Die beliebtesten Geschichten, Sagen & Märchen zur Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe). Walter Benjamin
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Читать онлайн книгу Die beliebtesten Geschichten, Sagen & Märchen zur Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe) - Walter Benjamin страница 153

СКАЧАТЬ und der Wagen und mein armer Lirriper zu Atomen zerschmettert. Er hat kein Wort mehr gesprochen. Er war eine stattliche Erscheinung und ein Mann von fröhlicher Gemütsart und sanftem Wesen; aber wenn Photographien damals schon üblich gewesen wären, so hätten sie Ihnen doch niemals eine Vorstellung von der Weichheit seiner Stimme geben können. Überhaupt fehlt es meiner Ansicht nach Photographien im allgemeinen an Weichheit. Man sieht darauf aus wie ein frisch gepflügtes Feld.

      Mein armer Lirriper hinterließ ein zerrüttetes Vermögen, und als er auf dem Friedhof zu Hatfield in Hertfordshire begraben worden war, nicht etwa, weil das sein Geburtsort war, sondern weil er eine Vorliebe für das »Salisbury-Wappen« hatte, wohin wir uns am Hochzeitstag begeben und glücklich vierzehn Tage zugebracht hatten, machte ich bei den Gläubigern die Runde und sagte zu ihnen: »Gentlemen, ich weiß wohl, daß ich für die Schulden meines verstorbenen Gatten nicht aufzukommen brauche, aber ich will sie bezahlen, denn ich bin sein angetrautes Weib, und sein guter Name ist mir teuer. Ich will eine Pension aufmachen, und wenn es mir glückt, soll jeder Penny, den mein verstorbener Gatte schuldig geblieben ist, um der Liebe willen, die ich zu ihm trug, zurückerstattet werden. Das schwöre ich bei dieser meiner Rechten.« Es dauerte lange, bis ich es vollbracht hatte, aber schließlich war es vollbracht, und als mir die Gentlemen die silberne Rahmkanne verehrten, die, unter uns gesagt, in meinem Schlafzimmer oben zwischen dem Bett und der Matratze steckt und die eingravierte Widmung trägt: »Für Mrs. Lirriper als ein Zeichen dankbarer Hochachtung für ihr ehrenwertes Verhalten«, da gab es mir einen Ruck, der zuviel für meine Gefühle war, bis Mr. Betley, der gern seinen Spaß machte, zu mir sagte:

      »Fassen Sie sich, Mrs. Lirriper! Sie sollten die Sache so ansehen, als wäre es bloß Ihre Taufe und dies wären Ihre Paten, die für Sie gelobten.«

      Das brachte mich wieder zu mir selbst, und ich gestehe offen, meine Liebe, daß ich darauf ein Butterbrot und ein wenig Sherry in ein Körbchen tat und auf dem Außensitz der Postkutsche zum Friedhof in Hatfield fuhr. Dort küßte ich meine Hand und legte sie, während mein Herz von einer Art stolzen Liebe geschwellt war, auf meines Gatten Grab. Dabei hatte es, bis ich seinen guten Namen wiederherstellen konnte, wahrhaftig so lange gedauert, daß mein Ehering ganz dünn und glatt war, als ich die Hand auf das grüne, wogende Gras legte.

      Ich bin jetzt eine alte Frau und mein gutes Aussehen ist dahin, aber das dort über dem Tellerwärmer, meine Liebe, bin trotzdem ich, auch wenn die Leute oft rot und verlegen werden, weil sie meistens auf jemand ganz anderes tippen. Aber einmal kam ein gewisser Jemand, der sein Geld in ein Hopfengeschäft gesteckt hatte, um seine Miete zu bezahlen und einen Besuch abzustatten, und er wollte es durchaus vom Haken runternehmen und in seine Brusttasche stecken – Sie verstehen, meine Liebe – aus L..., sagte er, zu dem Original –, bloß besaß er keine Weichheit in seiner Stimme, und ich wollte es nicht zulassen. Aber, was er davon hielt, können Sie daraus entnehmen, daß er zu dem Bild sagte: »Sprich zu mir, Emma!« Das war zweifellos alles andere als eine vernünftige Bemerkung, aber doch ein Beweis dafür, daß das Bild mir ähnlich war, und ich glaube selbst, ich habe wirklich so ausgesehen, als ich jung war und diese Art Mieder trug.

      Aber meine Absicht war, von der Pension zu sprechen, und ich muß wirklich was von dem Geschäft verstehen, da ich schon so lange darin bin. Es war zu Beginn des zweiten Jahres meiner Ehe, daß ich meinen armen Lirriper verlor, und gleich darauf ließ ich mich in Islington nieder und kam danach hierher, was im ganzen zwei Häuser und achtunddreißig Jahre, einige Verluste und eine gute Menge Erfahrung ausmacht.

      Nach den Zahlungsterminen sind Dienstmädchen Ihre größte Plage, und sie plagen Sie sogar schlimmer als die Leute, die ich die wandernden Christen nenne, obgleich es für mich ein Geheimnis ist (für dessen Aufklärung, wenn es durch irgendein Wunder geschehen könnte, ich dankbar wäre), weshalb sie auf der Erde umherwandern, nach Vermieterzetteln Ausschau halten und dann hereinkommen, sich die Zimmer ansehen und über den Preis handeln, obwohl sie sie gar nicht brauchen und im Leben nicht daran denken, sie zu nehmen. Es ist verwunderlich, daß sie so lange leben und dabei wohlauf sind, aber vermutlich erhält sie die viele Bewegung gesund, da sie so viel klopfen und von Haus zu Haus gehen und den ganzen Tag die Treppen hinauf und hinunter laufen. Und dann ist es im höchsten Grade erstaunlich, wenn sie so tun, als ob sie so überaus genau und pünktlich wären. Sie blicken auf ihre Uhr und sagen: »Könnten Sie mir die Zimmer bis übermorgen vormittag zwanzig Minuten nach elf reservieren, und angenommen meine Freundin vom Lande legt Wert darauf, könnten Sie dann eine kleine eiserne Bettstelle in das kleine Zimmer oben stellen?«

      Als ich noch ein Neuling im Geschäft war, meine Liebe, pflegte ich mir's zu überlegen, bevor ich zusagte; ich verwirrte mich ganz mit Berechnungen und ermüdete mich mit nutzlosem Warten, aber jetzt pflege ich zu sagen: »Gewiß; ganz bestimmt«, da ich genau weiß, es ist eine wandernde Christin und sie kommt nie wieder. Ja, jetzt kenne ich die meisten wandernden Christen persönlich, ebenso wie sie mich, da jedes derartige Individuum, das in London umherwandert, die Gewohnheit hat, etwa zweimal jährlich zu erscheinen, und es ist ein sehr bemerkenswerter Umstand, daß das Übel erblich ist und die heranwachsenden Kinder es auch annehmen. Aber selbst wenn es anders wäre, so brauche ich nur von der Freundin vom Lande zu hören – was ein sicheres Zeichen ist –, um zu nicken und zu mir selbst zu sagen: Sie sind eine wandernde Christin, obwohl ich nicht wagen kann zu behaupten, daß es, wie ich gehört habe, Personen mit einem kleinen Vermögen sind, die eine Vorliebe für eine regelmäßige Beschäftigung und häufigen Wechsel des Schauplatzes haben.

      Dienstmädchen, wie ich meine Bemerkung begann, sind eine Ihrer größten und dauernden Plagen, und es geht einem mit ihnen wie mit den Zähnen, die mit Krämpfen anfangen und niemals aufhören, Sie zu quälen, von der Zeit, wo sie durchbrechen, bis zur Zeit, wo sie abbrechen, und dabei erscheint es einem hart, sich von ihnen zu trennen, aber wir müssen alle unterliegen oder künstliche kaufen. – Selbst wenn man ein williges Mädchen bekommt, dann bekommt man in neun von zehn Fällen ein schmutziges Gesicht mit dazu, und natürlicherweise lieben es die Mieter nicht, wenn vornehme Besucher mit einem schwarzen Fleck über der Nase oder schmierigen Augenbrauen eingelassen werden. Wo sie das Schwarz herkriegen, ist für mich ein unergründliches Geheimnis, wie in dem Fall des willigsten Mädchens, das je in ein Haus kam, sie war halb verhungert, das arme Ding, und ein so williges Mädel, daß ich sie die willige Sophy nannte, früh und spät auf den Knien scheuernd und immer fröhlich, aber stets mit einem schwarzen Gesicht lächelnd. Ich sagte zu Sophy:

      »Nun, Sophy, mein gutes Mädchen, setze dir einen bestimmten Tag für die Kamine fest, gehe stets der Schuhwichse aus dem Weg, kämme dein Haar nicht mit Pfannenböden und rühre die abgebrannten Kerzendochte nicht an, dann muß es doch notwendigerweise ein Ende nehmen.«

      Doch das Schwarz blieb, und stets auf ihrer Nase; und da diese aufgeworfen und an der Spitze breit war, so hatte es den Anschein, als ob sie damit prahlte, und es hatte auch eine Warnung zur Folge von einem ruhigen, aber ein wenig reizbaren Gentleman und ausgezeichneten wöchentlichen Mieter mit Frühstück und Benutzung eines Wohnzimmers auf Verlangen, der zu mir sagte:

      »Mrs. Lirriper, ich bin so weit gekommen zuzugestehen, daß die Schwarzen Menschen und Brüder sind, aber nur wenn die Farbe natürlich ist und nicht abgerieben werden kann.«

      Infolgedessen gab ich der armen guten Sophy andere Arbeit und verbot ihr strikt, die Tür zu öffnen, wenn es klopfte, oder auf ein Klingelzeichen herbeizulaufen, aber unglücklicherweise war sie so willig, daß sie nichts davon zurückhalten konnte, die Küchentreppe hinaufzufliegen, so oft eine Klingel ertönte. Schließlich fragte ich sie.

      »O Sophy, Sophy, um des lieben Himmels willen, woher kommt es bloß?«

      Darauf brach dieses arme, unglückliche, willige Geschöpf in Tränen aus und erwiderte:

      »Ich nahm eine Menge Schwarz in mich auf, Ma'am, als ich ein kleines Kind war, da sich damals niemand um mich kümmerte, und ich denke, das muß es sein, was da herauskommt.«

      Da СКАЧАТЬ