Название: Hans Fallada – Gesammelte Werke
Автор: Hans Fallada
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962813598
isbn:
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Keiner, der soeben einen schönen rindsledernen Handkoffer mit seinen besten Sachen und allem Silber, keiner, der soeben von fünftausend Mark viertausend verloren hat, kann sich auch nur eine leise Vorstellung davon machen, ein wie glücklicher Mann in einem Abteil zweiter Klasse eine Viertelstunde später von seiner Heimatstadt fortfuhr. Weiß es der Himmel, wie das in mir funktionierte, aber ich bildete mir wahrhaftig ein, ich sei den elenden Polakowski ausnehmend billig losgeworden und könne dem Himmel gar nicht genug danken, dass ich wenigstens noch tausend Mark aus diesem Zusammenbruch gerettet hatte.
Freilich darf ich nicht verschweigen, dass zu diesem Glücksgefühl ganz wesentlich der Umstand beitrug, dass ich in meiner Hosentasche trotz des Ringkampfes die Kornflasche heil und unausgelaufen vorgefunden hatte. Ich hatte bereits einen kräftigen Schluck aus ihr genommen, und dieser Schluck trug wohl wesentlich zu meiner optimistischen Beurteilung der Sachlage bei. Ich sah behaglich in das vorübergleitende grüne Land mit weidenden Kühen und ruhenden Wäldern und machte mir über meine Zukunft auch nicht die geringsten Sorgen mehr. Vorderhand hatte ich genug zu leben (und zu trinken), und was dann kam, würde sich auch finden. Irgendwie würde ich schon durchkommen; ich bildete mir nämlich ein, dass ich die Abenteuer des heutigen Tages mit vollem Erfolg bestanden hätte, wobei ich die Besuche im Wartesaal und auf der Bank als Siege zu meinen Gunsten buchte, während ich die Niederlage bei Polakowski als unvermeidbares Naturereignis mit gelassenem Achselzucken hinnahm.
Gegen Mittag war ich an meinem Bestimmungsort (den ich nur gewählt hatte, um etwaige Nachforscher irrezuführen) angelangt. Es war ein kleiner, noch wenig bekannter, aber sehr gepflegter Luftkurort. Ich aß in einem Hotel am Wasser grünen Aal mit einer Dillsauce und Gurkensalat, wobei ich mir die Sonne, ohne zu rücken, aufs Haupt scheinen ließ, trank einen schönen, voll ausgereiften Burgunder und stellte Betrachtungen darüber an, ein wie behagliches Leben ich doch jetzt als ein von den Geschäften zurückgezogener Privatmann und halber Junggeselle führen könnte.
Nach dem Essen bummelte ich durch das Städtchen, kaufte eine Aktentasche, zwei bunte seidene Pyjamas, wie ich sie nie so papageienhaft besessen, raffiniertestes Toilettenzeug, eine wohlriechende Seife und ein französisches herbes Parfüm, mit dem ich mich versuchsweise gleich begießen ließ – und scherzte dabei in einer so weltmännisch überlegenen, liebenswürdigen Art mit den jungen Verkäuferinnen, dass ich jedenfalls einen lebhaften Respekt vor meinen bislang ungenützten Talenten als Herzensbrecher und Schwerenöter bekam. Als logische Folgerung kaufte ich mir sofort danach in einer Drogerie wieder einmal wohlriechende Mundpillen.
Dann suchte ich das angesehenste Hotel am Platze auf, das auch mit einer Weinhandlung verbunden war, um dort einigen Schnaps zu kaufen. Ich hatte das Glück, den Besitzer selbst anzutreffen, einen wohlbeleibten, weißhaarigen Mann, dessen blühend rotes Gesicht von mancher in stiller Behaglichkeit geleerten Burgunderflasche Zeugnis ablegte. Er lächelte ein wenig über meinen primitiven Kornwunsch, empfahl und verkaufte mir einen bernsteingelben sächsischen Korn und lenkte dann meine Aufmerksamkeit auf ein sehr hochprozentiges Schwarzwälder Zwetschgenwasser, einen richtigen Holzfällerschnaps bei eisiger Winterkälte, wie er ihn nannte.
Er schenkte mir ein Probegläschen ein, und ich muss gestehen, dieser Probeschluck begeisterte mich so, dass ich dem ersten Glas in rascher Folge eine ganze Reihe weiterer folgen ließ. Dies war gerade das Richtige für mich, eine Steigerung weit über meine bisherigen primitiven Erfahrungen hinaus: Brennend und scharf und doch etwas von der Süße reifen Obstes in sich bergend. Ich kaufte gleich fünf Flaschen, ein handliches Paket wurde aus meinem Einkauf gemacht, und so wanderte ich, nachdem ich in einem Laden noch einen besonders kräftigen Korkenzieher erstanden hatte, wohlausgerüstet und in munterster Stimmung wieder dem Bahnhof zu.
Wieder reiste ich und fuhr dieselbe Strecke, die ich heute früh gekommen war; ich fuhr wieder meiner Vaterstadt zu. Eine Station vorher aber stieg ich aus und marschierte, schon fiel die Nacht ein, kaum eine halbe Stunde weit zu jenem Landgasthof, in dem Elinor, die Königin des Alkohols, wohnte. Vergessen war die missglückte Nacht in ihrer Kammer, vergessen das beschämende Gelage, in dem mich vor den Augen der Ärzte alle meine Zechkumpane verlassen hatten, vergessen waren die so boshaft ins Auto hineingereichten Schuhe! Der Alkohol hat kein Gedächtnis, macht er zornig, so kann ein Wort, ein Gläschen schon diesen Zorn wieder auslöschen – ich wusste nur, dass nach meinen Erfahrungen mit Magda und Polakowski jetzt Elinor meine Zuflucht war. Bei ihr wollte ich bleiben, oder mit ihr wollte ich reisen – das war alles, was ich noch an Lebensglimmen hatte, und es schien mir völlig genug.
22
Ich war zu spät gekommen. Vor den Fenstern der Gaststube lagen schon die Läden, und kein Lichtschein drang hindurch. Ich legte die Hand auf die Klinke, aber die Tür war verschlossen. Einen Augenblick stand ich überlegend. Dann ging ich leise um das Haus herum in den Obstgarten und sah zu Elinors Fenster empor. Auch dort alles dunkel, aber das machte nichts. Ich hatte alle Zeit, die Gott werden ließ, und wir würden uns schließlich auch im Dunkeln gut verständigen. Besser! Besser!
Erst einmal setzte ich mich ins Gras und fing an, mein Paket zu öffnen. So ein geschickt verpacktes Paket ist etwas sehr Gutes, aber es hat den Nachteil, dass man an seinen Inhalt nicht heran kann. Zu lange hatte ich schon gedurstet, große Leistungen vollbracht – und jetzt der gute Holzfällerschnaps! Nachdem ich mich ausgiebig, sehr ausgiebig gestärkt hatte, fing ich an, meine Habseligkeiten auf dem Schuppendach, das ich gerade mit den Händen erreichen konnte, aufzubauen. Zuerst die Aktentasche, dann eine Flasche nach der anderen: eine Flasche sächsischen Korn, dann vier unangebrochene und eine angebrochene Flasche Schwarzwälder Zwetschgenwasser. Alles schön ordentlich nebeneinander auf dem Dachrand. Nun war ich fertig zum Aufstieg.
Ich hängte mich an die vorstehende Dachkante und versuchte, mich hochzuziehen. Aber ich hatte meine turnerischen Fähigkeiten über- und die Wirkung des Schnapses unterschätzt: Eine Weile hampelte СКАЧАТЬ