Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke. Eduard von Keyserling
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Название: Eduard von Keyserling – Gesammelte Werke

Автор: Eduard von Keyserling

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier

isbn: 9783962814601

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      Her­weg nä­her­te sich ihr be­hut­sam, wie ei­nem scheu­en Vo­gel, fass­te sie, beug­te sie zu sich her­an – sie ge­horch­te wil­lig, dann küss­te er eine der küh­len Wan­gen. Er woll­te auch die Hän­de aus dem Tuch her­vor­ho­len, sie sträub­ten sich je­doch, und er muss­te stär­ker an dem schwar­zen Stof­fe zer­ren. All das ge­sch­ah schwei­gend; nur das tiefe­re Atem­ho­len der bei­den Kin­der war ver­nehm­bar.

      Rosa mach­te sich von Her­weg los und saß wie­der ge­ra­de da. »Wis­sen Sie, Koll­hardt«, sag­te sie, »bei Lan­ins ist heu­te der Neue an­ge­kom­men.«

      »Nun, da wird sich Sal­ly freu­en.«

      »Glau­ben Sie, dass er sie hei­ra­ten wird?«

      »Nein.«

      »Ich glau­be das auch nicht.«

      Ein Wind­stoß fuhr über das Land, je­nes flüch­ti­ge We­hen, das die Run­de durch die Som­mer­nacht macht, ein kur­z­es Rau­schen er­weckt, uns streift, uns has­tig Düf­te fer­ner Gär­ten zu­wirft und wei­ter­zieht. Rings­um er­wach­ten die Feld­gril­len und be­gan­nen eif­rig zu wet­zen und zu spre­chen; ein fast be­täu­ben­des Schril­len zog den Fluss ent­lang und ant­wor­te­te vom Gar­ten hin­ter dem Zaun und vom an­de­ren Ufer. Aus ei­nem ent­le­ge­nen Fel­de drang der Ruf des Wach­tel­kö­nigs her­über, ein ste­tes Knar­ren, als zöge je­mand eine ros­ti­ge Uhr auf und wür­de nim­mer fer­tig.

      »Hörst du?« frag­te Rosa und wand­te ihr Ge­sicht der Rich­tung zu, aus der der Ton kam.

      »Ja«, er­wi­der­te Her­weg be­geis­tert und schlang sei­ne Arme fest um das Mäd­chen. Rosa ließ nur einen tie­fen Seuf­zer hö­ren und lehn­te ih­ren Kopf auf Her­wegs Arm; er aber küss­te ihr laut und stür­misch Wan­gen und Lip­pen, dann hob er ih­ren Kopf em­por, um das Ge­sicht deut­lich zu se­hen; re­gungs­los sah es zu ihm em­por, bleich und ernst, in je­nem Ernst, mit dem die Sinn­lich­keit ein Frau­en­ant­litz zu ver­schö­nen pflegt. Die Au­gen grell­blau und ge­dan­ken­los. »Rosa, was ist Ih­nen?« frag­te Her­weg er­schro­cken. Da rich­te­te sich Rosa has­tig auf.

      Der Ne­bel war vom Was­ser bis zu ih­nen her­an­ge­schli­chen. Wie wei­ße Ga­ze­fet­zen lag er auf dem Kraut und glit­zer­te. Fern in der Stadt schlug die Turm­uhr zehn. Ihre hei­se­re Stim­me rief miss­ge­laun­te Töne in die Nacht hin­aus, als wäre sie aus tie­fem Schlum­mer auf­ge­fah­ren, um ver­drieß­lich ihre Pf­licht zu tun.

      »Es ist zehn Uhr«, sag­te Her­weg.

      »Ja – ich gehe heim«, er­wi­der­te Rosa, und wäh­rend Her­weg sich in sei­nen Man­tel hüll­te, ging sie un­ru­hig hin und her und griff mit den Hän­den in die Ne­bel­flo­cken, die über dem Gra­se hin­gen,

      »Sind Sie fer­tig, Koll­hardt?« frag­te sie.

      »Ja, ich füh­re Sie nach Hau­se. Nicht?«

      »Nein, Koll­hardt, das darf nicht ge­sche­hen. Sie ge­hen hier hin­auf. Ich fin­de mich schon zu­recht. Le­ben Sie wohl.«

      Sie reich­ten sich ein we­nig steif und un­ge­lenk die Hän­de. Her­weg woll­te dann Rosa küs­sen, sie aber ent­wand sich ihm schnell und eil­te den Pfad hin­an.

      Siebentes Kapitel

      Herrn Lan­ins Neu­er war wirk­lich an­ge­langt. In ei­ner of­fe­nen Post-Chai­se hielt er um sie­ben Uhr abends vor dem Lan­in­schen Hau­se. Drei Kof­fer, ele­gant mit Le­der über­zo­gen, wa­ren vor ihm auf­ge­türmt. Er selbst trug einen grau­en Staub­man­tel. Ganz wie Herr Herz es sei­ner Toch­ter be­rich­tet hat­te.

      Herr La­nin be­fand sich ge­ra­de in sei­nem Stu­dier­zim­mer, dem ge­ach­tets­ten Ge­ma­che des Hau­ses. Die Fens­ter, die auf den Hof hin­aus­gin­gen, stan­den of­fen, und ein kräf­ti­ger Stall­ge­ruch ström­te her­ein. Das Ge­mach selbst hat­te ein stren­ges, erns­tes Aus­se­hen. Die Wän­de wa­ren mit blan­kem holz­far­be­nen Pa­pier be­klebt. Ein ein­zi­ger Lehn­ses­sel und ein ein­zi­ges Rohr­stühl­chen be­fan­den sich in dem Ge­mach, und bei­de stan­den vor dem Schreib­tisch. Auf dem Lehn­ses­sel saß Herr La­nin, auf dem Rohr­stühl­chen Con­rad Lurch. Herr La­nin war eben da­bei, Con­rad Lurch zu kon­trol­lie­ren. Er setz­te einen Knei­fer mit großen run­den Glä­sern auf die Nase und beug­te sich über ein schma­les Buch, lang­sam mit dem Fin­ger die Zah­len­rei­he hin­ab­fah­rend. Lurch mach­te ein sehr freund­li­ches Ge­sicht; er lach­te so­gar, aber die­se Freund­lich­keit war selt­sam starr, die­ses Lä­cheln un­na­tür­lich ste­tig und ge­knif­fen. Es schi­en, als sei die­ses Lä­cheln, einst viel­leicht lus­tig und ge­wöhn­lich, alt ge­wor­den; man hat­te ver­ges­sen, es fort­zu­wi­schen; nun stand es ein­ge­trock­net und ein­ge­ros­tet auf dem gel­ben Ge­sicht.

      »Schwei­zer Käse!« rief Herr La­nin und blick­te auf. »Ja – Schwei­zer Käse«, er­wi­der­te Lurch höf­lich. Der Prin­zi­pal aber lehn­te sich zu­rück und sah vor sich hin auf die Wand. An der Wand hing, in gol­de­nem Rah­men, Herrn Lan­ins Bild. Dort trug er wei­ße Ho­sen und einen schwar­zen Rock. in der einen Hand hielt er sei­nen Hut, die an­de­re leg­te er wohl­wol­lend auf ein Al­bum, das ne­ben ihm auf ei­nem Tisch­chen lag. Rechts hing das Bild der Frau La­nin, auf dem der Glanz des schwar­zen Sei­den­klei­des auf dem run­den Lei­be der Dame vor­treff­lich wie­der­ge­ge­ben war. Ne­ben ihr stand wie­der­um das Tisch­chen, und das Al­bum lag un­be­ach­tet dar­auf. Links hing das Bild von Fräu­lein Sal­ly im wei­ßen Klei­de, mit nack­ten Schul­tern, die Hän­de hielt sie im Schoß ge­fal­tet und schiel­te nach dem Al­bum, das ne­ben ihr auf dem Tisch­chen lag.

      »Schwei­zer Käse!« fuhr Herr La­nin auf »Jetzt hab ich’s. Vor vier Wo­chen kam der Vor­rat. Genau! Kön­nen Sie das wi­der­le­gen, Lurch?«

      »Nein, Herr Prin­zi­pal – nein.«

      »Gut! Wa­rum sa­gen Sie denn, der Vor­rat – der Vor­rat, der vor vier Wo­chen an­kam – sei­en Sie so gut und las­sen Sie die­sen Um­stand nicht aus den Au­gen – die­ser Vor­rat also – sei zu Ende. Wa­rum? Sa­gen Sie nur, warum?«

      Herr La­nin lä­chel­te und schau­te Lurch scharf an.

      »Ja, Herr Prin­zi­pal, er ist aber doch zu Ende«, ant­wor­te­te Lurch sen­ti­men­tal. Herr La­nin lach­te wie­der; er war sei­ner Sa­che zu ge­wiss. Er setz­te sich zu­recht, nahm den Knei­fer von der Nase, drück­te die Au­gen zu­sam­men, als gel­te es, scharf zu den­ken: »Sa­gen Sie das doch nicht! Ge­hen wir sys­te­ma­tisch vor. Wol­len Sie so gut sein und auf mei­ne Fra­gen ant­wor­ten, nur das, Lurch; so kom­men wir am schnells­ten ins rei­ne. Eine Par­tie ech­ten Schwei­zer Kä­ses – eine Par­tie in­län­di­schen Kä­ses nie­de­rer Qua­li­tät und eine ers­ter Qua­li­tät lang­ten vor vier Wo­chen an. Gut! Kann der ech­te Schwei­zer Käse jetzt schon alle sein? Da­rauf kommt es an!«

      »Herr Prin­zi­pal brau­chen nur die Pos­ten durch­zu­se­hen. Es stimmt«, ent­geg­ne­te Lurch mit hals­star­ri­ger Freund­lich­keit.

      »Pos­ten? Las­sen СКАЧАТЬ