Die Seele Chinas. Richard Wilhelm
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Die Seele Chinas - Richard Wilhelm страница 12

Название: Die Seele Chinas

Автор: Richard Wilhelm

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Kleine historische Reihe

isbn: 9783843800495

isbn:

СКАЧАТЬ im Prinzen P’u Lun einen Mittelpunkt hatten, der sich als eine Art von Citoyen Orléans aufspielte4.

      Wenn das aber auch in Betracht gezogen werden muss, so kann man doch wohl sagen, dass ihm auch die Kräfte fehlten, die zu einer so heroischen Aufgabe gehörten. Der mächtigste Mann in China war damals Yüan Schï K’ai. Zwischen ihm und dem Throne aber stand der Schatten des verstorbenen Kaisers. Es heißt, dass dieser ein Schriftstück hinterlassen habe, das, fast unleserlich geschrieben, mit folgenden Worten begonnen habe:

      »Ich war der zweite Sohn des Prinzen Tschun5, als die Kaiserin-Witwe mich für den Thron erwählte. Sie hat mich stets gehasst, aber an meinem Elend während der letzten zehn Jahre ist Yüan Schï K’ai schuld. Wenn die Zeit kommt, wünsche ich, dass er unnachsichtlich enthauptet wird.«

      Dieses Schriftstück wurde zwar später von der Gemahlin des Kaisers beiseite gebracht, jedoch nicht, ohne dass es vorher von unabhängigen Zeugen gesehen worden war.6 Dem Prinzregenten blieb also nur die Wahl, entweder diesen letzten Wunsch seines toten Bruders auszuführen und Yüan Schï K’ai unschädlich zu machen oder über den Toten hinwegzugehen und Yüan Schï K’ai sein volles Vertrauen offen anzubieten. Er tat das Einzige, was unmöglich war: Er reizte den Löwen aufs Äußerste, ohne ihn wehrlos zu machen. Durch ein Edikt übertrug er Yüan Schï K’ai die Beerdigung des verstorbenen Kaisers. Natürlich fand sich niemand, der ihn des Mangels an Sorgfalt dabei anklagte. Infolge davon jagte der Prinzregent Yüan Schï K’ai schimpflich aus Amt und Würden, wie man etwa einen Hausknecht wegschickt. Yüan Schï K’ai verbiss den Groll. Er zog sich in seine Heimat in Honan zurück, hielt sich still und ließ Fotografien anfertigen, wie er im Strohmantel in ländlicher Umgebung den Freuden des Angelns sich hingab, fern von der großen Welt und ihrem Treiben. Die Fotografien verschenkte er an seine Freunde. Im Stillen aber hielt er seine Fäden in der Hand. Bei Hofe hatte er einen guten Freund im Senior des Kaiserhauses, dem Prinzen K’ing, mit dem er lange Hand in Hand gearbeitet hatte, und auch sonst hatte er an allen entscheidenden Posten seine Leute sitzen. So wartete er, bis seine Zeit gekommen war. Und diese Zeit kam.

      Die Mandschu-Aristokratie benützte die neuen chaotischen Verhältnisse, um ihre Schäfchen ins Trockene zu bringen. Die Reformen drängten sich. Es wurde eine Menge Geld ausgegeben und doch nichts Wirkliches erreicht. Diese Zustände führten zu einer weitgehenden Missstimmung im ganzen Reich. Die Beamten, die einer klaren und einheitlichen Leitung von oben her entbehrten, kamen unter all den verschiedenen sich drängenden Reformedikten, für deren Durchführung sie an Ort und Stelle Gelder aufbringen sollten, in die größte Verlegenheit. Die Bande der Autorität lösten sich immer mehr. Es ist kein Wunder, dass unter diesen Umständen, da die Regierungsmaschine versagte, die Vertreter des Volkes die Neugestaltung der Verhältnisse selbst in die Hand nehmen wollten. Man wollte selbst die Mittel aufbringen, die zum Bau von Eisenbahnen und Bergwerken notwendig waren, um auf diese Weise von fremden Kapitalien unabhängig zu werden und den drückenden Verpflichtungen zu entgehen, die mit einer Finanzkontrolle des Auslandes verbunden waren.

      In Peking war ein Reichsausschuss zusammengerufen worden, der als vorbereitendes Parlament dienen sollte. Aber dieser Reichsausschuss, der unter dem Präsidium des Prinzen P’u Lun stand, hatte sich sehr bald recht oppositionell gebärdet: Beschleunigte Einführung der Verfassung, verantwortliches Ministerkabinett, Kontrolle der Staatsfinanzen durch die Volksvertretung und anderes waren Forderungen, die der Regierung manche schwere Stunde bereiteten und nur durch die Vertagung des Reichsausschusses zunächst zum Schweigen gebracht werden konnten.

      Wenn durch Vertagung des Reichsausschusses eine rückläufige Bewegung einzusetzen schien, so war dasselbe der Fall mit der Finanzierung der industriellen Unternehmungen durch innere nationale Anleihen. Man traute diesen Unternehmungen nicht und so kam das nötige Geld nicht zusammen. Die Regierung ihrerseits wollte so wichtige Dinge wie die großen zentralen Bahnlinien auch nicht gern in private Hände übergehen lassen. So suchte man nach einem energischen Mann, der den verfahrenen Wagen wieder ins Geleis bringen sollte. Ein solcher Mann fand sich in dem »Eisenbahnkönig« Schong Hsüan Huai, einem früheren Mitglied des Kreises um Li Hung Tschang. Als dieser seinen Einzug in Peking gehalten hatte, schienen mit einem Male die alten Zeiten wiedergekommen zu sein. Es kam zu großen Anleihen mit den Vertretern der fremden Banken. Die zentrale Bahn von Hankou nach Kanton, die das ganze Reich von Norden nach Süden durchschneiden sollte, und die Bahn von Hankou nach Setschuan, die als Querlinie von jenem Zentrum aus in die westlichen Gebiete vordringen sollte, waren im Begriff, von diesen Anleihen gebaut zu werden.

      Die Sache hatte nur einen Haken. Der Betrag der nationalen Anleihe, die für den Bau der Bahn zusammengekommen war, sollte wieder zurückgegeben werden. Dabei zeigte es sich, dass bedeutende Veruntreuungen vorgekommen waren und die Geldgeber lange nicht den einbezahlten Betrag zurück erhielten. So gärte es in der Tiefe weiter.

      Dazu kam noch ein anderer Umstand. Schon seit Jahren war eine Revolutionspartei am Werk, die das, was dem Taipingauf­stand misslungen war – die Beseitigung der Mandschudynastie – vollenden wollte. Es waren meist junge Studenten, die in Japan und Amerika moderne und republikanische Ideen in sich aufgenommen hatten. Abermals ein Kantonese Sun Wen (Sun Yat Sen), ursprünglich in einer Missionsanstalt als Arzt ausgebildet, war der Leiter dieser Bewegung. Vom Schicksal auf die mannigfaltigste Weise umhergetrieben, hatte er durch seinen Idealismus und den starken persönlichen Einfluss, der von ihm ausging, namentlich in der Jugend einen großen Anhang gewonnen, und bis zu seinem Tode hat er trotz aller Misserfolge und Rückschläge diesen Einfluss in den Herzen der Jugend nicht verloren. Denn er war der Einzige unter den öffentlichen Männern Chinas, der, wenn er auch nicht immer ganz auf der Höhe seiner Prinzipien stand, doch im Großen und Ganzen eine Idee bis zu seinem Tode vertreten hat. Diese Idee war einmal die nationalistische: China für die Chinesen, nicht für einen Kaiser, am wenigsten für einen aus fremdem Stamm wie die Mandschuherrscher, nicht für die Fremden zur Ausbeutung, sondern frei und selbstständig. Auch innerhalb Chinas sollte nicht ein Teil über den anderen herrschen – bisher hatte doch stets der Norden das Übergewicht gehabt, sondern gleichberechtigt sollten die verschiedenen Provinzen und Stämme einander gegenüberstehen, mit vollem Recht lokaler Selbstverwaltung, nur zusammengeschlossen zu einem Staatenbund, etwa nach amerikanischem Muster. Mit diesen politischen Gedanken verband er auch soziale. Eine Industrialisierung Chinas im großen Stil gehört zu seinem Programm, aber diese Industrialisierung soll so vor sich gehen, dass die Gedanken des Sozialismus dabei voll zu ihrem Recht kommen.

      Diese revolutionären Ideen waren an sich dem chinesischen Wesen ganz fremd. Der nationale Gedanke war in China im Lauf der Geschichte längst überwunden worden. Im Altertum hatte es auf chinesischem Boden auch Nationalstaaten gegeben, die sich aus dem großen Feudalgebilde des heiligen chinesischen Reichs der Tschoudynastie heraus entwickelt hatten. Während der Jahrhunderte der »kämpfenden Reiche«, die der Zusammenfassung Chinas in eine Beamtenmonarchie unter Ts’in Schï Huang Ti (etwa 250 v. Chr.) vorangingen, hatte es nicht an nationaler Gesinnung und nationalen Kämpfen gefehlt. Aber das lag weit zurück. Längst war der Orbis terrarum, die Welt, als höchste Einheit an die Stelle der Nation getreten. Das hatte sich zunächst auch nicht geändert, als Europa in den Gesichtskreis Chinas eintrat. Man hatte von jeher gewusst, dass China nur das Mittelreich war, dass außen herum mehr oder weniger widerspenstige Barbarengebiete und Inseln lagen. Japan war als Seeräubernation schon lange bekannt, nun kamen noch andere dazu. Das war unangenehm, aber nichts Unerhörtes. Erst der Boxerkrieg hat mit diesen Vorstellungen aufgeräumt. Die jungen Studenten hatten entdeckt, dass es außer der alten chinesischen Welt noch eine andere, größere gebe. In dieser Welt war China eben eine Nation unter vielen, eine Nation groß an Gebiet und reich an Menschen, versehen mit fruchtbarem Land und Schätzen des Bodens mehr als irgendeine andere, und doch misshandelt und gequält von allen Seiten, verachtet und beiseite geschoben und an politischem Einfluss noch nicht einmal so mächtig wie die Schweiz. Alle diese Missstände wurden der Regierung zugeschrieben, die in den Händen eines ungebildeten, fremden Volksstammes sich befand, der in trägem Wohlleben am Mark des chinesischen Volkes zehrte. Daher kam jene Hassstimmung unter den jungen Leuten, die sich gleichmäßig gegen die Fremden wie gegen die eigene Regierung richtete. Die chinesischen Christen standen der СКАЧАТЬ