Название: Kindheit, Jugend und Krieg
Автор: Theodor Fontane
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788027225842
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So viel über die gute Schrödter, und nachdem ich ihrer in diesem Exkurse gedacht habe, frage ich noch einmal: »Ja, wie lebten wir?« Ich gedenke, es in einer Reihe von Bildern zu zeigen, und um Ordnung und Überblick in die Sache zu bringen, wird es gut sein, das Leben, wie wir es führten, in zwei Hälften zu teilen, in ein Sommer- und in ein Winterleben.
Da war nun also zunächst das Sommerleben. Um Mitte Juni hatten wir regelmäßig das Haus voll Besuch, denn meine Mutter hielt noch nach alter Sitte zu Verwandten, was wir Kinder nur sehr unvollkommen von ihr geerbt haben. Aber wohlverstanden, sie hielt zu Verwandten, nicht um Vorteile von ihnen zu haben, sondern um Vorteile zu gewähren. Sie war unglaublich generös, und es gab Zeiten, wo wir, schon erwachsen, uns die Frage vorlegten, welche Passion eigentlich bedrohlicher für uns sei, die Spielpassion des Vaters oder die Schenk- und Gebepassion der Mutter. Schließlich wußten wir aber Bescheid in dieser Frage. Was der Vater tat, war das reine weggeworfene Geld, was die Mutter zuviel ausgab, war immer selbstsuchtslos ausgegeben und barg einen stillen Segen in sich. Ein gewisses Verlangen (so gut sichs tun ließ), ein ganz klein wenig von einer grande dame zu sein, lief wohl mit unter, aber einen Beisatz von menschlicher Schwäche hat schließlich all unser Tun. Später, wenn wir mit ihr über diese Dinge sprachen, sagte sie: »Gewiß, ich hätte manches auch unterlassen können, es ging weit über unsern Etat; aber ich sagte mir: Was da ist, wird doch ausgegeben, und da ist es besser, es läuft meinen Weg als den andern.«
Diese Sommermonate, von Mitte Juni an, waren durch die Fülle von Besuch oft reizend, meist junge Frauen aus der Berliner Verwandschaft, plauderhaft und heiter. Das Haus war dann auf Wochen hin total verändert, und Scherz und Schalkhaftigkeit, die sich bis zur Ausgelassenheit steigerten, herrschten vor. Die Streitaxt war begraben, und die glänzendste Nummer in dem sich nun entspinnenden Wettstreite guter Laune war immer mein Vater selbst. Er war, wie oft schöne Männer, das absolute Gegenteil von einem Don Juan, auch stolz auf seine Tugend, aber so undonjuanmäßig er war, so gascognisch entzückend war er, wenn es sich um übermütige, gelegentlich die verwegensten Themata streifende Wortkämpfe mit den jungen Frauen handelte, von welchen letztren er nur forderte, daß sie hübsch seien, sonst verlohnte sichs ihm nicht. Ich habe diese Neigung, in scherzhaftem Tone mit Damen in diffizile Debatten einzutreten, von ihm geerbt, ja, diese Neigung sogar in meine Schreibweise mit herübergenommen, und wenn ich entsprechende Szenen in meinen Romanen und kleinen Erzählungen lese, so ist es mir mitunter, als hörte ich meinen Vater sprechen. Bloß, daß ich sehr hinter ihm zurückbleibe, was mir, als er schon über siebzig und ich dementsprechend auch schon leidlich bei Jahren war, von Leuten, die ihn noch in seiner guten Zeit gekannt hatten, oft gesagt worden ist. »Hören Sie«, so hieß es dann wohl, »Sie sind ja soweit ganz gut, wenn Sie mal Ihren glücklichen Tag haben, aber gegen Ihren Vater können Sie nicht an.« Und das traf auch sicherlich zu. Seine von Bonhomie getragenen und zugleich von phantastischen Advokatenkunststücken unterstützten Plaudereien waren – auch wenn sie Geldsachen, wo doch sonst die Gemütlichkeit aufhört, betrafen – geradezu unwiderstehlich und dabei von so nachwirkender Kraft, daß keines von uns Kindern je das geringste bittere Gefühl über seine höchst merkwürdigen Finanzoperationen unterhalten hat. Nur meine Mutter war zu sehr anders geartet, um durch seine gesellschaftlichen Liebenswürdigkeiten umgestimmt oder erobert werden zu können; ihr war die Sache gerade dann am widerstrebendsten, wenn sie ins Leichte und Heitere gezogen werden sollte. »Was ernst ist, ist eben nicht heiter.« Übrigens bestritt sie ihm nicht, daß er als glücklicher Humorist es immer verstanden habe, die Leute auf seine Seite zu ziehen, setzte dann aber hinzu »leider«.
Und nun zurück zu dem Sommerbesuch in unserm Hause. Das junge Weibervolk immer zu vergnügen, war mitunter etwas schwer, und es hätte sich vielleicht als unmöglich erwiesen, wenn nicht die Pferde gewesen wären. An fast jedem schönen Nachmittage fuhr der Wagen vor, und diese mit ihrem Besuch uns zeitweilig fast erdrückenden Badesaisontage mögen wohl die einzigen gewesen sein, wo sich meine Mutter, ohne übrigens ihre Grundanschauung deshalb aufzugeben, vorübergehend mit der Existenz von Pferd und Wagen aussöhnte. Wer Swinemünde kennt, und es kennen es viele, weiß, daß man, bei Nachmittagspartien, wegen hübscher Zielpunkte nicht in Verlegenheit kommt, und auch schon damals war es so wie heute. Da ging es, am Strand hin, bis Heringsdorf oder nach der andern Seite hin bis an die Molen, am beliebtesten aber, schon um Schutz gegen die Sonne zu haben, waren die Fahrten landeinwärts, entweder durch dichten Buchenwald auf Korswandt zu oder noch lieber nach dem in Nähe des Haffs und des »Golms« gelegenen Dorfe Kamminke. Da war eine vielbesuchte Kegelbahn, auf der dann auch die Damen mitspielten. Ich meinerseits aber stellte mich gern neben die splittrige Lattenrinne, drauf der Kugeljunge die Kugeln wieder zurücklaufen ließ, welchen Stand ich übrigens nur wählte, weil ich kurze Zeit vorher gehört hatte, daß ein Mitspielender auf ebendieser Kegelbahn beim Abfangen der heranrollenden Kugel sich einen langen Lattensplitter unter den Nagel des Zeigefingers eingestoßen habe. Das hatte solchen Eindruck auf mich gemacht, daß ich immer schaudernd auf eine Wiederholung wartete, die aber zum Glück ausblieb. War ich dann endlich müde vom Warten, so trat ich durch eine schiefhängende, immer knarrende Gittertür in ein Stück Gartenland ein, das dicht neben der Kegelbahn hinlief, und zwar parallel mit ihr. Es war ein richtiger Bauerngarten, Balsaminen und Reseda blühten drin, und an einer Stelle standen die Malven so СКАЧАТЬ