Название: Die Seele Chinas
Автор: Richard Wilhelm
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Kleine historische Reihe
isbn: 9783843800495
isbn:
In der Masse der Bevölkerung dagegen hatten die revolutionären Gedanken zunächst wenig Anklang gefunden. Der gute Bürger hielt sich fern von ihnen. Sie untergruben ja nicht nur die Autorität des Staates, sondern auch der Familie.
Aber die Revolutionäre gingen sehr aktiv vor. Gelegentlich veranstalteten sie lokale Unruhen. Sie fanden immer mehr Anklang bei der studierenden Jugend, auch mancher missvergnügte Beamte, der sich ungerecht behandelt fühlte, neigte im Stillen ihnen zu. Besonders unter dem Militär fanden sie Eingang. Dennoch verhielt sich die Regierung ihnen gegenüber zurückhaltend. Ihre ausgesprochene Fremdenfeindlichkeit war manchem Beamten in der Stille vielleicht gar nicht so unangenehm. Andere wieder wollten sich die Finger nicht verbrennen, da der Terrorismus, den sie ausübten, seinen Eindruck nicht verfehlte. Diese zögernde Haltung der Regierung vermehrte natürlich nur den Mut der Revolutionäre.
Zwei Umstände waren es, die ihnen schließlich in einer Weise, die selbst ein gesteigerter Optimismus nicht voraussehen konnte, Einfluss verschafften. Die Missernten der vorhergehenden Jahre hatten schwere Not über weite Gebiete Chinas gebracht. Missernten sind immer etwas Schlimmes. Die Masse der Bevölkerung, die nur eben existieren kann, wenn alles gut geht, kommt durch Missernten stets in Not. Viele gehen zugrunde. Andere suchen als Räuber ihr Leben zu fristen. Und es entsteht ein Murren gegen den Kaiser, der als Himmelssohn dafür verantwortlich ist, dass das Volk seinen Lebensunterhalt findet.
Das alles wirkte nun zusammen. In Setschuan brach ein Aufstand los. In Wutsch’ang erhob sich das Militär. Ein Offizier, Li Yüan Hung, wurde von seinen Truppen zum Führer der Bewegung erhoben.7 Der Aufstand verbreitete sich wie ein Lauffeuer.8 Die Luft war voll von Revolution, und ihre Gegner verloren die Besinnung. Die kaiserlichen Beamten haben zum größten Teil, soweit sie nicht offen ins revolutionäre Lager übergingen, ihre Stellungen fluchtartig verlassen. Sie wandten sich nach Hongkong, Schanghai, Tientsin und ganz besonders nach Tsingtau: überall dahin, wo sie vor dem Ansturm der Revolutionäre sicher sein konnten. Dieser fluchtartige Rückzug der Großwürdenträger ist eine sehr außerordentliche Erscheinung und ist ihnen von europäischer Seite vielfach als Feigheit ausgelegt worden. In Wirklichkeit lagen die Dinge anders. Ganz ähnlich wie die deutsche Revolution war die chinesische nicht nur ein Sieg der revolutionären Partei, sondern ein Zusammenbruch der Monarchie in sich selbst. Wo von oben her die klaren Direktiven fehlen, ist es den Beamten unmöglich, stark zu sein, weil sie keinen Augenblick sicher sind, wie weit sie in ihren Handlungen von der kopflos gewordenen Zentralregierung überhaupt noch gedeckt werden. Die chinesischen Beamten haben sich während der Revolution zurückgezogen und die konsequenteren unter ihnen verharren bis an ihr Ende in selbstgewählter Verbannung. Aber keiner von ihnen hat Memoiren veröffentlicht.
Allein die Sache der Dynastie war keineswegs verloren. Die Nordtruppen waren im Allgemeinen treu geblieben und begannen auf der ganzen Linie siegreich vorzurücken. Aber das lag nicht im Interesse des stillen Anglers Yüan Schï K’ai, dessen Weizen nun zu reifen begann. Er hatte nämlich bei Hofe seine Beziehungen. Als die Dinge nun gefährlich wurden, trat der alte Prinz K’ing, sein Freund, auf und sagte: »Wir brauchen einen starken Mann, und der einzige, der es kann, ist Yüan Schï K’ai. «
Diese Behauptung blieb nicht unwidersprochen. Man fürchtete sich vor ihm. Aber schließlich wurde er zurückberufen und sollte in Gemeinschaft mit den Generälen, die schon die ersten Waffenerfolge errungen hatten, das Weitere in die Hand nehmen. Er blieb zu Hause. Darauf wurde ihm die militärische Oberleitung im Aufstandsgebiet und der Posten eines Generalgouverneurs übertragen. Er versprach zu kommen. Gleichzeitig nahm er unter der Hand Kontakt mit den Führern des Aufstandes auf. Er wurde nach Peking berufen und zum Chef des neu zu bildenden Kabinetts ernannt. Da kam er.
Mit ein paar energischen Maßregeln brachte er den Norden, wohin die Revolution sich auch auszudehnen begonnen hatte, wieder in seine Hand. Er konstituierte ein Ministerkabinett aus den disparatesten Elementen, das nie zusammen getreten ist. Er berief eine konstituierende Versammlung, nachdem ein Waffenstillstand mit den Revolutionären abgeschlossen war. Diese Versammlung kam nicht zustande, da die Volksregierung ihrerseits in Schanghai tagte. Er rief die siegreich vordringenden Truppen zurück und begann mit der revolutionären Regierung zu verhandeln.
Was jetzt folgt, ist ein überlegenes Ränkespiel, wodurch bewirkt wurde, dass das Mandschuhaus schrittweise zum freiwilligen Verzicht auf den Thron bewogen wurde zugunsten Yüan Schï K’ais, während auf der anderen Seite der neugewählte Präsident der Republik China, Sun Yat Sen, auf den Präsidentenposten verzichtete, ebenfalls zugunsten von Yüan Schï K’ai. Dabei halfen ein englischer Gesandter und ein amerikanischer Missionar lebhaft mit. Denn die Stimmung des Auslandes war schließlich ausschlaggebend gewesen für die Entscheidungen des Hofes. Der Grund für diese Haltung lag darin, dass Yüan Schï K’ai einerseits der typische starke Mann und andererseits ehrgeizig und verräterisch war, so dass er alle Eigenschaften hatte, die dem Europäer die Größe des Staatsmanns auszumachen scheinen. Auf chinesischer Seite wurde er wesentlich anders beurteilt. In China gehört zu einem wirklich großen Staatsmann nicht nur überlegene diplomatische Geschicklichkeit, sondern vor allem eine großzügige, klar erkennbare moralische Persönlichkeit. Dafür war Yüan Schï K’ai zu zweideutig. Er hat, wie ein Chinese damals sagte, die Fahne, die ihm die Mandschudynastie anvertraut hatte und die er hochzuhalten versprochen hatte, weggeworfen mit der Begründung, dass auf diese Weise das Fahnentuch erhalten bleibe.
Yüan Schï K’ai ließ sich nun den Zopf9 abschneiden, hisste die neue fünffarbige10 Flagge der Republik an seinem Palast, und China wurde feierlich zur Republik erklärt. Man muss, wenn man gerecht sein will, zu seinen Gunsten sagen, dass sein Verrat nicht so schwer ins Gewicht fällt, als es scheinen könnte. Der regierende Prinzregent hatte sich wirklich den Dank Yüan Schï K’ais nicht verdient und dass er ihn schließlich im letzten Moment als Retter gesucht hat, geschah nicht aus Vertrauen zu ihm, sondern infolge der gänzlichen Ratlosigkeit. Yüan Schï K’ai hat immerhin »das Fahnentuch gerettet«. Er hat der regierenden Familie ein Otium cum dignitate, einen Ruheaufenthalt mit dem nötigen Einkommen verschafft, das solange ausbezahlt wurde, als die Mittel dazu da waren. Die Witwe des Kaisers Kuanghsü freilich, die von ihrer Tante keineswegs die Klugheit geerbt hatte, hat erst später gemerkt, um was es sich bei ihrem Verzicht auf den Thron eigentlich handelte. Sie hat sich dann tagelang unter heftigem Weinen vom Verkehr mit der Außenwelt abgeschlossen. Die Prinzen haben alle ihre Zustimmung gegeben, außer dem Prinzen Su, der später in Dalny starb, und dem Prinzen Kung, der sich nach Tsingtau zurückzog.
Außerdem muss anerkannt werden, dass Yüan tatsächlich damals der einzige Mann war, der Ordnung schaffen konnte und auch Ordnung geschaffen hat. Freilich hat er seine zuverlässigen Truppen bei Schanghai bei einer zweiten Revolution, die kurz danach ausbrach, dadurch ganz besonders in ihrer Treue gestärkt, dass er ihnen den zehnfachen Betrag der Bestechungsgelder bezahlte, der ihnen von gegnerischer Seite angeboten worden war. Er hat es zeitlebens verstanden, sich Freunde zu schaffen mit dem ungerechten Mammon. Auch Sun Yat Sen hat er durch Ernennung zum Fürsten und ein Monatsgehalt von 30000 Silberdollar mit dem Auftrag, für die Organisation des chinesischen Eisenbahnwesens zu sorgen, für längere Zeit zur Ruhe gesetzt. Seine Kunst bestand nicht weniger darin, dass er diese Gelder richtig verwandte, als darin, dass er sie stets in der nötigen Höhe zur Verfügung hatte. Dabei war er nicht kleinlich. Zu seinen erbittertsten Feinden gehörte Ku Hung Ming. Auf Chinesisch und Englisch hat er ihn in der Öffentlichkeit bekämpft und hat kein gutes Haar an ihm gelassen. Aber Ku Hung Ming gehört ein wenig zu der Gelehrtenbohème. Mit der Fähigkeit begabt, viel Geld auszugeben, hat er es doch verschmäht, auf schmutzige Weise Bestechungsgelder anzunehmen. So kam es, dass er in chronischen Geldnöten lebte. Yüan Schï K’ai hörte davon und ernannte ihn zum Erzieher seines Sohnes mit 500 Dollar Monatsgehalt. Er durfte nach wie vor gegen ihn schimpfen und nichts geschah, um ihm eine gemäßigte Sprache nahezulegen. Aber sein Schimpfen machte keinen Eindruck mehr, seit bekannt war, dass er im Dienste СКАЧАТЬ