Название: Kindheit, Jugend und Krieg
Автор: Theodor Fontane
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788027225842
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Die Scherenbergs, denen ich mich nun zuwende, stammten ursprünglich aus Westfalen, wo sie, mehrere Jahrhunderte zurück, den noch jetzt bei einem Zweige der Familie verbliebenen Sieger-Hof besaßen. Andere Zweige verließen ihre heimatliche Provinz und übersiedelten teils westlich ins Jülich-Clevesche, teils östlich bis an die Oder hin, wo sie sich in Stettin und später in Swinemünde niederließen.
Das Haupt dieses Stettin-Swinemünder Familienzweiges war zu der Zeit, von der ich hier berichte, Johann Theodor Scherenberg, ein Sechziger, dessen ältester Sohn, Christian Friedrich, damals schon über dreißig Jahre zählte, während der noch unter uns lebende Maler Hermann Scherenberg eben erst das Licht der Welt erblickt hatte. Diese starken Jahresunterschiede waren darin begründet, daß der alte Scherenberg zweimal verheiratet war, in erster Ehe mit einem Fräulein Courian, in zweiter Ehe mit einem Fräulein Villaret, beide der Stettiner französischen Kolonie entstammend. Aus diesen Eheschließungen mit Damen von durchaus französischer Eigenart erklärt es sich auch wohl, daß durch jetzt drei Generationen hin alle oder doch fast alle diesem Swinemünder Zweige der Scherenberg-Familie Zugehörigen eine ausgesprochene, zum Teil von sehr bemerkenswerten Erfolgen begleitete Vorliebe für die schönen Künste gehabt haben. Denn wenn es auch – ich habe darüber mit dem verstorbenen Konsistorialrat Fournier, dem besten Kenner auf diesem Gebiete, mehr als einmal eingehende Gespräche führen dürfen – als sicher gelten darf, daß auf allgemeine geistige Veranlagung hin angesehn, von einer im vorigen Jahrhundert von seiten der Kolonieleute noch als eine Art Dogma betrachteten Überlegenheit längst keine Rede mehr sein kann, so möchte ich doch beinah annehmen, daß in bezug auf künstlerische Beanlagung (Handgeschicklichkeiten mit eingeschlossen) auch in diesem Augenblicke noch die Nachkommen der »Kolonie« den berlinischen Autochthonen – ganz speziell diesen, im Gegensatz zu dem Zuzug aus andern deutschen Landesteilen – um einen guten Pas voraus sind. Ich glaube dies mannigfach beobachtet zu haben, aber freilich in keinem Falle gleich auffällig wie in dem Fall Scherenberg. Überblicke ich mit Umgehung der Damen, in deren Reihen sich vielfach dieselbe künstlerische Neigung zeigte, die Gesamtheit dessen, was seit Beginn des Jahrhunderts der Scherenberg-Familie zugehörte, so stellt sich, trotzdem fast alle von vornherein für den Kaufmannsstand bestimmt wurden, folgendes als Resultat heraus:
Christian Friedrich Scherenberg (gestorben 1881), der Dichter von Ligny und Waterloo, von Zieten-Ritt, Abukir und Hohenfriedberg; Ernst Scherenberg, Dichter und Schriftsteller; Gustav Scherenberg, Schauspieler und Theaterdirektor; Hermann Scherenberg, Maler und Illustrator; Hans Scherenberg (Sohn Hermanns), ebenfalls Maler.
Ein gut Stück Künstlerschaft . Aber auch die, die über die Welt hin zerstreut, innerhalb ihres ursprünglich gewählten Kaufmannsberufes verblieben, hatten, in der Kunst dilettierend, ganz ausgesprochen den dichterischen Zug oder führten ein Leben, das einer romantischen Dichtung gleichkam, unter ihnen Theodor Scherenberg (Christian Friedrichs älterer Bruder), der 1813 in Abenteurerlust und patriotischem Übereifer mit kaum sechzehn Jahren in den Krieg zog und ein paar Wochen später bei Dennewitz fiel.
Die Beziehungen meiner Eltern, besonders meiner Mutter, zu dem Scherenbergschen Hause waren sehr freundliche; wir Kinder aber, vielleicht weil der alte Scherenberg schon ein Schwerkranker war, überschritten kaum jemals die Schwelle des Hauses. Desto deutlicher hab ich dies Haus selbst in seiner äußeren Erscheinung in Erinnerung: ein sauberer Bau mit aufgesetztem Frontgiebel und schönen alten Linden davor. Kam dann der Sommer, so hörte man das Summen der Bienen in dem Gezweig, und die Vögel flogen viel munterer hier ein und aus. Es war, als wüßten sie, wieviel fröhliche Genossenschaft ihnen aus dem Hause, das sich hinter dem blühenden Gezweige barg, über kurz oder lang erwachsen würde.
Die Krauses
Die Scherenbergs waren eine durch Klugheit und Begabungen, die Schönebergs eine durch Reichtum und Solidität angesehene Familie, beide jedoch führten nicht eigentlich das Regiment, noch weniger die Thompsons, trotzdem der schon in Kürze geschilderte, mal als Tiefenbach und mal als Illo sich gerierende Chef des Hauses nach wie vor seinen Anhang und Einfluß hatte. Die Herrschenden in der Stadt waren die Krauses, zugleich diejenigen, auf die die Verfeinerung des noch aus der Kriegszeit herstammenden derberen Tones zurückzuführen war. Das Haupt der Familie war um die Zeit, von der ich hier spreche, der Geheime Kommerzienrat Krause, meistens der »alte Geheimrat« oder auch nur kurzweg der »alte Krause« genannt. Alles erging sich in Respekt gegen ihn, und der meinige war schon da, bevor ich noch den Vielgefeierten von Angesicht zu Angesicht kennengelernt hatte. Das hing so zusammen. Am Bollwerk lag ein besonders großes und schönes Schiff, das vorn am Gallion statt eines Namens einfach die Bezeichnung »Der neunte März« trug. Ich fragte, wie das käme, und hörte nun, was sofort einen großen Eindruck auf mich machte, daß der 9. März der Geburtstag des alten Krause sei. Bald danach sah ich diesen zum erstenmal, als er am Anlegeplatz des Stettiner Dampfschiffs einen Gast empfing. Er war, trotz seiner beinah siebzig, noch in glänzender Verfassung, so daß ich sagen darf, auf meinem Lebenswege niemandem begegnet zu sein, der mir die dominierenden Gestalten des vorigen Jahrhunderts so veranschaulicht hätte wie er. Die Männer von heute wirken wie blaß daneben, weil ihnen das fehlt, was sich in der Gegenwart nicht gleich glücklich entwickeln kann: ein ungeheures Selbstgefühl. Wo kam nun dies Hochmaß her? Man sollte füglich glauben, daß es in Zeiten, in denen der unter Umständen auch die höchsten Würdenträger des Staats nicht schonende friderizianische Krückstock noch immer umging, an diesem Selbstgefühl hätte fehlen müssen, aber es lag umgekehrt und mußte so liegen, denn gerade so selbstherrlich wie der Fürst des Landes, so selbstherrlich war jeder in seinem Kreise. Man glaubte ehrlich СКАЧАТЬ