Kindheit, Jugend und Krieg. Theodor Fontane
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Название: Kindheit, Jugend und Krieg

Автор: Theodor Fontane

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 9788027225842

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СКАЧАТЬ Landrat von Flemming wohl die erste Stellung ein, so wenigstens erschien es mir, was übrigens möglicherweise nur darin seinen Grund hatte, daß ich, infolge von vielen noch aus der Zeit der Kontinentalsperre herrührenden Geschichten, vor jeglichem, was mit Steuer und Douane zusammenhing, einen großen Respekt hegte. So war einer dieser Geschichten nach, ich glaube im Jahre neun, der Versuch gemacht worden, eine Schiffsladung voll Vanille einzuschmuggeln, selbstverständlich eine Sache von sehr bedeutendem Wert. Die Douane kam indessen dahinter und belegte die ganze Ladung mit Beschlag. Aber nicht das allein, auch vernichtet mußte die Ladung werden, und so wurden denn Hunderte von Vanillekisten auf dem großen Marktplatz übereinander geschichtet und angezündet. Dies geschah zufällig bei nebligem Wetter, und so kam es denn, daß der die Flamme niederdrückende Nebel die Stadt einen ganzen Tag lang in eine Vanillen-Atmosphäre hüllte. Wo so was vorkommen konnte, da spielte die Steuer natürlich eine Rolle. – Steuerrat Königk war ein Herr von sehr feinen Sitten, ernst und liebenswürdig zugleich, dabei voll Geistesgegenwart. Einmal in eine Gesellschaft geladen, wurde er aufgefordert, sich an den Spieltisch zu setzen. Das erste, was er sah, waren ungestempelte Karten. Er erhob sich einfach von seinem Platz und ging in das Nebenzimmer, um da mit den Damen zu plaudern. Die Karten verschwanden natürlich sofort. Königk, als wir nach Swinemünde kamen, war schon mehrere Jahre lang Witwer und lebte zurückgezogener als andere. Von seinen beiden Söhnen aber war der ältere dann und wann auf Besuch im väterlichen Hause. Dieser ältere, Karl, hatte sich dem Baufach gewidmet und bekleidete zuletzt ein Direktorialamt (Betriebsdirektor) an der Anhalter Eisenbahn. Er beschloß seine Tage in einer kleinen Stadt am Harz. Der jüngere Bruder, Louis, führte ein eigentümlich wechselvolles Leben. Er war stark in die Demagogenbewegung verwickelt und hatte Festungshaft zu verbüßen. Als er wieder freikam, kam auch er vorübergehend ins väterliche Haus, und ich entsinne mich seiner aus jener Zeit her sehr wohl. »Er war für Freiheit und kam auf die Festung«, in diese Lapidarworte faßte mein Vater die Situation zusammen, und ich meinerseits war voller Teilnahme, weil ich in dem Ganzen etwas Heldenmäßiges und Opferfreudiges sah, das mir als solches imponierte. Von seinem Lebensausgang erfuhr ich später das Folgende: Mitte der dreißiger Jahre ging er als Erzieher zu den Kindern eines Grafen Bninski; dort war er lange Zeit, wurde Freund des Hauses und sprach nur oft den Wunsch aus, daß er auf dem Swinemünder Kirchhofe begraben sein möchte. Daß sich dies erfüllen würde, war ihm selber sehr zweifelhaft. Aber es erfüllte sich doch. Er wurde nervenkrank und sollte, nach ärztlichem Rat, zu seiner Wiederherstellung in ein Seebad. Er wählte natürlich Swinemünde. Da starb er und ruht nun da, wo er zu ruhen wünschte.

      Ein anderer aus der Honoratiorenschaft war Hofrat Dr. Kind, wenn ich recht berichtet bin, ein Neffe des Freischützdichters Friedrich Kind. Er war mit einem Fräulein Valentini verheiratet, einer Schwester des um jene Zeit als Universitätslehrer in Berlin lebenden italienischen Professors Valentini. Das damals erst aufblühende Swinemünder Seebad verdankte dem Eifer Kinds sehr viel; unter anderem war er auch schriftstellerisch in dieser Richtung tätig. In seiner Erscheinung war er klein und fein, typischer Sachse, was sonderbarerweise die Spottlust der sonst so humoristisch-derb zugeschnittenen Swinemünder nicht herausforderte. Nie war er Gegenstand von neckischen Angriffen und ist mir dadurch immer ein Beweis geblieben, daß man Hänseleien sehr wohl entgehen kann, auch ohne Grobheit, Unliebenswürdigkeit und Zweikämpfe. Denn es ist sehr selten, daß Spötter unter allen Umständen ihren Spott treiben, sie suchen vielmehr zunächst nach Schwächen, und erst wenn sie diese gefunden haben, haken sie ein, während alle diejenigen unbehelligt bleiben, die ruhig und artig ihren Weg wandeln und keine Blöße bieten. So war es auch mit Dr. Kind. Er war unser Hausarzt, und meine Mutter hielt große Stücke auf ihn. »Die andern«, sagte sie, »sind Witzbolde, Dr. Kind ist aber ein feiner Mann, und wenn ich da wählen soll, wird mir die Wahl nicht schwer.«

      Hofrat Kind war Hüter unseres physischen Menschen, der alte Pastor Kastner dagegen war Hüter unserer Seelen. Allerdings nicht auf lange mehr; er starb bald nach unserer Ankunft. Sein Amtieren am Ort reichte wohl bis in die letzten friderizianischen Regierungsjahre, jedenfalls bis in die Franzosenzeit zurück, und wenn er »Erinnerungen« geschrieben hätte, so hätte das wohl das anschaulichste Bild einer kleinen pommerschen Seestadt aus dem Ende des vorigen und dem Beginne dieses Jahrhunderts gegeben. Er hatte durch all die Zeit hin, trotzdem es Zeiten bedenklichster Lebens- und Gesellschaftsformen waren, sein Ansehen nicht eingebüßt, und die Liebe seiner Gemeinde stiftete ihm gegen das Ende seiner Tage hin ein lebensgroßes Bild in der Kirche, das, wie die Bilder aller alten Pastoren mit Doppelkinn, den ausgesprochenen Luthertypus zeigte. Wenn wir gelegentlich dem alten Küster Hahr, der nebenher auch noch Totengräber und Glöckner war, beim Glockenläuten halfen, schlich ich mich meistens aus der Vorhalle der Kirche in diese selbst hinein, bloß um das Bild des alten Kastner, der mir als der Inbegriff des Ehrwürdigen erschien, besser vor Augen zu haben. Daß mich der alte K., beziehungsweise sein Bild, so lebhaft interessierte, hatte freilich seinen Grund nicht bloß in der ehrwürdigen Erscheinung des Alten, sondern mehr noch darin, daß mir mein Vater erzählt hatte, Pastor Kastner, trotzdem er nur arm sei, habe seine drei Söhne studieren lassen, und alle drei seien Professoren geworden, einer sogar Professor der Chemie zu Kasan, »zu Kasan an der Wolga mit beinahe 60 000 Einwohnern«. Mein Vater hatte nämlich, wie schon angedeutet, ein besonderes Talent, nicht bloß historische, sondern auch geographische Namen derart auszusprechen, daß sie einen Eindruck machen mußten, besonders wenn er die Namensnennung noch mit einer großen Einwohnerzahl begleiten konnte.

      Neben dem Predigerhause stand das Burgemeisterhaus, drin Burgemeister Beda wohnte. Wie Kastner, so war auch Beda schon alt und krank, und sein Stadtregiment, wenn er ein solches überhaupt noch führte, währte nicht lange mehr. Kaum ist mir ein Bild von ihm geblieben, desto deutlicher aber von seiner (zweiten) Frau. Diese war, bei Hinscheiden ihres Gatten, noch eine Schönheit ersten Ranges und stammte wahrscheinlich aus dem Süden, ich würde sagen aus Südspanien, wenn sie nicht, statt klein und zierlich wie die meisten Südspanierinnen, von imposanter Erscheinung gewesen wäre, groß, ernst, hoheitlich. Jedenfalls war ihr etwas völlig Fremdartiges eigen, und als ich einige zwanzig Jahre später Storms Gedichte kennen und bewundern lernte, konnte ich eines dieser Gedichte nie lesen, ohne die Gestalt der schönen Frau Beda wieder vor mir aufsteigen zu sehen. Dies Gedicht hieß »Die Fremde« und lautete in seinen Schlußzeilen:

      Ich hörte niemals heimverlangen

       Den stolzen Mund der schönen Frau,

       Nur auf den südlich blassen Wangen

       Und über der gewölbten Brau

       Lag noch Granadas Mondenschimmer,

       Den sie vertauscht um unsern Strand,

       Und ihre Augen dachten immer

       An ihr beglänztes Heimatland.

      All das paßte genau auf die schöne Frau Beda. Ihre älteste Tochter, die viele Jahre später in unserem Hause lebte und meine jüngste Schwester erzog, war in ihrer Jugend von gleicher Schönheit wie die Mutter, aber nicht von derselben Dauerbarkeit. Ein jüngerer Sohn der Frau Beda, der jahrelang zu meinen Spielgefährten zählte, ging später nach England und wurde preußischer Konsul in Leith bei Edinburgh. Da sah ich ihn 1858 auf einer Reise durch Schottland wieder, ihn und seine junge Frau. Diese war eine Tochter des Historikers Alison, eines der wenigen englischen Geschichtsschreiber, die torystisch und (was Alison angeht) sogar im Sinne und zur Verteidigung der gesamten Stuart-Familie geschrieben haben. Auch das kam zur Sprache, und wir verplauderten sehr angenehme Stunden.

      Die Mutter und Tochter Beda waren Schönheiten, was mir Gelegenheit gibt, hier einschaltend über die Swinemünder Frauenwelt überhaupt zu sprechen. Der kleine Ort war wie eine lebendige Gallery of beauties und gab so recht den Beweis für die Überlegenheit der Meeresanwohner in allem, was Erscheinung angeht. Wohl mag gelegentlich auch eine deutsche Binnenlandsbevölkerung, also beispielsweise die Bevölkerung in Rhein- und Mainfranken, in einzelnen Teilen von Schwaben, auch sporadisch in Sachsen und Schlesien, ähnlich hohe Prozentsätze von anmutigen Frauen und Mädchen aufweisen, ich bilde mir aber ein, nirgends in meiner deutschen Heimat СКАЧАТЬ