Marcel Proust: Gesammelte Romane & Erzählungen. Marcel Proust
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Название: Marcel Proust: Gesammelte Romane & Erzählungen

Автор: Marcel Proust

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788027208821

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СКАЧАТЬ aus der kleinen Gruppe die sympathischsten Männer entführte, insbesondere Swann, der ihr in ihre Abgeschiedenheit, ihren Schlupfwinkel einer Version zufolge nachgekommen war, die sie begreiflicherweise den neuen Freunden, die nichts von der Vergangenheit wußten, glaubhaft machte, ohne selber daran zu glauben. Aber gewisse Lieblingsrollen spielen wir so oft vor der Welt und wiederholen sie in unserm Innern so oft, daß wir leichter auf ihr erdachtes Zeugnis zurückgreifen als auf das einer fast ganz vergessenen Wirklichkeit. An Tagen, da Frau Swann gar nicht ausgegangen war, fand man sie in einem Schlafrock aus Crêpe-de-Chine, weiß wie frischgefallener Schnee, bisweilen auch in einem der langen getollten Gewänder aus Seidenmusselin, die wie hingestreute rosa und weiße Blütenblätter aussahen. Heute findet man sie für den Winter wenig geeignet; mit Unrecht: die leichten Stoffe und zarten Farben gaben der Frau – in der Wärme der damals mit Portieren geschlossenen Salons, die nach der elegantesten Wendung der Modeschriftsteller aus jener Zeit ›mollig gepolstert‹ waren – das zarte Frösteln der Rosen, die neben ihr, dem Winter zum Trotz, im Inkarnat ihrer Nacktheit wie im Frühling sich halten konnten. Da Teppiche die Schritte dämpften und die Dame des Hauses tief in die Polster zurückgelehnt saß, so merkte sie nicht gleich, wie heute, daß man bei ihr eingetreten war, fuhr fort zu lesen, während man schon beinah vor ihr stand, und das erhöhte noch den Eindruck des Romantischen, den Zauber überraschter Heimlichkeit, wie wir ihn heut noch in Erinnerung an jene schon dazumal nicht mehr modischen Kleider finden, die vielleicht allein noch Frau Swann trug; uns geben sie die Vorstellung, die Frau, die sie trüge, müsse eine Romanheldin sein, denn meistens kennen wir sie nur aus Büchern von Henry Gréville. Odette hatte jetzt zu Beginn des Winters in ihrem Salon mächtige Chrysanthemen von einer Farbenmannigfaltigkeit, wie Swann sie einst nicht bei ihr hatte sehen können. Die bewunderte ich sehr, wenn ich Frau Swann einen der trübseligen Besuche abstattete, bei denen mein Kummer geheimnisvolle Schönheit ihrer Mutterschaft zu jener Gilberte abgewann, zu der sie am nächsten Tage dann sagen würde: »Dein Freund hat mir einen Besuch gemacht«, und um so mehr bewunderte ich diese Blumen als sie, blaßrosa wie die Louis-XlV-Seide ihrer Sessel, schneeweiß wie ihr Schlafrock von Crêpe de Chine oder metallisch rot wie ihr Samovar, dem Schmuck des Salons einen erweiternden, überlagernden von ebenso reichem, ebenso verfeinertem Kolorit gaben, aber er war lebendig und dauerte wenige Tage. Doch mich ergriff, daß diese Chrysanthemen weniger eintägig, verhältnismäßig dauerhafter waren als die ebenso rosa und kupfernen Töne, die ich, wie die untergegangene Sonne prächtig sie in den Dämmer des Novembernachmittags verschwendet, am Himmel erlöschen sah, bevor ich bei Frau Swann eintrat, und die dann weiterlebend und verwandelt in der flammenden Palette der Blumen mir erschienen. Wie Feuer, die ein großer Maler dem Unbestand von Atmosphäre und Sonne entrissen hat, um eine menschliche Behausung mit ihnen zu schmücken, luden sie mich ein, diese Chrysanthemen, trotz all der Trauer in mir, diese eine Teestunde lang die flüchtigen Novemberfreuden gierig zu genießen, deren innigen geheimnisvollen Glanz sie vor mir aufflammen ließen. Ach, in den Unterhaltungen, die ich mit anhörte, kam ich diesem Reiz nicht nahe, sie glichen ihm wenig. Selbst zu Frau Cottard wurde Frau Swann trotz der vorgerückten Stunde ganz süß und sagte: »Aber nein, es ist gar nicht spät, schauen Sie nicht nach der Uhr, die geht nicht; was können Sie denn so Eiliges vorhaben?« und sie bot der Frau des Professors, die immer ihr Visitenkartentäschchen in der Hand behielt, noch ein Törtchen an.

      »Aus diesem Haus kommt man nicht fort«, sagte Frau Bontemps zu Frau Swann, während Frau Cottard in ihrer Überraschung, die eigne Empfindung ausgesprochen zu hören, rief: »Das sage ich mir auch immer in meinem kleinen Verstandskasten drin!« und da stimmten die Herren vom Jockey ihr zu, die sich nicht genug tun konnten in Höflichkeiten, als fühlten sie sich hochgeehrt, wenn Frau Swann sie dieser kleinen wenig liebenswerten Bürgersfrau vorstellte, die sich vor Odettes glänzenden Freunden in der Reserve, wenn nicht in dem, was sie die ›Defensive‹ nannte, hielt; sie wandte nämlich immer eine vornehme Sprache für die einfachsten Dinge an. »Sollte man es für möglich halten, nun haben Sie mich schon den dritten Mittwoch versetzt«, sagte Frau Swann zu Frau Cottard. »Das ist wahr, Odette, es ist Jahrhunderte, Ewigkeiten her, daß ich Sie nicht gesehen habe. Sie sehen, ich bitte um mildernde Umstände, aber Sie müssen wissen«, fügte sie verschämt und etwas unbestimmt hinzu, denn, obwohl Arztgattin, getraute sie sich nicht ohne Umschweife von Rheumatismus, Kolik oder Nierenleiden zu sprechen, »ich habe allerlei kleine Miseren gehabt. Es hat ja jeder die seinen. Und dann gab es gerade eine Krise in meiner männlichen Dienerschaft. Ohne mehr als andere Frauen von meiner Autorität eingenommen zu sein, mußte ich, um ein Exempel zu statuieren, meinen Speisemeister entlassen, der, wie ich glaube, anderswo einen einträglicheren Posten suchte. Aber sein Abgang hat beinah die Abdankung des ganzen Ministeriums nach sich gezogen. Meine Zofe wollte auch nicht länger bleiben, es hat homerische Szenen gegeben. Trotz allem hab ich mein Steuer fest geführt, das ist wahre Realienkunde für mich gewesen. Ich langweile Sie mit Dienstbotengeschichten, aber Sie wissen so gut wie ich, welche Plackerei es ist, in seinem Personalbestand Veränderungen vornehmen zu müssen.«

      – »Und Ihr reizendes Töchterchen bekommen wir heut nicht zu sehen?« fragte sie dann. »Nein, mein reizendes Töchterchen ist bei einer Freundin zu Tisch«, antwortete Frau Swann und fügte dann, zu mir gewandt, hinzu: »Ich glaube, sie hat Ihnen geschrieben, damit Sie morgen zu ihr kommen. Und Ihre Babies?« fragte sie die Frau des Professors. Ich atmete auf. Frau Swanns Worte bewiesen mir, daß ich Gilberte sehen könne, wann ich wolle, sie erwiesen mir genau die Wohltat, um derentwillen ich gekommen war, die mir meine Besuche bei Frau Swann zu einer Notwendigkeit machten. »Nein, ich werde ihr übrigens noch heut abend schreiben. Gilberte und ich, wir können uns nicht mehr sehen.« Das sagte ich mit einem Ausdruck, als schriebe ich unsere Trennung einer geheimnisvollen Ursache zu, was mir eine neue Liebesillusion gab, die durch die zärtliche Art, mit der ich von Gilberte und Gilberte von mir sprach, noch genährt wurde. »Sie wissen, daß sie Sie über die Maßen gern hat«, sagte Frau Swann. »Wollen Sie morgen wirklich nicht...?« Eine plötzliche Heiterkeit stieg in mir auf. Ich sagte mir: »Aber warum denn eigentlich nicht, da doch ihre Mutter es mir selbst vorschlägt?« Doch gleich verfiel ich wieder in meine Traurigkeit. Ich fürchtete, Gilberte werde, wenn sie mich wiedersehe, denken, meine Gleichgültigkeit in der letzten Zeit sei nur geheuchelt gewesen, und so wollte ich die Trennung lieber verlängern. Während dieses Selbstgesprächs beklagte sich Frau Bontemps über die Langweile, mit der sie die Frauen der Politiker quälten; sie tat nämlich immer, als fände sie alle Welt unerträglich und lächerlich und sei untröstlich über die Stellung ihres Mannes. »Also Sie können so einfach fünfzig Arztfrauen hintereinander empfangen?« fragte sie Frau Cottard, die ihrerseits voll Wohlwollen gegen jedermann war und alle Verpflichtungen respektierte. »Ach, da sind Sie wirklich tugendhaft! Bei mir im Ministerium, nicht wahr, ist es natürlich Pflichtsache. Oh! Es geht über meine Kraft, wissen Sie, diese Beamtenfrauen, ich kann nicht anders, ich muß ihnen die Zunge herausstrecken. Und meine Nichte Albertine ist genau wie ich. Sie machen sich keinen Begriff, wie frech die Kleine ist. Letzte Woche war auf meinem Jour die Frau des Unterstaatssekretärs vom Finanzministerium, die sagte, von Küche verstehe sie nichts. ›Aber, gnädige Frau,‹ sagt meine Nichte mit ihrem liebenswürdigsten Lächeln, »Sie müßten sich eigentlich darin auskennen; Ihr Herr Vater ist doch Küchenjunge gewesen.‹« »Oh! Die Geschichte gefällt mir, ich finde das köstlich«, sagte Frau Swann. »Aber wenigstens für die Tage, an denen der Doktor Sprechstunde hat, sollten Sie ein kleines home mit Ihren Büchern und den Dingen haben, die Sie lieben«, riet sie dann Frau Cottard.

      »So einfach, klatsch, mitten ins Gesicht, ohne Umstände. Und mir hatte sie vorher gar nichts gesagt, die kleine Hexe, die hat's hinter den Ohren. Sie können von Glück sagen, daß Sie sich zurückzuhalten verstehen; ich beneide die Leute, die ihre Gedanken zu verbergen wissen.« »Aber das brauche ich doch nicht, ich bin so einfach«, antwortete sanft Frau Cottard. »Erstens habe ich nicht dieselben Rechte wie Sie« – das sagte sie mit erhobener Stimme, die sie immer annahm, wenn sie eine ihrer vielbewunderten zarten Liebenswürdigkeiten und geschickten Schmeicheleien in die Unterhaltung einfließen ließ und unterstrich, die der Karriere ihres Mannes förderlich waren. »Und dann tu ich mit Vergnügen alles, was dem Professor nützlich sein kann.«

      »Aber liebe gnädige Frau, man muß können! Vermutlich sind Sie nicht nervös. Ich, wenn ich die Frau des Kriegsministers ihre Grimassen schneiden sehe, СКАЧАТЬ