Marcel Proust: Gesammelte Romane & Erzählungen. Marcel Proust
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Название: Marcel Proust: Gesammelte Romane & Erzählungen

Автор: Marcel Proust

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788027208821

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СКАЧАТЬ »Ich hatte geglaubt, es werde nicht möglich sein. Ach, ich sehe, es ist nicht so schwer.« Ich sagte ihr auch: »Ich werde Sie wahrscheinlich nicht mehr sehen«, und dabei hütete ich mich, in meine Worte eine Kälte zu legen, die sie für erkünstelt halten konnte; indem ich sie schrieb, machten mich meine Worte weinen, denn ich fühlte, sie drückten nicht das aus, was ich gern geglaubt hätte, sondern das, was in Wirklichkeit eintreffen werde. Denn wenn sie mich das nächste Mal um ein Wiedersehn bitten ließ, würde ich noch wie diesmal den Mut haben, nicht nachzugeben, und so käme ich von Absage zu Absage nach und nach dahin, daß ich, da ich sie nicht mehr sah, sie auch nicht mehr zu sehen wünschte. Ich weinte, aber ich fand den Mut, und es war mir süß, das Glück der Gegenwart der Möglichkeit aufzuopfern, ihr eines Tages willkommen zu sein, eines Tages, an dem mir das leider schon wieder gleichgültig sein würde. Und mein Entschluß wurde sogar weniger qualvoll durch die allerdings wenig wahrscheinliche Hypothese, sie liebe mich in diesem Augenblick, wie sie es bei meinem letzten Besuch behauptet hatte, und, was ich für Überdruß an einem, dessen man müde ist, hielt, sei nur eifersüchtige Überreizung gewesen, eine künstliche Gleichgültigkeit, die der meinen entsprach. In einigen Jahren, schien mir, nachdem wir einander vergessen haben, werde ich ihr rückblickend sagen, der Brief, den ich in diesem Augenblick zu schreiben begann, sei durchaus nicht aufrichtig gewesen, und sie werde mir antworten: »Wie? Sie, Sie liebten mich? Wenn Sie wüßten, wie ich gewartet habe auf diesen Brief, wie ich auf ein Wiedersehen hoffte, wie ich über diesen Brief weinte!« Ich dachte, während ich ihn, kaum daß ich von ihrer Mutter nach Hause gekommen war, schrieb, ich sei vielleicht im Begriff, genau dies Mißverständnis herzustellen, und dieser Gedanke gab mir gerade durch seine Traurigkeit und durch die Lust, mir vorzustellen, ich werde von Gilberte geliebt, Kraft, den Brief weiterzuschreiben.

      Wenn ich nach beendetem »Tee« Frau Swann verließ und an das dachte, was ich ihrer Tochter schreiben wollte, so hatte Frau Cottard im Fortgehen Gedanken ganz anderer Art. Im Verlauf ihrer »kleinen Inspektion« hatte sie nicht verabsäumt, Frau Swann zu den neuen Möbeln, den jüngsten »Erwerbungen«, die sie im Salon bemerkte, zu beglückwünschen. Einiges, wenn auch nur noch sehr Weniges, konnte sie übrigens wiederfinden, was Frau Swann schon in dem Hause in der rue Lapérouse besessen hatte, namentlich die Tiere aus kostbarem Material, ihre Fetische.

      Aber seit Frau Swann von einem verehrten Freunde das Wort »Talmi« gelernt hatte – das ihr neue Horizonte eröffnete, weil es genau die Dinge bezeichnete, die sie vor einigen Jahren »chik« gefunden hatte –, seitdem waren eins nach dem andern diese Dinge in das Dunkel gewandert, wo das vergoldete Gitter war, das früher den Chrysanthemen als Gestell gedient hatte, manche Bonbonniere von Giroux und das Briefpapier mit der Krone (gar nicht zu reden von den verstreuten Pappgoldstücken auf dem Kamin, die ihr lange, bevor sie Swann kannte, ein Mann von Geschmack zu opfern geraten hatte). In dem künstlerischen Durcheinander der Atelier-Unordnung in den noch dunkel gestrichenen Zimmern, die denkbar verschieden waren von Frau Swanns späteren weißen Salons, wich der Orient immer mehr dem vordringenden achtzehnten Jahrhundert; und die Kissen, die Frau Swann hinter mir häufte und stopfte, damit ich »confortable« sei, waren mit Louis-XV-Buketts bestickt, nicht wie ehemals mit chinesischen Drachen. In dem Zimmer, wo man sie am häufigsten fand und von dem sie sagte: »Ja, ich habe es gern, hier bin ich viel; ich könnte nicht leben unter feindlichen und banalen Dingen; hier arbeite ich (wobei sie, nebenbei bemerkt, nicht genauer angab, ob an einem Bild oder vielleicht, da damals bei den Frauen, die etwas tun und nicht nutzlos dasein wollen, der Geschmack am Schreiben aufkam, an einem Buch); in diesem Zimmer war sie umgeben von Meißner Porzellan, für das sie immer, mehr noch als einst für ihre Götzentiere und Gläser, zitterte vor der Ungeschicklichkeit der ahnungslosen Dienstboten; die mußten die Ängste, in denen ihre Herrin geschwebt hatte, durch heftige Zornesausbrüche büßen, welchen Swann, sonst ein so höflicher und freundlicher Gebieter, beiwohnte, ohne Anstoß an ihnen zu nehmen. Die deutliche Erkenntnis gewisser Minderwertigkeiten des geliebten Wesens beeinträchtigt die Liebe nicht, sie findet sie vielmehr reizend. Jetzt empfing Odette ihre Intimen seltener in japanischen Schlafröcken, lieber in der hellen, schaumigen Seide von Peignoirs im Geschmacke Watteaus; sie machte Bewegungen, als streichle der blumige Schaum ihre Brüste, sie tauchte hinein, lagerte und tummelte sich darin mit einem Ausdruck von erfrischendem Wohlbehagen der Haut und mit so tiefem Atemholen, als betrachte sie ihr Gewand nicht als Schmuck und Rahmen, sondern wie »tub« und »footing« als notwendig zur Befriedigung der Ansprüche ihrer Erscheinung und der hygienischen Raffinements. Sie könne, pflegte sie zu sagen, eher das tägliche Brot als Kunst und Sauberkeit entbehren, es würde sie mehr betrüben, die Gioconda verbrennen zu sehen als einen ganzen Haufen von Leuten ihrer Bekanntschaft. Solche Theorien muteten ihre Freundinnen paradox an, ließen aber in ihren Augen Frau Swann als eine höherstehende Frau erscheinen und verschafften dieser zweimal in der Woche den Besuch des belgischen Ministers; und in der kleinen Welt, deren Sonne sie war, würde sich jeder gewundert haben zu hören, daß sie anderswo, zum Beispiel bei den Verdurin, für dumm galt. Wegen dieser geistigen Lebhaftigkeit zog Frau Swann die Gesellschaft der Männer der weiblichen vor. Wenn sie aber die Frauen kritisierte, geschah es stets vom Standpunkt der Kokotte; sie wies auf Fehler hin, die ihnen bei den Männern schaden konnten, plumpe Gelenke, häßlicher Teint, orthographische Fehler, Haar auf den Beinen, pestilenzialischer Geruch, falsche Augenbrauen. Allein die oder jene, welche ehemals nachsichtig und freundlich zu ihr gewesen war, behandelte sie liebevoll, besonders wenn sie unglücklich war, verteidigte sie geschickt und sagte: »Man ist ungerecht gegen sie, sie ist sehr nett, das kann ich Ihnen versichern.« Nicht nur die Saloneinrichtung Odettes, auch Odette selbst hätten Frau Cottard und alle, die noch bei Frau von Crécy verkehrt hatten, nicht wiedererkannt, wenn sie sie nicht seit langem beständig gesehen hätten. Sie schien seit damals immer jünger geworden zu sein. Das hing gewiß zum Teil damit zusammen, daß sie zugenommen hatte, gesünder war, ruhiger, frischer und ausgeruhter aussah; andererseits gaben die neuen glatten Frisuren ihrem Gesicht mehr Linie, rosa Puder belebte es, Augen und Profil, die früher zu sehr hervortraten, waren jetzt mehr in das Ganze einbezogen. Ein anderer Grund dieser Veränderung war, daß Odette, in der Mitte des Lebens angelangt, endlich sich eine persönliche Physiognomie entdeckt oder erfunden hatte, einen unveränderlichen »Charakter«, ein Schönheitsgenre und ihren unregelmäßigen Zügen – die lange Zeit den zufälligen und widerstandslosen Launen des Fleisches ausgeliefert, bei der kleinsten Ermüdung für den Augenblick oder für Jahre eine Art zeitweisen Alters angenommen hatten, wovon sie je nach Laune und Miene ein zerstreutes, einmaliges, formlos reizendes Gesicht bekam – diesen feststehenden Typus aufprägte wie eine unsterbliche Jugend.

      Swann hatte in seinem Zimmer – statt der schönen Photographien, die man jetzt von seiner Frau machte und auf denen man an demselben rätselhaften Siegerausdruck, gleichviel in welchem Kleid und Hut, die stolze Silhouette und das triumphierende Gesicht erkannte – eine kleine Daguerréotypie, primitiv altertümlich, aus der Zeit vor dem neuen Typus, in der noch nichts von Odettes inzwischen gefundener Jugend und Schönheit war. Doch sei es, daß er einer ganz anderen Auffassung treu geblieben oder auf sie zurückgekommen war. Swann genoß ohne Zweifel in dieser jungen, hageren Frau mit den nachdenklichen Augen, den matten Zügen, der zwischen Bewegung und Starrheit hangenden Haltung eine eher botticellihafte Anmut. In der Tat liebte er es immer noch, in seiner Frau einen Botticelli zu sehen. Odette aber suchte, statt es hervorzuheben, den Ausgleich und sie verbarg, was dem Künstler vielleicht ihr »Charakter« war, jedoch ihr selbst nicht gefiel und für eine Frau fehlerhaft vorkam; sie wollte nichts von diesem Maler wissen. Swann besaß eine wunderbare blau-rosa orientalische Schärpe, die er gekauft hatte, weil sie genau die der Jungfrau im Magnificat war. Die wollte Frau Swann nicht tragen. Nur einmal ließ sie sich von ihrem Mann eine Robe, ganz übersät mit Maßliebchen, Kornblumen, Vergißmeinnicht und Glockenblumen bestellen, und zwar nach der Primavera. Manchmal abends, wenn sie müde war, machte er mich leise darauf aufmerksam, wie sie nichtsahnend ihren nachdenklichen Händen die gelöste, etwas gequälte Bewegung der Jungfrau gab, welche die Feder in das Tintenfaß taucht, das ihr der Engel reicht, und im Begriff ist, ins heilige Buch zu schreiben, in dem das Wort Magnificat schon eingezeichnet steht. Dann fügte er immer hinzu: »Sagen Sie es ihr nur nicht; wenn sie es wüßte, würde sie es sofort anders machen.«

      Außer in solchen Momenten unwillkürlichen Nachgebens, in denen Swann den СКАЧАТЬ