Kindheit, Jugend und Krieg. Theodor Fontane
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Название: Kindheit, Jugend und Krieg

Автор: Theodor Fontane

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 9788027225842

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СКАЧАТЬ Ehre«, warf er hin und trommelte mit den Fingern auf dem Tisch.

      Aber er hatte doch nicht den Mut, es zu bestreiten, und sah nur weg und stand auf.

      Die Stadt war sehr häßlich und sehr hübsch, und ein gleicher Gegensatz sprach sich auch, wenigstens auf die moralischen Qualitäten hin angesehen, in ihrer Bevölkerung aus. Es gab hier, wie immer in Seestädten, eine breite, tagaus, tagein unter Rum und Arrak stehende, zugleich den Grundstock der Gesamteinwohnerschaft ausmachende Volksschicht, daneben aber, ebenfalls nach allgemein seestädtischem Vorbild, eine geistig durchaus höher potenzierte Gesellschaft, die jedenfalls weit über das hinauswuchs, was man damals in den von engsten Philisteranschauungen beherrschten kleinen Städten der Binnenprovinzen, namentlich auch unserer Mark, anzutreffen pflegte. Daß die Bewohnerschaft allem Spießbürgertum so durchaus fremd war, hatte sicher in manchem seinen Grund, vorwiegend aber wohl darin, daß die gesamte Bevölkerung von ausgesprochen internationalem Charakter war. In den umliegenden großen und reichen Dörfern wohnten vielleicht noch wendisch-pommersche Autochthonen aus den Tagen von Julin und Vineta her, in Swinemünde selbst aber, zumal in der Oberschicht der Bewohnerschaft, war alles derart durcheinandergewürfelt, daß man den Repräsentanten aller nordeuropäischen Völker daselbst begegnete, Schweden, Dänen, Holländern, Schotten, die hier früher oder später hängengeblieben waren, die meisten wohl zu Beginn des Jahrhunderts, zu welcher Zeit die bis dahin sehr unbedeutende Stadt überhaupt erst einen Aufschwung genommen hatte.

      Die Zahl der Einwohner war, als wir daselbst eintrafen, gegen viertausend, wovon aber kaum der zehnte Teil städtischbürgerlich und ein noch viel, viel kleinerer Bruchteil gesellschaftlich in Betracht kam. Was man mit mehr oder weniger Fug und Recht »Gesellschaft« nennen konnte, bestand aus nicht mehr als zwanzig Familien. Diese zwanzig bildeten (auch ein paar von Adel aus der Umgegend kamen des weiteren hinzu) eine sich im Olthoffschen Saale versammelnde »Ressource«, zu der noch, wie zur Gesellschaft überhaupt, der Anhang oder die Gefolgschaft einiger der reichsten und angesehensten Häuser gehörte. Diese halb aus armen Verwandten und halb aus heruntergekommenen Kaufleuten bestehende Klientel wurde nicht immer, aber doch jedesmal zu den größeren, auf starke Wirkungen berechneten Gastereien mit herangezogen, um hier während der zweiten Tafelhälfte – die erste tat sich meist durch bemerkenswert gute Haltung hervor – das über sich ergehn zu lassen, was die Engländer practical jokes nennen. Trat dieser Zeitpunkt ein, so lösten sich alle Bande frommer Scheu, und man schritt nun zu den gewagtesten Experimenten, über die zu berichten die Feder sich sträubt. Einmal kam es vor, daß einem dieser Unglücklichen, unglücklich, weil er arm und abhängig, ein Backzahn mit der ersten besten Zange ausgezogen wurde, woraus man aber nicht schließen wolle, daß diejenigen, die dies vornahmen, überhaupt rohe Menschen gewesen wären. Nur der zu jener Zeit, zumal wenn die Weinlaune hinzukam, sich gern geltend machende gesellschaftliche Übermut glaubte sich dergleichen erlauben zu dürfen. In reichen und vornehmen Häusern auf dem Lande ging man gelegentlich noch um einen guten Schritt weiter, worüber ich anderenorts ausführlicher berichtet habe.

      Zwanzig Familien also bildeten die Honoratiorenschaft der Stadt, und aus der Gesamtheit derselben möchte ich in diesem und den zwei folgenden Kapiteln eine bestimmte Zahl von Personen dem Leser vorstellen dürfen.

      Da war zunächst der alte Landrat von Flemming, damals ein Funfziger, nach Geburt und Stellung der erste Mann der Stadt und vielleicht auch der beste. Guter alter Adelstypus. Sein Adelsgefühl war von jener eigentümlichen, glücklicherweise häufiger vorkommenden Art, die nie verletzt, so wie es Fromme gibt, deren Frömmigkeit nie bedrückt. Jene Adligen und diese Frommen haben eben nur das Bewußtsein eines inneren Vermögens, still, ohne jede Provokation. Der alte Flemming gehörte zu diesen Bevorzugten; er war vollkommen anspruchslos, eine tief bescheidene Natur, die die sogenannten Gaben nicht mißachtete, aber auch nicht überschätzte und das Gewicht auf die Gesinnung legte. Seine Beziehungen zu den guten Familien der Stadt waren die besten von der Welt. Unter anderen Verhältnissen hätte er es sehr wahrscheinlich vorgezogen, mit seinen Standesgenossen zu leben, aber in Swinemünde gab es deren nicht und in der Nachbarschaft nur sehr wenige. So schloß er sich gesellschaftlich dem an, was da war. Nur in einem nahm er beharrlich eine Sonderstellung ein, wohl mit einer kleinen liebenswürdigen Absichtlichkeit. Das war hinsichtlich des Tischweins. Auf allen Tafeln hielt man streng zum Stettiner Rotwein, der alte Flemming aber bezog ihn direkt aus Bordeaux, was ihm viele Kosten und wenig Dank einbrachte. »Wenn er sich doch zur Stettiner Traube bekehren wollte«, so hieß es oft, ohne daß es geholfen hätte. Seine hinterpommerschen Güter waren verpachtet und wurden erst nach seinem Tode von der Familie wieder übernommen. Er hatte sich spät verheiratet, und sein Haus, dem ein reicher Kindersegen erblühte, tat sich ebenso durch gute Sitte wie durch Herzensgüte hervor. Zwischen seiner Frau und meiner Mutter bestand eine große Liebe, was wohl in gegenseitigem Respekt der Charaktere seinen Grund hatte. Diese besondere Freundschaft führte denn auch zur Stiftung eines »cercle intime«, der eine etwas merkwürdige Zusammensetzung hatte: Landrat von Flemming (Uradel), Rittergutsbesitzer von Borcke (dito), Apotheker Fontane. Hierin lagen denn auch, trotz besten Willens auf beiden Seiten, die Keime raschen Auseinanderfallens, und es kam wirklich über einen ersten Gesellschaftsabend nicht hinaus. Man hatte sich bei Flemmings versammelt, und als es zu Tische ging, reichte der alte Flemming der schönen Frau von Borcke seinen Arm und von Borcke der Frau von Flemming; mein Vater und meine Mutter blieben übrig. »Eh bien, Madame, Dieu le veut«, sagte mein Vater, und beide folgten als drittes Paar. Es kam anderntags zu den aufrichtigst gemeinten Entschuldigungen, ohne daß diese den »cercle intime« wiederhergestellt hätten. Aber auch ohne diesen, die Freundschaft blieb und überdauerte, wie gleich hier erzählt werden mag, unsren Swinemünder Aufenthalt um viele Jahre. Dessen war besonders die silberne Hochzeit meiner Eltern 1844 ein beredter Zeuge. Wir lebten damals in einem großen und reichen Oderbruchdorfe, zwei Meilen von Küstrin, und von uns Kindern war, wohl oder übel, ein Polterabend vorbereitet worden. Die Mama hatte sich zunächst sehr energisch dagegen ausgesprochen, war aber schließlich überwunden worden. Und so kam denn der große Tag heran. Am Spätnachmittage, kurz vor Beginn der Aufführungen – einige von uns waren schon in Kostüm –, fuhr, unter herzhaftem Blasen des Postillons, eine Extrapost bei uns vor, und dem ziemlich klapprigen Wagen entstiegen, nachdem ein Tritt herangerückt war (denn die Wege waren mal wieder grundlos), als erster der alte Landrat von Flemming und hinter ihm her ein zweiter Herr, beide abdeputiert, um dem Silberpaare die Grüße der alten Swinemünder Freunde zu bringen. Sie kamen, wie sich denken läßt, nicht mit leeren Händen, und als wir Kinder das Unsere getan und unser Festspiel beendet hatten, trat von Flemming im Namen der alten Tafelrunde vor und überreichte unter feierlicher Ansprache einen Pokal. Die Freude war groß und aufrichtig. Ein kleines Abendessen folgte dieser Szene, von allerlei Reden begleitet; aber diese Reden und Gegenreden, so viele ihrer waren, reichten doch nicht aus, die langen Abendstunden mit Manier zu füllen, so daß gegen neun der Spieltisch aufgeklappt und eine Partie ganz wie vordem arrangiert wurde. Dies wiederholte sich auch am nächstfolgenden Tage, wo nach dem stattgehabten eigentlichen Festmahle die Verlegenheiten hinsichtlich Unterbringung der Zeit noch um ein erhebliches größer waren. Alles in allem war, als sich Gott sei Dank am Morgen des dritten Tages der Abreisemoment näherte, die Mehrzahl der Stunden am Whisttisch verbracht worden. Und nun kam der Abschied selbst. Wir sahen den beiden Scheidenden unter Tücherwehen eine ganze Weile nach, dann aber nahm mich mein Vater unterm Arm und sagte, während er mit mir auf und ab ging: »Es war sans phrase reizend, aber einschließlich unseres Whist en trois doch etwas kostspielig. Habe wieder ein Erkleckliches dabei verloren. Andrerseits muß ich sagen, es hätte mich doch sehr geniert, wenn ich der Gewinner gewesen wäre. Bedenke nur den Pokal und die Reise! Freilich, merkwürdig ist und bleibt es ... nicht einmal an meinem silbernen Hochzeitstage ... immer dasselbe Pech. Ob es doch vielleicht ein Zeichen für mich sein soll, eine Schicksalsmahnung, es aufzugeben!«

      Und wirklich, er gab es auf. Freilich nicht direkt, aber der hier geschilderte Tag war doch ein Wendepunkt, und wenn ich ihn in seinen letzten Lebensjahren besuchte, beglückwünschte er sich regelmäßig zu diesem endlichen Wandel der Dinge und sagte: »Das verdanke ich dem alten Flemming; weißt du noch, damals, als er mir den Pokal brachte.«

      Frau von Flemming war eine geborene Königk. СКАЧАТЬ