Название: Hans Fallada – Gesammelte Werke
Автор: Hans Fallada
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962813598
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Das schüttelt mich wie ein Krampf, und dann kommen die Tränen, Tränen über all das, was ich so mutwillig verlor. Endlose, bittere, bange, schließlich doch lösende Tränen.
Und als ich mich ausgeweint habe, ist immer noch die Sonne vor meinen Fenstern, wehen die frischen duftigen Vorhänge im leichten Winde. Immer noch ist das Leben da, jung und lächelnd, du kannst es in jeder Stunde noch einmal beginnen, es kommt nur auf dich an.
Neben meinem Bett steht ein Tischchen mit einem Frühstückstablett, der Kaffee ist sorgsam mit einer Haube verdeckt, und nun beginne ich, zu frühstücken. Die ersten Bissen der Semmel kaue ich noch zäh und träge im Munde, aber der Kaffee ist extra stark zubereitet; allmählich kommt der Appetit wieder, und ich genieße mit dankbarer Freude all das, was mir Magdas Sorgsamkeit an Extrabissen auf das Tablett gestellt hat: scharfe Anchovis, eine schöne fette Leberwurst und wunderbaren Chesterkäse.
Selten habe ich mit solchem Genuss gegessen, ich fühle mich wie ein Genesender. Dankbar begrüße ich die säuberlichen Dinge der bekannten Umwelt, grüße sie wie alte vertraute Freunde, die man lange entbehrt hatte.
Nun finde ich auch auf dem Nachttisch einen Zettel von Magda. Sie teilt mir mit, dass sie nur auf wenige Stunden ins Geschäft gegangen sei, sie bittet mich, bis zu ihrer Rückkunft im Bett oder doch im Hause zu bleiben; das Bad sei für mich geheizt.
Eine halbe Stunde später verlasse ich das Haus. Zwar macht mir das Gehen mit meinen wunden Füßen arge Schmerzen, aber ich bin nicht gesonnen, weiter tatenlos zu verharren. Ich habe mich gesäubert von oben bis unten, ich zog frische Wäsche an, meinen besten Anzug – und nun will ich meinen alten Platz in der Welt wieder einnehmen. Wenn ich auch nicht so tatkräftig wie Magda bin, möchte ich doch wieder die Bremse am eilig vorgetriebenen Wagen sein: die Fahrt regelnd und sichernd!
Ich zögere nicht, ich schiele nicht von Torwegen her nach Schatten; ich trete ohne Weiteres ein. Ich grüße die Angestellten in meinen beiden vorderen Büros freundlich und trete in mein Chefbüro ein. Magda springt von meinem Schreibtischsessel auf; früher hat sie dort nie gesessen, auch wenn ich nicht anwesend war; sie hatte einen Platz an einem Nebentisch. Ein wenig schmerzt es mich, dass sie mich so ganz schon von der Liste der Mittätigen ausgestrichen hat; sie wird auch sehr rot.
»Erwin, du?«, ruft sie. »Ich dachte …« Und sie schaut erst mich, dann Herrn Hinzpeter an.
»Guten Morgen, guten Morgen, Herr Hinzpeter«, sage ich freundlich und lasse mir nichts anmerken. »Ja, du dachtest … Aber ich fand, dass es mir heute früh doch schon recht erträglich ging, bis auf die Füße … die Füße natürlich … Aber lassen wir das. Nun erzähle mir, was ihr festgestellt und was ihr vielleicht sogar schon beschlossen habt. Werden wir den Verlust der Gefängnislieferungen verschmerzen können?«
Ich hatte mich in den Sessel an meinen Schreibtisch gesetzt. Ich sah sie freundlich an, ganz der Chef, der bereit war, die Vorschläge seiner Angestellten wohlwollend anzuhören, ehe er seine Entscheidung traf. Ich hatte – kaum eine Stunde war es her – in einem Krampf geschrien, dass ich vergessen wollte, dass ich vergessen musste … Und nun saß ich hier, ich, ich konnte nicht vergessen, schon Magdas Blässe, schon meine in den engen Schuhen schmerzenden Füße erinnerten mich stets, aber sie machte ich vergessen. Keine fünf Minuten, und es musste Magda wie ein böser Traum vorkommen, dass sie mich vor noch nicht zwölf Stunden am Küchentisch hatte sitzen sehen, drei Flaschen vor mir, die verschmutzten Füße in einer Schüssel, der Fliesenboden überschwemmt – nichts wie ein böser Traum! Vergessen! Vergessen!! (Auch dies, es war mir klar, war Schamlosigkeit; wortlos ging ich über das Geschehene fort, wischte es aus, duldete keine Anspielung, keinen nachdenklich forschenden Blick … Schamlos auch das!)
Im Übrigen zeigte es sich, dass ich nicht umsonst auf Magdas Tatkraft gerechnet hatte. Schon am frühen Morgen hatte sie bereits einen Besuch bei ihrem Freund, dem Oberinspektor, gemacht, um festzustellen, ob nicht vielleicht doch noch etwas zu retten war. Und siehe, dieser brave Mann hatte ihr wirklich einen Tipp gegeben, einen sehr wertvollen Tipp.
Ein Teil der Gefangenen wurde im Anfang der Strafzeit in Einzelzellen mit Wergzupfen beschäftigt. Altes, verbrauchtes oder zerrissenes Tauwerk wurde wieder in seine Grundbestandteile zerlegt, zerrupft. Aus dem gewonnenen Werg konnten wieder neue Seile gemacht werden. Der Bedarf an solchem Tauwerk war immer recht groß, und gerade im Augenblick waren die Vorräte der Gefängnisverwaltung darin ziemlich am Ende. Der Oberinspektor hatte Magda vorgeschlagen, nach Hamburg zu fahren und dort altes Seilwerk aufzukaufen, zwei oder auch drei Waggons. Seinen Angaben nach war dabei ein recht gutes Geschäft zu machen, wenn man nur die rechten Quellen kannte, und er hatte es sogar nicht an Hinweisen auf diese guten Quellen fehlen lassen.
Wie gesagt, ich hörte mir das alles wohlwollend an. Es war natürlich nur ein kleines Gelegenheitsgeschäft, das auch bei günstigstem Einkauf nicht annähernd eine dreijährige Lebensmittellieferung für annähernd fünfzehnhundert Menschen ersetzen konnte, aber es war mitzunehmen, wenn es eigentlich auch nicht in den Rahmen meines Geschäftes passte.
»Und wer, dachtest du, soll fahren, Magda?«, fragte ich. »Du selbst etwa …?«
»Nein, so gern ich möchte«, antwortete sie zögernd. »Ich glaube, ich kann im Augenblick schlecht fort. Gerade jetzt …« Sie brach ab und sah mich etwas hilflos und doch mit Bedeutung an.
Dies war einer jener Blicke, die ich unter keinen Umständen dulden wollte.
»Du hast ganz recht, Magda«, antwortete ich darum, »du bist hier im Augenblick wirklich schlecht abkömmlich. Und dann ist da dein Haushalt. Else ist doch noch sehr jung …« (Gute, tröstende Else …!) »Es ist schon das Beste, ich fahre selbst. Ich fühle mich wieder ganz frisch, und mit meinen Füßen, das werde ich mir schon so einrichten … Ich kann ja Taxen nehmen …«
Hastig unterbrach mich Magda: »Du kannst keinesfalls fahren, Erwin. Du weißt, du bist noch nicht ganz in Ordnung.« Sie sah mich fest an, nicht böse, sondern eher traurig-liebevoll, aber unausweichlich СКАЧАТЬ