Madam?« fragte der Major.

      Ich antwortete:

      »Ja-a, anscheinend. Die junge Dame bemerkte mir gegenüber jedenfalls beiläufig, sie wäre erst seit ein paar Monaten verheiratet.«

      Der Major rieb sich wiederum die Nase und rührte die Wichse in der kleinen Untertasse mit seinem Stückchen Schwamm um und um, während er auf seine Art leise pfiff. Das dauerte einige Augenblicke, dann sagte er:

      »Es wäre eine günstige Vermietung, Madam?«

      »O ja, eine recht günstige Vermietung, Sir.«

      »Angenommen, sie verlängern für die übrigen sechs Monate. Würde es Ihnen sehr viel Schererei machen, Madam, wenn –wenn das Schlimmste sich ereignen sollte?« fragte er.

      »Nun, ich weiß nicht recht«, sagte ich zu dem Major. »Es kommt darauf an. Würden Sie zum Beispiel etwas dagegen einzuwenden haben, Sir?«

      »Ich?« fragte der Major. »Etwas dagegen einwenden? Jemmy Jackman? Mrs. Lirriper, nehmen Sie an.«

      So ging ich also wieder hinauf und nahm an, und am folgenden Tag, einem Sonnabend, zogen sie ein. Der Major war so freundlich, mit seiner hübschen runden Handschrift eine schriftliche Vereinbarung aufzusetzen, deren Wendungen, meiner Ansicht nach, ebenso juristisch wie militärisch klangen, und Mr. Edson unterzeichnete sie am Montagmorgen. Am Dienstag machte der Major Mr. Edson einen Besuch, und Mr. Edson machte dem Major am Mittwoch seinen Gegenbesuch, und der zweite und der erste Stock standen auf so freundschaftlichem Fuße, wie man es nur wünschen konnte.

      Die drei Monate, für die die neuen Mieter vorausbezahlt hatten, waren vorüber, und wir waren ohne irgendwelche neue Vereinbarungen über die Bezahlung in den Mai hineingekommen, meine Liebe, als Mr. Edson plötzlich genötigt war, eine Geschäftsreise quer durch die Insel Man zu unternehmen. Das kam für das hübsche kleine Weibchen gänzlich unerwartet, und die Insel Man ist meiner Meinung nach auch kein Ort, mit dem besonders viel los wäre, aber das mag nun Ansichtssache sein. Das Ganze war so plötzlich gekommen, daß er schon am nächsten Tag abreisen mußte, und die hübsche kleine Frau weinte zum Herzzerbrechen, und ich weinte mit ihr, als ich sie in dem scharfen Ostwind – der Frühling hatte sich in diesem Jahr stark verzögert – auf dem kalten Straßenpflaster stehen sah, wie sie noch einen letzten Abschied von ihm nahm. Der Wind zerzauste ihr schönes blondes Haar, und ihre Arme waren um seinen Nacken geschlungen, während er sagte:

      »Nun, nun, nun. Jetzt laß mich, Peggy.«

      Und jetzt sah man ganz deutlich, daß das, wogegen der Major freundlicherweise nichts einzuwenden haben wollte, wenn es einträte, wirklich eintreten würde, und ich mahnte sie daran, als er fort war und ich sie mit meinem Arm beim Treppensteigen stützte.

      »Es wird bald jemand anders da sein, für den Sie sich schonen müssen, mein hübsches Frauchen«, sagte ich, »und Sie müssen stets daran denken.«

      Als schon längst ein Brief von ihm hätte da sein sollen, wartete sie immer noch vergebens, und was sie jeden Morgen durchmachte, wenn der Briefträger nichts für sie hatte, das flößte am Ende sogar dem Briefträger selbst Mitleid ein, wie er sie so an die Tür gerannt kommen sah; und doch können wir uns nicht wundern, daß es die Gefühle abstumpft, die ganze Mühe und nichts von dem Vergnügen mit den Briefen anderer Leute zu haben, und dabei meistenteils im Schmutz und Regen herumzulaufen und für eine Bezahlung, die mehr an Klein- als an Großbritannien denken läßt. Endlich aber eines Morgens, als sie sich zu schlecht fühlte, um die Treppe herabzulaufen, sagt er zu mir mit einer freudigen Miene, die mich den Mann in seinem Beamtenrock fast lieben ließ, obwohl er von Nässe triefte:

      »Ich habe heute morgen von der ganzen Straße zuerst ihr Haus drangenommen, Mrs. Lirriper, denn hier ist der Brief für Mrs. Edson.«

      Ich lief, so schnell mich meine Beine tragen wollten, mit dem Brief in ihr Schlafzimmer hinauf, und als sie ihn sah, setzte sie sich im Bett auf und küßte ihn. Dann riß sie ihn rasch auf und las, und ich sah, wie ihr Gesicht leichenblaß wurde und erstarrte.

      »Er ist sehr kurz!« sagte sie, ihre großen Augen zu meinem Gesicht erhebend. »Oh, Mrs. Lirriper, er ist sehr kurz!«

      Ich sage darauf:

      »Meine liebe Mrs. Edson, zweifellos hatte Ihr Gatte gerade keine Zeit, mehr zu schreiben.«

      »Zweifellos, zweifellos«, antwortet sie, schlägt beide Hände vors Gesicht und dreht sich nach der Wand um.

      Ich schloß sacht ihre Tür zu, kroch hinunter und pochte an die Tür des Majors, und als er, der gerade dabei war, seine dünnen Schinkenschnitte auf seinem eignen kleinen Bratrost zu rösten, mein Gesicht sah, stand er von seinem Stuhl auf und ließ mich auf das Sofa niedersitzen.

      »Still!« sagte er. »Ich sehe, es ist etwas vorgefallen. Sprechen Sie nicht – lassen Sie sich Zeit.«

      Ich erwiderte darauf:

      »Oh, Major, ich fürchte, oben wird eine Seele grausam gequält.«

      »Ja, ja«, sagte er, »ich hatte angefangen, es zu befürchten – lassen Sie sich Zeit.«

      Und dann beginnt er im Widerspruch zu seinen Worten fürchterlich zu toben und sagt:

      »Ich werde es mir niemals verzeihen, Madam, daß ich, Jemmy Jackman, die ganze Sache nicht gleich an jenem Morgen durchschaute СКАЧАТЬ