Название: Marcel Proust: Gesammelte Romane & Erzählungen
Автор: Marcel Proust
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788027208821
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»Da teile ich die Meinung von Frau Verdurin nicht, obwohl sie mir sonst in allen Dingen Gesetz und Propheten ist. So schöne Chrysanthemen können nur Sie finden, Odette«, erklärte Frau Cottard, als die Patronne die Tür hinter sich geschlossen hatte. »Unsere liebe Verdurin ist nicht immer sehr wohlwollend für die Blumen der andern«, antwortete sanft Frau Swann. »Wer darf Sie beliefern, Odette?« fragte Frau Cottard ablenkend, um die Kritiken über die Patronne nicht weitergehen zu lassen ... »Lemaître? Neulich stand vorn bei Lemaître ein großes Rhododendron, für das ich, ich bekenne es, eine Tollheit beging.« Aus Schamhaftigkeit wollte sie keine genauere Auskunft über den Preis des Rhododendrons geben, sie sagte nur, der Professor, der doch in seinen Ausdrücken nicht gerade »kurz angebunden« sei, habe vom Leder gezogen und ihr gesagt, sie wisse wohl nicht, was Geld sei. »Nein, nein, ich habe von namhaften Blumenhändlern nur Debac.« »Ich auch,« sagte Frau Cottard, »aber ich bekenne, daß ich ihm manchmal mit Lachaume ein wenig untreu werde.« »Ah, Sie betrügen ihn mit Lachaume, das werde ich ihm sagen«, erwiderte Odette, die sich bemühte, Geist zu entwickeln und die Unterhaltung in ihren Salon zu dirigieren, wo sie sich behaglicher fühlte als in dem kleinen Clan. »Übrigens wird Lachaume wirklich zu teuer; seine Preise sind übertrieben, wissen Sie, ich finde seine Preise geradezu unschicklich!« Sie lachte.
Indessen war Frau Bontemps, die hundertmal gesagt hatte, sie wolle nicht zu den Verdurin gehen, entzückt, zu den Mittwochgesellschaften eingeladen zu sein, und schon im Begriff, auszurechnen, wie sie sich möglichst oft dahin begeben könne. Sie wußte nicht, daß Frau Verdurin Wert darauf legte, daß man keinen Mittwoch bei ihr versäume; sodann gehörte sie zu den wenig begehrten Gästen, die, wenn sie in einem Hause zu »Serien« geladen werden, nicht einfach hingehen wie andere, die wissen, daß sie mit ihrem Besuch Vergnügen bereiten, wenn sie gerade etwas freie Zeit und das Bedürfnis auszugehen haben; sondern sie versagen sich die erste und dritte Gesellschaft in dem Wahn, daß ihre Abwesenheit auffallen werde, und sparen sich für die zweite und vierte auf; es sei denn, daß sie in Erfahrung gebracht haben, die dritte werde besonders glänzend sein; dann ändern sie wieder ihre Einteilung und geben vor, »das letztemal seien sie unglücklicherweise nicht frei gewesen«. Frau Bontemps überschlug, wieviel Mittwoche es noch vor Ostern gab und wie sie es anstellen könne, einen mehr zu erbeuten, ohne daß es aussehe, als dränge sie sich auf. Sie rechnete auf Frau Cottard, mit der sie zusammen heimfahren würde, die sollte ihr Auskünfte erteilen.
»Aber Frau Bontemps, Sie stehen auf? Das ist nicht hübsch von Ihnen, so das Signal zur Flucht zu geben, Sie sind mir noch Entschädigung schuldig, weil Sie letzten Donnerstag nicht gekommen sind ... Ach, setzen Sie sich noch einen Augenblick. Vor dem Essen machen Sie wohl doch keinen Besuch mehr. Sie wollen sich wirklich nicht verlocken lassen?« – Frau Swann reichte ihr eine Kuchenschüssel. – »Wissen Sie, es ist gar nicht so schlecht, das Zeug da. Es sieht nach nichts aus, aber kosten Sie mal, dann werden Sie schon sehen.«
»O im Gegenteil, das sieht köstlich aus«, erwiderte Frau Cottard, »bei Ihnen, Odette, herrscht keine Lebensmittelknappheit. Ich brauche Sie nicht nach der Fabrikmarke zu fragen, ich weiß, Sie lassen alles von Rebattet kommen. Ich muß sagen, daß ich eklektischer bin. Für Petits fours, für alles Naschwerk wende ich mich häufig an Bourbonneux. Aber ich gebe zu, daß man bei dem nicht weiß, was Gefrorenes ist. Rebattet ist klassisch in allem, was Eis, Bavaroise, Sorbet ist. Wie mein Mann sagen würde, er ist das nec plus ultra.« »Aber das hier ist ja einfach im Haus gemacht. Sie wollen wirklich nicht?« »Ich könnte dann nicht zu Abend essen,« antwortete Frau Bontemps, »aber ich setze mich noch einen Augenblick, es macht mich zu glücklich, mit einer intelligenten Frau wie Sie zu plaudern.« »Sie werden mich indiskret finden, Odette, aber ich möchte gern wissen, wie Sie über den Hut urteilen, den Frau Trombert aufhatte. Ich weiß, die großen Hüte sind Mode. Aber das ist denn doch übertrieben. Und neben dem, den sie neulich bei mir trug, ist der von vorhin sogar noch mikroskopisch.«
»Aber nein, ich bin nicht intelligent«, sagte Odette (sie meinte, das nehme sich gut aus). »Ich bin im Grunde so naiv, glaube alles, was man mir sagt, und mache mir Sorgen um jede Kleinigkeit.« Und sie gab zu verstehen, sie habe anfangs sehr darunter gelitten, mit einem Manne wie Swann verheiratet zu sein, der ein Leben ganz für sich führe und sie betrüge. Indessen hatte der Fürst von Agrigent die Worte »Ich bin nicht intelligent« verstanden und hielt es für seine Pflicht, zu protestieren, aber ihm fiel selten gleich etwas ein. »Nanana!« rief Frau Bontemps, »Sie nicht intelligent?« »Ja, Tatsache, ich habe mir auch gedacht: Was muß ich hören?« sagte der Prinz und faßte nach dem rettenden Strick. »Meine Ohren müssen mich getäuscht haben.« »Ach nein, ich versichere Ihnen«, sagte Odette, »ich bin im Grunde eine kleine Bourgeoise, leicht zu chokieren, voller Vorurteile, immer in meinem Eckchen und vor allem sehr ungebildet.« Und sie erkundigte sich nach Herrn von Charlus mit den Worten: »Haben Sie unseren lieben Baronet gesehen?« »Sie ungebildet?« rief Frau Bontemps. »Was würden Sie da zu der offiziellen Gesellschaft sagen, zu all den Frauen von Exzellenzen, die nur von Mode und Kleidern sprechen... Schauen Sie, da hab ich vor noch nicht acht Tagen die Kultusministerin auf Lohengrin gebracht. » Lohengrin?« sagte sie, »ach ja, die letzte Revue der Folies-Bergère, es soll zum Totlachen sein. Was sagen Sie dazu, meine Liebe? Wenn man so etwas hört, möchte man doch aus der Haut fahren. Am liebsten hätte ich das Weib geohrfeigt. Ich hab nun mal das Temperament, wissen Sie. Hab ich nicht recht?« wandte sie sich an mich. »Hören Sie,« sagte Frau Cottard, »es ist zu entschuldigen, daß man etwas schief antwortet, wenn man so unvorbereitet auf den Kopf zu gefragt wird. Davon kann ich ein Lied singen, denn Frau Verdurin hat auch die Gewohnheit, unsereinem das Messer an die Kehle zu setzen.« »Da Sie gerade von Frau Verdurin sprechen,« fragte Frau Bontemps Frau Cottard, »wissen Sie, wer Mittwoch bei ihr sein wird?... Ach jetzt fällt mir ein, wir haben ja schon eine Einladung für nächsten Mittwoch angenommen. Wollen Sie nicht Mittwoch in acht Tagen bei uns essen? Wir gehen dann zusammen zu Frau Verdurin. Allein trau ich mich nicht recht hin, ich weiß nicht, wie es kommt, aber diese große Frau hat mir immer Angst gemacht.« »Ich will Ihnen etwas sagen,« erwiderte Frau Cottard, »was Sie bei Frau Verdurin erschreckt, ist ihr Organ. Es kann eben nicht jeder ein so hübsches Organ haben wie Frau Swann. Aber kaum sind die ersten Worte gefallen, wie die Patronne sagt, so ist das Eis bald gebrochen. Denn im Grunde ist sie sehr entgegenkommend. Aber ich begreife Ihre Empfindung, es ist nie angenehm, zum erstenmal auf fremdem Boden sich zu bewegen.« »Sie könnten doch auch mit uns essen«, sagte Frau Bontemps zu Frau Swann. »Nach Tisch ginge man zusammen ins Land Verdurin, ein bißchen verdurieren; und sollte das auch zur Folge haben, daß die Patronne mir böse Augen macht und mich nicht mehr einlädt, sind wir erst einmal bei ihr, dann bleiben wir drei zusammen und plaudern miteinander, das würde mir den meisten Spaß machen.« Aber diese Behauptung schien nicht ganz wahrheitsgetreu zu sein, denn Frau Bontemps fragte: »Wer, glauben Sie, wird Mittwoch in acht Tagen da sein? Wie wird es zugehen? Es werden doch wenigstens nicht zu viel Leute kommen?« »Ich gehe sicher nicht hin«, sagte Odette. »Wir wollen uns nur am letzten Jour auf einen Augenblick sehen lassen. Wenn es Ihnen gleich ist, bis dahin zu warten ...« Aber Frau Bontemps schien die vorgeschlagene Vertagung nicht zu reizen.
Obwohl die geistigen Werte eines Salons und seine Eleganz im allgemeinen eher in umgekehrtem als in direktem Verhältnis stehen, ist doch anzunehmen, – da Swann Frau Bontemps angenehm fand – daß jeder hingenommene Verlust die Menschen weniger heikel denen gegenüber macht, mit deren Gesellschaft sie sich aus Resignation zufriedengeben wollen, vor allem weniger heikel ihrem Geist gegenüber. Und wenn das wahr ist, müssen die Menschen, gerade wie die Völker, ihre Kultur und sogar ihre Sprache hinschwinden sehen mit ihrer Unabhängigkeit. Eine Wirkung dieser Duldsamkeit ist die Verschärfung der Tendenz, von einem gewissen Alter ab Worte, die unserer Geistesart, unsern Neigungen huldigen, angenehm zu finden und uns gern gefallen zu lassen; das ist das Alter, in dem ein großer Künstler der Gesellschaft selbständiger Geister die seiner Schüler vorzieht, die nichts mit ihm gemein haben als den Buchstaben seiner Lehre; ihn beweihräuchern und ihm lauschen, das Alter, in dem ein bedeutender Mann oder eine bedeutende Frau, die ihr Leben einer Liebe gewidmet haben, in einer Gesellschaft am intelligentesten eine vielleicht unbedeutende Person finden, die durch eine Wendung zeigt, СКАЧАТЬ