Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke. Eduard von Keyserling
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Название: Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke

Автор: Eduard von Keyserling

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier

isbn: 9783962814601

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      Das sin­nen­de Mäd­chen stand vor dem großen Frie­den der Na­tur, mit dem un­ru­hi­gen, ei­gen­sin­ni­gen Ego­is­mus jun­ger Her­zen; es grü­bel­te und sann, wie es die­se Schön­heit und Har­mo­nie sich dienst­bar ma­chen könn­te; wie es sich da­mit schmücken soll­te, wel­che Rol­le ihm in die­sem Schau­spie­le ge­bühr­te? Nach­denk­lich blick­ten die blau­en Au­gen zu den Ster­nen auf, wie sie sonst wohl in den Spie­gel schau­ten, um die ge­eig­nets­te Stel­le für ein Band in den blon­den Flech­ten zu fin­den.

      Herr Herz kam in hei­te­rer, an­ge­reg­ter Stim­mung heim. Er küss­te sei­ne Toch­ter auf die Stirn und frag­te, ob die schwar­ze Lau­ne schon ge­schwun­den sei. Dann lief er un­ru­hig im Zim­mer auf und ab und pack­te sei­ne Neu­ig­kei­ten aus. Bei Lan­ins war vor ei­ner hal­b­en Stun­de der Neue an­ge­langt. Herr Herz war zu­ge­gen ge­we­sen, als die Post­chai­se bei Lan­ins vor­ge­fah­ren war, denn er stand mit dem Dok­tor ge­ra­de auf dem Markt­plat­ze. »Klappe­kahl kam so­gleich her­bei­ge­lau­fen, und wir be­trach­te­ten den jun­gen Mann. Viel war nicht zu se­hen. Er sprang schnell aus dem Wa­gen und ging in das Haus. Ein Schnurr­bärt­chen scheint er zu tra­gen, ge­nau lässt sich das nicht be­stim­men; der Dok­tor mein­te, es sei nur Staub von der Rei­se.«

      »War Sal­ly da?« frag­te Rosa.

      »Ich glau­be – ja«, er­wi­der­te Herr Herz. »Es schi­en mir, als stän­de sie im La­den, er aber, na­tür­lich, ging durch die Hau­stü­re ins Haus. Ei­nen grau­en Man­tel mit ei­ner Ka­pu­ze trug er; das soll jetzt Mode sein, sagt Klappe­kahl. Klappe­kahl fand auch in der Art, wie der jun­ge Mann sich aus dem Wa­gen schwang, viel Chic. Ich konn­te nichts Be­son­de­res se­hen. Drei Kof­fer hat er mit­ge­bracht, schön mit Le­der über­zo­gen. Wir gin­gen her­an und be­fühl­ten sie. Ich gehe spä­ter noch in den Klub, viel­leicht kommt La­nin und er­zählt von sei­nem Nef­fen.«

      Herr Herz sprach die gan­ze Mahl­zeit über von dem wich­ti­gen Er­eig­nis und er­ging sich in al­ler­hand Ver­mu­tun­gen.

      »Also du gehst heu­te in den Klub?« frag­te Rosa.

      »Ja, ich muss hin, ich hab’s Klappe­kahl ver­spro­chen.«

      »Ich gehe auch noch hin­aus«, mein­te Rosa. »Schön ist’s heu­te abend. Ich sit­ze noch mit Ra­sers im Frei­en.«

      »Gut, gut, mein Kind! Ag­nes braucht die Türe nicht zu ver­schlie­ßen.«

      Die­se klei­ne Lüge kos­te­te Rosa nicht das Ge­rings­te; im Ge­gen­teil, sie mach­te ihr Ver­gnü­gen. Sie war das not­wen­di­ge Zu­be­hör zu ei­nem Aben­teu­er – ein Stück­chen Int­ri­ge.

      Sechstes Kapitel

      Als Rosa in die küh­le Nacht­luft hin­austrat, fühl­te sie sich recht glück­lich. Sie blieb einen Au­gen­blick ste­hen, at­me­te tief den feuch­ten Duft ein, der rings vom Laub der Kas­ta­ni­en und aus des Pfar­rers Gar­ten auf­stieg – sah zum Him­mel auf, an dem jetzt Stern an Stern stand – und schau­er­te be­hag­lich in sich zu­sam­men. Um we­ni­ger kennt­lich zu sein, hat­te sie ein großes Tuch um Kopf und Brust ge­schlun­gen. So schritt sie die Gas­se hin­ab. Sie eil­te nicht zu sehr. Neu­gie­rig muss­te sie al­les, an dem sie vor­über­ging, be­trach­ten. Die alt­be­kann­ten Ge­gen­stän­de und Plät­ze hat­ten bei Nacht nicht das ge­wohn­te Aus­se­hen. Es schi­en Rosa, als wal­te­te über ih­nen et­was Un­ge­wöhn­li­ches und An­zie­hen­des. Das plötz­li­che Rau­schen, wel­ches in den schwar­zen Wip­feln er­wach­te, um wie­der eben­so plötz­lich ab­zu­bre­chen; die Dach­vor­sprün­ge, die sich, wie schwar­ze Na­sen, über die Stra­ße beug­ten; die Blu­men, die stär­ker duf­te­ten und voll großer Trop­fen hin­gen – alle hat­ten ein wun­der­lich ge­heim­nis­vol­les We­sen, als müss­ten auch sie ei­gent­lich in ei­ner bür­ger­li­chen Stu­be, un­ter der ge­blüm­ten Baum­woll­de­cke, wohl­ver­wahrt lie­gen, und ihre An­we­sen­heit sei et­was Un­ge­wöhn­li­ches, Uner­laub­tes und habe einen lus­ti­gen Grund, den nie­mand er­fah­ren durf­te. Un­ter den Bäu­men, am Ende der Stra­ße, war es jetzt ganz ein­sam. – Hin­ter den Bäu­men stand die Kir­che mit ih­rem ro­ten Zie­gel­dach und ih­rem spit­zen Turm. Ein Grab lag dicht da­ne­ben. Rosa wuss­te es; oft hat­te sie ver­sucht, die halb­ver­lösch­ten Buch­sta­ben auf dem Stein zu ent­zif­fern. Es war das ein­zi­ge Grab an dem Ort. In al­ter Zeit hat­ten sie dort eine Wohl­tä­te­rin des Städt­chens ge­bet­tet. Jetzt nä­her­te sich Rosa ihm und dach­te, ob sie sich wohl fürch­ten wür­de? Ein Grab bei Nacht ge­hört ja doch zu den schau­er­li­chen Din­gen. Als sie aber da­vor­stand, be­merk­te sie, dass ihr nicht ban­ge war. Der Stein schlief fried­lich an ge­wohn­ter Stel­le, und das Gras, das hoch um ihn auf­ge­schos­sen war, lag voll blan­ker Trop­fen.

      Der Ort der Zu­sam­men­kunft war dicht am Fluss. Ein schma­ler, we­nig be­tre­te­ner Pfad führ­te zu ihm hin­ab. Von der einen Sei­te ward er durch einen Gar­ten­zaun aus al­ten Bret­tern, von der an­dern durch das äu­ßerst steil ab­fal­len­de Ufer ei­nes Ba­ches be­grenzt. An ei­ner Schleu­se muss­te man vor­über. Jetzt, beim nied­ri­gen Was­ser­stan­de, ließ sich nur ein lei­ses Rau­schen ver­neh­men, und die schwar­zen Pfei­ler wa­ren mit Schlamm wie mit ei­ner blan­ken grü­nen Haut be­deckt. An man­chen Stel­len des Pfa­des wu­cher­te ho­hes Nes­sel­ge­strüpp. Wenn Rosa hin­durch­schritt, ward sie mit Tau über­schüt­tet, und di­cke Kä­fer, in ih­rem Schlum­mer ge­stört, flo­gen brum­mend auf. Un­ten am Was­ser lag tiefer Sand, nur spär­lich mit Hei­de­kraut be­wach­sen. Gro­ße Stein­blö­cke stan­den dort, und auf ei­nem der­sel­ben hat­te sich Her­weg nie­der­ge­las­sen. In einen wei­ten Man­tel gehüllt, einen Filz­hut mit brei­ter Krem­pe auf dem Kop­fe, saß er da wie ein großer schwar­zer Pilz, der über Nacht auf­ge­schos­sen. Als Rosa zu ihm hin­ab­stieg, poch­te ihr Herz stär­ker, und als sie vor ihm stand, wuss­te sie nicht so­gleich et­was Pas­sen­des zu sa­gen. Her­weg schwieg auch und blick­te sei­ne Ge­lieb­te stau­nend an. So schön hat­te er sie nie zu­vor ge­se­hen, und das mach­te ihn be­trof­fen. Rosa lach­te ge­zwun­gen, und den­noch schie­nen ihre Lip­pen erns­ter als sonst. In den so lus­ti­gen Zü­gen lag heu­te ein frem­der Aus­druck von Er­regt­heit und Scheu, der sie ver­schön­te. »Ah! Koll­hardt, Sie sind da!« sag­te Rosa end­lich lei­se und trip­pel­te um­her, als frö­re sie.

      »Ja, Rosa.« – »Lan­ge schon?« – »Nicht all­zu­lan­ge. Aber Sie, Rosa, ha­ben Sie sich nicht ge­fürch­tet, so al­lein bei Nacht?«

      »O doch!«

      Bei­de spra­chen halb­laut und has­tig.

      Her­weg er­hob sich. Ihm war sehr ge­fühl­voll ums Herz, bis auf die klei­ne Be­fan­gen­heit, die er sich nicht ein­ge­ste­hen woll­te. »Rosa«, sag­te er ein we­nig hei­ser und fass­te die dunkle klei­ne Ge­stalt fest an die Schul­tern. »Oh!« rief Rosa und hüll­te sich fes­ter in ihr Tuch. So stan­den sie an­ein­an­der­ge­lehnt: »Koll­hardt«, ver­setz­te Rosa, auf den Fluss hin­aus­deu­tend, »das dort, es ist doch Ne­bel?«

      Un­zwei­fel­haft war es Ne­bel. Ein durch­sich­ti­ges wei­ßes Band, lag er auf dem Was­ser und stieg die Ufer hin­an. Jen­seits des Flus­ses brei­te­te sich das Land flach und dun­kel­gelb aus, hie und da von ein­zel­nen Bäu­men und Bü­schen СКАЧАТЬ