Название: Gesammelte Werke
Автор: Isolde Kurz
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962812515
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Als hätte er nur auf einen Anlass gewartet, fuhr er heraus:
Was wir tragen können oder nicht, haben Sie nicht zu entscheiden. Wir sind hier keine Schulkinder, die sich ihre Fähigkeiten vom Herrn Oberlehrer bezeugen lassen müssen.
Gustav, der sich niemals zum Einlenken und Begütigen herbeiließ, auch nicht, wenn man ihn augenscheinlich missverstand, sagte nur von oben herab:
Es wird mir wie jedem andern gestattet sein, meine Meinung über allgemeine Fragen zu äußern.
Aber jener, der seinen bisher stummen Groll schon stark mit Wein begossen hatte und daher nur die Schärfe des Tones, nicht den völlig arglosen Sinn der Rede fasste, wurde dadurch noch mehr gereizt, und als ich mich vermittelnd dazwischenlegte, warf sich der Störenfried plötzlich auf mich, indem er zornig rief:
Und von Ihnen lass’ ich mir keine undeutsche Gesinnung vorwerfen. Wenn ich am Reich zu tadeln finde, so ist es meine Sache: Ich hab’ es machen helfen. Ich habe mit der Waffe in der Hand meine Schuldigkeit getan, ich bin kein Drückeberger und Ausreißer.
Die letzten Worte schrie er plötzlich aufkochend so laut in das Stimmengewirr, dass es für einen Augenblick verstummte. Gustav erblasste bis über die Stirn. Ob die Worte einen Ausfall gegen ihn enthielten, möchte ich bei dem angedunkelten Zustand des Schreiers nicht einmal entscheiden. Jedenfalls nahm Gustav den mutmaßlichen Handschuh auf, indem er kalt und spöttisch sagte:
Leier und Schwert. Sie täten besser, Ihr umnebeltes Dichterhaupt in die Kissen zu legen, als uns mit Ihren Waffentaten zu unterhalten.
Das Wetterglas stand an jenem Abend augenscheinlich auf Sturm. Denn jetzt sagte eine hämische Stimme von der anderen Seite herüber:
Sprechen Sie für sich selber, aber nicht für uns, wir haben keinen Grund, Erinnerungen an das große Jahr zu meiden.
Ich weiß heute nicht mehr, wie der gänzlich sinnlose Streit, den ich nichtsahnend mit entfacht hatte, im einzelnen weiterging; sein jäher Ausbruch bezeugte einen schon lange aufgehäuften Zündstoff. Die Angriffe gegen Gustav vermehrten sich, die Fernersitzenden schienen ihn für den Schuldigen zu halten. Er schleuderte Jupitersblitze nach rechts und links, aber ich hörte nicht mehr, was er sagte, denn einer der Anwesenden, dem meine Reden vorzugsweise gegolten hatten, verwickelte mich in ein Einzelgefecht, dem ich nicht ausweichen konnte. Ich merkte nur, wie Gustav sich trotz seiner Selbstbeherrschung allmählich doch erhitzte, das Durcheinander der Stimmen wurde größer. Ein anwesender Schweizer, der zuvor auf Deutschland mitgestichelt und dadurch hauptsächlich meine Verwahrung veranlasst hatte, nahm plötzlich sein Glas und wanderte damit an einen Nebentisch aus, indem er halblaut erklärte, dass es kein Vergnügen sei, unter Renegaten zu sitzen. Die Beleidigung ging im allgemeinen Lärm unter, Wohlgesinnte schlugen sich ins Mittel und drängten zum Aufbruch, wodurch sie die Erzürntesten auseinanderschoben und alle zum Ausgang geschwemmt wurden. Nur der wein- und wehselige Dichterling blieb mit aufgestützten Ellbogen am Tisch zurück und weinte.
Nach diesem Auftritt war nicht ans Schlafengehen zu denken. Wir gingen die halbe Nacht am Seeufer auf und nieder, bald sturmgeschwind, bald mit stockenden Schritten, je nachdem seine Gedanken den unglücklichen Mann vorwärtspeitschten oder festhielten. Er sprach von »Genugtuung fordern«, aber eigentlich lag dazu kein zureichender Grund vor, denn nichts zwang ihn, die Anzüglichkeiten, die gefallen waren, als solche anzusehen, das Wortgefecht war wie ein Gewitter, das sich nur halb entladen hat. Man konnte nicht einmal wissen, wie viel diesen Menschen von Gustavs Schicksalen bekannt war; was ich am meisten zu hören gezittert hatte, der Name St. Hubert war nicht gefallen: Entweder sie wussten nichts von diesem Äußersten, oder Scham hielt auch die Berauschten zurück, die grässliche Wunde roh zu betasten. Dass er selbst sie kannte, erfuhr ich nun.
Ihr hattet damals recht, du und Kuno, brach es auf einmal ohne Übergang aus ihm heraus. – Es wäre besser, ich faulte in der stillen Grube bei Gravelotte, und mein Arminius ginge, wenn auch nur als Torso, über die Bretter; als Werk eines Gefallenen hätte er vielleicht seinen Weg besser gemacht.
Ich weiß nicht, ob wir recht hatten, sagte ich. Auch Kuno hat unterdessen umgelernt. Du unterstehst einem anderen Richter als unsereiner. Wie du nicht frei bist in deinen Entschlüssen, sondern so musst wie dein Herr und Despot gebietet, so bist du letzten Endes auch nur ihm Rechenschaft schuldig. Dein Werk ist dein Freispruch.
So dachte ich auch, aber auf eines war ich nicht gefasst, und die Toten behalten immer das letzte Wort.
Es gibt kein letztes Wort, Gustav, sagte ich. Solche Dinge wechseln ihr Gesicht mit jedem neuen Standpunkt, aus dem man sie betrachtet. Das Leben ist ein endloses Umgestalten, wo jedes neugesprochene Wort das vorangegangene aufheben kann. Jener Tote war groß, er stand auf seinem Boden wie ein Vorzeitriese. Steh’ du so fest und groß auf dem deinigen, so kann er dir nichts anhaben!
Du vergissest nur, und ich hatte es selbst vergessen, dass ich vom gleichen Blute bin und dass die Gefühlswerte unserer Vorfahren immer von Zeit zu Zeit in uns erwachen. Was ist es andres als das Ahnenblut, was jetzt in mir tobt und nach einem Kugelwechsel mit jenen Tröpfen lechzt, weil es sonst keine Ruhe finden kann. Und doch hast du recht: Ich wüsste eine Herausforderung nicht einmal zu formulieren.
Sie gäbe das allerschädlichste Ärgernis und brächte eine ganze Lawine ins Rollen. Du musst jetzt zeigen, dass du von deiner Höhe auf die Meinung der Welt herabsehen kannst, wie du es auf deiner grünen Alp überm Bodensee tatest.
Gustav starrte in das Wasser, das spiegelnd im hellen Mondlicht lag.
Mein alter Widerdämon ist von neuem am Werk, sagte er düster. Immer lauert er dann, wenn ich des inneren Lebens am vollsten bin, um es mir zu rauben. Ich kam so erfrischt aus СКАЧАТЬ