Alle guten Geister…. Anna Schieber
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Название: Alle guten Geister…

Автор: Anna Schieber

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 4064066112202

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СКАЧАТЬ fragte Georg einmal, der liebe Gott auch in die Taschen sehe? Es war ihm nicht recht behaglich dabei, das konnte man ihm ansehen. „Natürlich,“ sagte Meister Nössel, „in die Taschen, und durch und durch.“ Da drückte sich der Bub so an der Wand hin und suchte mit guter Manier zur Tür hinaus zu kommen, und polterte die Treppen hinunter, daß er sich fast überschlagen hätte. Unten aber auf dem Kirchplatz gab er Kindern und Hunden ein Fest mit zerdrückten, verkrümmelten Eierwecken, die er sich aus der Backstube gemaust hatte und die ihm plötzlich die Taschen verbrennen wollten. Es war ihm noch nicht so ganz wohl dabei, er hätte sie am liebsten wieder nach Haus getragen. Aber wer konnte sie so noch gebrauchen? Auch war niemand da, bei dem man eine Lossprechung von dem unbehaglichen Gefühl erhoffen konnte, das sich da auf einmal eingestellt hatte. Da mußte es denn auch so gehen. Er kehrte die Taschen um, daß der liebe Gott so recht deutlich sehen konnte, es sei nichts unrechtes mehr darin, und dann ließ er sie fröhlich heraushängen und erstieg neuerdings die Höhe mit verhältnismäßig gereinigtem Gewissen.

      Meister Nössel schien nichts gemerkt zu haben. Er saß auf seinem Tisch und flickte einen Arbeitskittel, und als das geschehen war, putzte er noch die Flecken heraus, mit Wasser und grüner Seife, und bügelte die Runzeln glatt, und es war nichts zu verbergen, in der ganzen Stube nicht. Und das war eine so fröhliche Sache, daß man den lieben Gott wohl einladen konnte, zuzusehen. Meister Nössel aber blinzelte zu Frau Judith hinüber, und sie zu ihm. Und er nahm die Brille ab, deren er nur in der Nähe bedurfte, und sah mit hellen Augen über sein Königreich hin. Das reichte, so weit man sehen konnte, und noch weiter, und die Beiden nahmen es niemanden weg und niemand hatte einen Schaden davon. Denn es war ihnen alles zu eigen, weil sie sich an allem zu erfreuen vermochten. Und sie „fülleten die Erde und machten sie sich untertan“ mit ihren stillen und fröhlichen Gedanken; und alle guten Geister halfen ihnen dazu.

       Inhaltsverzeichnis

      Es saßen drei alte Männer beisammen auf dem Kanapee. Es war ein breites, geräumiges, altes Kanapee, ohne Sprungfedern und schwellende Polster, hart und zusammengesessen, und es hatte einen rot und blau gewürfelten Überzug. Die drei Männer hatten bequem Platz darauf; es tat ihnen auch in ihrem Behagen keinen Eintrag, daß sie mit den Ellenbogen zusammenstießen, wann einer sich rührte, um seine Pfeife frisch zu füllen. Sie waren alle drei Wiblinger Stadtkinder, der Rektor Cabisius, der Korbmacher Hollermann und der Meister Nössel. Einst waren sie miteinander auf einer Schulbank gesessen und hatten miteinander in den Freistunden ihre überschüssige Kraft vertobt. Dann waren sie ihrer Wege gegangen, ein jeder den seinigen, und hatten nichts mehr von einander gewußt. Und nun waren sie alte Männer und saßen eng beisammen, und waren hier zusammengekommen, um eine Reise in ihr Jugendland zu machen.

      Auf dem Tisch stand Frau Judiths braune Kaffeekanne, und Frau Judith hantierte am Ofen mit den Töpfen und bereitete den Trank. Sie konnte gut mitreden, denn sie war einst als wildes Mädchen mit den drei Jungen über die Hecken gestiegen, und sie war, wie sie selbst sagte, „jetzt noch jünger, als sie alle drei zusammen.“

      Die Frau Rektorin saß im Lehnstuhl und klapperte mit ihren Stricknadeln, als ob es ums Geld geschähe. Sie hatte einen kleinen Ärger zu verstricken. Denn erstens war sie kein Wiblinger Stadtkind und konnte darum die Reise nicht so recht mitmachen. Und zweitens verspürte sie einen unangenehmen Kitzel in der Nase, weil sich ihr Gemahl mitten zwischen die zwei alten Schulkameraden gesetzt hatte, und weil er nun soeben sagte: „Aber natürlich dutzen wir uns. Das wäre noch schöner. Wie, ich soll wohl Herr Hollermann sagen?“ Denn der alte Korbmacher war die ganze Zeit bisher in der Fremde gewesen und war nun vor kurzem in seine Heimat zurückgekehrt, ohne Frau und Kinder und ohne viel Habe, und wohnte in einem Häuschen ganz draußen an der alten Synagoge, die auf freiem Felde stand, und schien der Frau Rektorin ganz und gar kein Mann zu sein, mit dem sich ihr Gatte zu dutzen brauche.

      Er war ihm einerlei, das wußte sie wohl, was die andern „Herren“ des Städtchens zu dem Verkehr sagen würden, er war darum doch überall beliebt. Aber das schloß nicht aus, daß es ihr nicht einerlei war. Sie hatte sonst gute Augen, die wohl geeignet waren, durch abgetragene Kleider und kümmerliche Gesichter und Gestalten hindurch zu sehen und sich die Seele eines Menschen anzuschauen und zu fragen: „Was bist du für ein Mensch? Ich meine, du selbst, dein eigentlichstes Ich. Bist du ein froher Mensch, ein wackerer, ehrlicher, tapferer? Oder schleppst du dich mit dem Leben? Und warum?“

      Aber heute abend waren sie nicht so hell wie sonst. Sie war eine Dekanstochter, ihr Großvater war Oberamtsrichter gewesen. Das stieg ihr noch hie und da nackensteifend auf. Und nun saß ihr Mann hier auf dem alten Kanapee und tat, als ob er sein Leben lang als Handwerksbursche durch die Welt gezogen wäre. Er war ja doch auf Schulen gewesen. Er war ja doch akademisch gebildet und war Rektor der Lateinschule. Und nun sagte er eben: „Ach, Hollermann, weißt du noch, wie wir zu deinem Großvater auf die Weide gingen? Weißt du noch, wie sein schwarzer Schäferhund nach der Flöte tanzte, immer rundum, hinter seinem eigenen Schwanz drein?“

      Sie war noch nicht recht reif für die Jugenderinnerungen. Sie hatte heiße Backen. Warum war sie auch mitgegangen? Was hatte sie keuchen müssen die engen Wendeltreppen herauf. Aber ihr Gatte hatte es gewollt. „Du wirst deine helle Freude haben, Anne,“ hatte er gesagt. „Es wird sein wie eine laterna magica, immer ein Bild nach dem andern. Wie ein leibhaftiges Stück Jugend wird es sein.“ Er war ein großes Kind. Er sah es gar nicht ein, daß er denn doch etwas anderes geworden sei, als der Flickschneider und der Korbmacher. Warum hatten sie sich nicht auch geregt? Warum waren sie nicht auch so klug? „Was,“ dachte die Frau Rektorin, „nun soll ich wohl einen Kranz mit ihnen halten, immer reihum, bei uns, und auf dem Turm, und in der Villa Hollermann, dem windschiefen Lehmhäuschen? Das könnte eines Tags mit uns umfallen und dann hieße es in der Stadt, daß wir ganz ordnungsgemäß mit unseren besten Freunden zusammen unter den Trümmern liegen.“

      Die Phantasie der Frau Rektorin war im besten Zug, ins Kraut zu schießen und ganz üppige Blüten zu treiben. Die Stricknadeln klapperten dazu. „Man kann die Menschenfreundlichkeit auch zu weit treiben,“ eine Nadel; „wenn das mein Großvater wüßte,“ die zweite; „aber so ist mein Mann, immer ist er so,“ die dritte. Da fühlte die Frau Rektorin eine leichte Berührung am Arm. Sie kannte sie. Das war ihr Mann, der sie über den Tisch herüber mit der Mundspitze seines Pfeifenrohrs antippte, ganz leicht und leise. Und als sie aufsah, mit einem hellen, raschen Blick, da lagen seine Augen auf ihr; sein ganzes Gesicht fragte in das ihrige hinein und gab zugleich die Antwort, lächelnd und warm, und ein bißchen belustigt. „Ja, was ist denn, Anne? Was denkst du dir denn für krause Sachen zusammen, Weib? Bist doch sonst so klug. Ein bißchen Kastengeist, was? So, jetzt komm, jetzt laß das; jetzt paß einmal auf, was das für Leute sind, du hast ja selber deine Freude dran. Alle guten Geister, Anne. So, so.“ Er nickte ihr noch ein paarmal zu, kaum merklich, die andern sahen von dem allem nichts. Aber es war, als ob man einem Kind beschwichtigend auf den Rücken klopft, ganz sachte und gelind. Da glätteten sich die Wogen. Da fiel es ihr wieder ein, wie er sie gelehrt hatte, durch sich selbst, durch sein eigenes, ehrliches, aufgeschlossenes Wesen, all’ die Jahre daher, seit sie seine Frau war, an das unsichtbare Königreich der schlichten, frohen, kindlichen Menschen zu glauben und sie sich unter allen Hüllen herauszusuchen, und sie als Landsleute der besten Art zu begrüßen. Und sie war froh, daß nur er ihre Gedanken gelesen hatte, und nickte ihm auch zu und schüttelte sich ein wenig, als wolle sie etwas los werden. Und dann legte sie den Strickstrumpf in den Schoß und die Hände behaglich übereinander und hörte zu, wie die Bilder der Vergangenheit lebendig wurden und ins Reden kamen.

      Sie tat einen suchenden Blick nach dem alten Korbmacher hin. Der hatte ein braunes, hageres Gesicht und hängte die Schultern etwas nach vorn, und über den Augen liefen die dichten, struppigen Brauen zusammen. Die Augen selbst und der Mund aber waren weich, fast kindlich, als wären sie nicht auf einer beschwerlichen, weiten Lebensreise gewesen. „Der muß wohl fromm sein,“ dachte die Frau Rektorin, „so auf eine stille, in sich gekehrte СКАЧАТЬ