Die beliebtesten Geschichten, Sagen & Märchen zur Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe). Walter Benjamin
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Читать онлайн книгу Die beliebtesten Geschichten, Sagen & Märchen zur Weihnachtszeit (Illustrierte Ausgabe) - Walter Benjamin страница 155

СКАЧАТЬ lacht sie wieder und sagt, während sie mir das Gesicht streichelt:

      »Weshalb tragen Sie aber auch solche altmodischen Hauben, Sie liebes, altes Wesen? Wenn Sie nicht so eine altmodische Haube aufgehabt hätten, dann glaube ich nicht, daß ich es selbst damals getan hätte.«

      Denken Sie sich, so ein Mädel! Ich konnte sie auf keine Weise dazu bringen, mir zu sagen, was sie nun anfangen wollte. Sie sagte bloß immer, oh, es würde ihr schon nicht schlechtgehen, und wir schieden, nachdem sie mir aus Dankbarkeit die Hände geküßt hatte. Ich habe niemals mehr etwas von dem Mädchen gesehen oder gehört, aber ich bin fest überzeugt, daß eine sehr vornehme Haube, die auf Veranlassung eines ungenannten Absenders an einem Samstagabend in einem Wachstuchkorb gebracht wurde, von Caroline kam. Der Überbringer war ein höchst unverschämter junger Sperling von einem Affen, mit schmutzigen Schuhen, der auf der gescheuerten Treppe laut pfiff und an dem Geländer mit einem Reifenstock Harfe spielte.

      Welch unchristlichen Verdächtigungen man sich aussetzt, wenn man sich auf das Pensionsgeschäft wirft, das kann ich Ihnen nicht mit Worten schildern. Aber ich bin niemals so ehrlos gewesen, doppelte Schlüssel zu haben, noch möchte ich das gern von Miß Wozenham weiter unten auf der anderen Seite der Straße glauben; ja, ich hoffe sogar aufrichtig, daß das nicht der Fall sein möge, obwohl man andererseits nie wissen kann. Es ist im höchsten Grade verletzend für die Gefühle einer Pensionsinhaberin, daß die Mieter stets denken, man versuche sie zu übervorteilen, und niemals auf den Einfall kommen, daß vielleicht grade sie es sind, die einen übervorteilen möchten. Aber, wie Major Jackman oft zu mir gesagt hat:

      »Ich kenne die Gewohnheiten auf diesem runden Erdball, Mrs. Lirriper, und das ist eine davon, die sich überall findet.«

      Und manchen kleinen Ärger hat mir der Major schon ausgeredet, denn er ist ein kluger Mensch und hat schon vieles zu sehen bekommen.

      Du lieber Gott, sollte man es denken, dreizehn Jahre sind darüber hingegangen, obwohl es mir wie gestern erscheint, daß ich an einem Augustabend am offenen Wohnzimmerfenster saß (denn das Wohnzimmer war gerade frei) und mit der Brille auf der Nase die Zeitung vom vorigen Tag las. Denn meine Augen waren für Druckschrift zu schwach geworden, obwohl ich, dem Himmel sei Dank, gut in die Ferne sehen kann. Auf einmal höre ich einen Gentleman die Straße herauflaufen kommen, der in einer fürchterlichen Wut mit sich selbst spricht und jemand zu allen Teufeln wünscht.

      »Bei Sankt-Georg!« sagt er laut und packt seinen Spazierstock fester, »jetzt gehe ich zu Mrs. Lirriper. Wo wohnt Mrs. Lirriper?«

      Darauf blickt er sich um, und wie er mich sieht, zieht er den Hut so tief, als wäre ich die Königin, und sagt:

      »Verzeihen Sie die Störung, Madam, aber können Sie mir bitte sagen, Madam, in welcher Nummer in dieser Straße eine weitbekannte und allgemein geachtete Dame namens Lirriper wohnt?«

      Ein wenig verlegen, obwohl, wie ich gestehen muß, angenehm berührt, nehme ich die Brille ab und sage mit einer Verbeugung:

      »Sir, Mrs. Lirriper ist Ihre ergebene Dienerin.«

      »Das ist ja erstaunlich!« sagt er darauf. »Bitte tausendmal um Verzeihung! Madam, darf ich Sie bitten, einen Ihrer Bedienten anzuweisen, einem wohnungsuchenden Herrn namens Jackman die Tür zu öffnen?«

      Ich hatte den Namen nie zuvor gehört, aber einen höflicheren Gentleman werde ich sicher niemals vor mir sehen, denn er sagte:

      »Madam, es ist mir peinlich, daß Sie persönlich die Tür für keinen würdigeren Zeitgenossen als Jemmy Jackman öffnen. Nach Ihnen, Madam. Ich trete niemals vor einer Dame ein.«

      Darauf tritt er ins Wohnzimmer, zieht die Luft tief ein und sagt:

      »Ah, das ist ein Wohnzimmer! Kein muffiger Schrank«, sagt er, »sondern ein Wohnzimmer, und kein Geruch nach Kohlensäcken.«

      Nämlich, meine Liebe, es ist von einigen Leuten, die unseren ganzen Stadtteil nicht mögen, behauptet worden, daß es hier immer nach Kohlensäcken rieche. Und da das geeignet wäre, die Mieter abzuschrecken, wenn man nicht Einspruch dagegen erhebt, sage ich in freundlichem, aber festem Tone zu dem Major, er meine damit wohl Arundel oder Surrey oder Howard, aber nicht Norfolk.

      »Madam«, sagt er darauf, »ich meine Miß Wozenhams Pension weiter unten auf der anderen Seite – Madam, Sie können sich keinen Begriff machen, wie es dort zugeht – Madam, die ganze Pension ist ein kolossaler Kohlensack und Miß Wozenham hat die Grundsätze und Manieren eines weiblichen Kohlenträgers – Madam, aus der Art, wie ich sie von Ihnen habe sprechen hören, weiß ich, daß sie eine Dame nicht zu schätzen weiß, und aus der Art, wie sie sich mir gegenüber aufgeführt hat, weiß ich, daß sie einen Gentleman nicht zu schätzen weiß – Madam, mein Name ist Jackman – sollten Sie noch eine weitere Referenz wünschen, so nenne ich die Bank von England – sie ist Ihnen vielleicht bekannt!«

      So kam es, daß der Major die Zimmer nach vorn hinaus bezog, und von jener Stunde bis zur heutigen sitzt er darin und ist ein äußerst liebenswürdiger und in jeder Hinsicht pünktlicher Mieter, abgesehen von einer kleinen Unregelmäßigkeit, auf die ich nicht besonders einzugehen brauche. Doch dafür ist er ein Schutz und zu jeder Zeit bereit, die Steuererklärung und dergleichen Sachen auszufüllen. Einmal erwischte er sogar einen jungen Mann mit der Stehuhr aus dem Salon unter dem Rock, und ein andermal löschte er mit seinen eigenen Händen und Bettüchern den Schornstein auf dem Dach; und hinterher bei der Verhandlung sprach er äußerst beredt gegen die Gemeindeverwaltung und ersparte mir die Kosten für die Feuerspritze. Er ist stets ein vollendeter Gentleman, obgleich leicht aufgebracht. Und sicherlich hat Miß Wozenham nicht freundlich darin gehandelt, daß sie seine Koffer und den Regenschirm zurückbehielt, wenn sie auch das gesetzliche Recht dazu haben mochte. Ja, vielleicht hätte ich das selbst auch getan, obwohl der Major so sehr ein Gentleman ist, daß er, obgleich durchaus nicht von hoher Gestalt, doch fast so aussieht, wenn er seinen Gehrock mit der herausgesteckten Hemdkrause an- und seinen Hut mit runder Krempe aufhat. Freilich, in welchem Dienst er war, das kann ich Ihnen nicht mit Bestimmtheit sagen, meine Liebe, ob zu Hause oder in den Kolonien, denn ich habe nie gehört, daß er von sich selbst als Major sprach, sondern er nannte sich immer nur einfach »Jemmy Jackman«. Einmal, kurze Zeit nachdem er eingezogen war, hielt ich es für meine Pflicht, ihm mitzuteilen, Miß Wozenham hätte das Gerücht ausgestreut, er wäre gar kein Major, und ich nahm mir die Freiheit hinzuzufügen: »Was Sie doch sind, Sir.«

      Darauf meinte er:

      »Madam, auf jeden Fall bin ich kein Minor, und jeder Tag hat seine Plage.«

      Auch kann man nicht leugnen, daß das die reine Wahrheit ist, und dafür spricht auch seine soldatische Gewohnheit, daß ihm seine Stiefel, bloß vom Schmutz gesäubert, jeden Morgen auf einer sauberen Platte ins Zimmer gebracht werden müssen, worauf er sie stets nach dem Frühstück mit einem kleinen Schwamm und einer Untertasse, leise vor sich hin pfeifend, selbst wichst. Das macht er so geschickt, daß er sich niemals die Wäsche dabei beschmutzt, die mit peinlicher Sorgfalt im Stande gehalten ist, obwohl sie mehr durch ihre gute Beschaffenheit als durch ihre Menge hervorsticht; und ebensowenig den Schnurrbart, der, wie ich fest überzeugt bin, zur selben Zeit besorgt wird und der denselben tiefschwarzen Glanz aufweist wie seine Stiefel, während sein Haupthaar schön weiß ist.

      Der Major wohnte schon seit etwa drei Jahren bei mir, als eines Morgens, früh im Februar, kurz vor Beginn der Parlamentssitzung (und Sie können sich denken, daß um diese Zeit eine Masse Betrüger umherlaufen, bereit, alles einzustecken, dessen sie habhaft werden können) ein Gentleman und eine Dame vom Lande vorsprachen, um sich das zweite Stockwerk anzusehen. Ich erinnere mich noch ganz gut, daß ich am Fenster saß und sie und den schweren Hagel draußen beobachtete, wie sie sich nach Vermietungszetteln umsahen. Das Gesicht des Gentleman СКАЧАТЬ