Die Seele Chinas. Richard Wilhelm
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Название: Die Seele Chinas

Автор: Richard Wilhelm

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Kleine historische Reihe

isbn: 9783843800495

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СКАЧАТЬ der die Sache mit großer Lebhaftigkeit betrieb, Graf Waldersee zum »Weltmarschall«. Aber die Verhältnisse wurden immer schwieriger. Die verschiedenen Expeditionen siegten zwar dauernd im Land umher, zumal da nirgends ernstliche Feinde standen, denn die Boxer waren nach ihrem Zusammenbruch wieder unter der Masse der Bevölkerung verschwunden. Aber immer ernster wurden die inneren Reibungen der Besatzungsarmee. Namentlich der französische Befehlshaber begann die Befehle des Grafen mit geflissentlicher Offenheit zu missachten. Allerlei Unglücksfälle, wie der Brand des feuerfesten Asbesthauses des Grafen Waldersee, bei dem der unersetzliche York von Wartenberg ums Leben kam, machten die Stimmung noch ungemütlicher und schließlich war man froh, als der greise Li Hung Tschang sich opferte, indem er im Namen der chinesischen Regierung sich an den Verhandlungstisch setzte.

      Der Friede, der dann zustande kam, ist in allem das getreue Vorbild des Diktats von Versailles gewesen. Man hatte die Einzelheiten in Deutschland nur vergessen, sonst hätte man sich über Versailles nicht so sehr verwundert. In China wunderte sich kein Mensch darüber. Ohne dass man Deutschland für schuldig am Weltkrieg hielt, wusste man doch aus eigener Erfahrung, wie die Friedensschlüsse beschaffen sind, die Kulturnationen besiegten Gegnern zu diktieren pflegen. Auch im chinesischen Krieg spielte die Schuldfrage eine Rolle. Obwohl man während der ganzen Expeditionszeit die Fiktion aufrechterhalten hatte, dass man nicht gegen China, sondern nur gegen die Räuber kämpfe, weil sonst der Krieg unmögliche Dimensionen angenommen hätte, so musste nun doch die Regierung sich für alles verantwortlich halten. Statt dass man gemeinsam mit China Maßregeln beraten hätte, die eine Rückkehr ähnlicher Konvulsionen verhüteten, statt dass man daran gegangen wäre, eine Erschließung der ungeahnten Hilfsquellen Chinas durch sachgemäße Untersuchung zu ermöglichen, wobei alle Teile auf ihre Rechnung gekommen wären, begann zunächst ein widerliches Feilschen um die Köpfe von Großwürdenträgern und Prinzen, die man als Sühneopfer brauchte, wobei denn die groteske Situation sich ergab, dass man oft sogar die falschen Köpfe begehrte, Köpfe von Leuten, die sich für Schutz der Fremden und Mäßigung eingesetzt hatten: so schlecht war man informiert. Ungeheure Entschädigungen mussten bezahlt werden, die zu ihrer Amortisation fantastische Zeiträume brauchten und auf unabsehbare Zeit das große Reich unter die Finanzkontrolle der siegreichen Mächte stellten. Ein kaiserlicher Prinz musste persönlich nach Europa kommen, um sich wegen der Ermordung des deutschen Gesandten zu entschuldigen. Ein Ehrentor musste in der großen Hatamenstraße errichtet werden, auf dem in chinesischer und lateinischer Schrift der Frevel an dem deutschen Gesandten und seine Sühne verzeichnet stand – zum ewigen Andenken.

      An der englischen Gesandtschaft aber ließ man ein Stück der von Kugeln durchlöcherten Mauer unberührt stehen und schrieb daran: »Lest we forget!« Diese Worte sind jedoch längst verblasst, und die Mauer ist mit Moos überzogen. Der Weltkrieg hat andere Feinde geschaffen und man ließ nicht nach, bis man China in diesen Krieg der Zivilisation gegen die deutschen Barbaren hineingezogen hatte. Bei der Friedensfeier versuchten betrunkene französische Soldaten den Kettelerbogen umzureißen, was ihnen jedoch misslang. Die chinesische Regierung hat ihn dann an sich genommen. Heute steht er am Eingang des Zentralparks, in dem sich die Jugend Pekings amüsiert und trägt wieder eine lateinische und eine chinesische Inschrift: »Dem Sieg des Rechts«. Man fragt sich im Grunde vergebens, was mit dem Recht gemeint ist, das gesiegt hat. Ist es der Gesandtenmord, der nun nachträglich unter allgemeiner Zustimmung der Alliierten sanktioniert werden soll? Oder sind es die Versprechungen, die man China beim Eintritt in den Krieg gemacht hat und die man bis auf den heutigen Tag nicht zu erfüllen gewillt ist? In Wirklichkeit wäre es im eigentlichen Interesse Chinas, wenn man diese volltönende Inschrift, die von den Tatsachen längst überholt ist, in aller Stille entfernen würde. Aber wie dem auch sei, auch diese Inschrift wird nicht ewig dauern.

      Jene Zeit hatte auch in Schantung kleinere Störungen im Gefolge. Der Bau der Bahn von Tsingtau nach Tsinanfu war begonnen worden. Allein verschiedene Umstände wirkten mit, den Bahnbau in der chinesischen Bevölkerung sehr unbeliebt zu machen. Zum Teil herrschte noch der Aberglaube, der eine Störung der Ahnengeister fürchtete, zum Teil hatte man – wie sich später herausstellte – sehr berechtigte Befürchtungen, dass die Überschwemmungsgefahr für gewisse tiefliegende Landstriche durch den Bahndamm vermehrt werde, zum Teil gab es Missverständnisse zwischen Bahnangestellten und Bevölkerung.

      Kurz, es kam zu Störungen des Bahnbaus, in deren Folge eine militärische Expedition ins Hinterland Tsingtaus nach Kaumi ausgerüstet wurde.

      Hier kam es nun zu äußerst bedauerlichen Konflikten zwischen europäischer und asiatischer Denkweise. Als die deutschen Truppen anrückten, schlossen die Dörfer ihre Tore zu und begannen mit ihren vorsintflutlichen Kanonen in die Luft zu schießen, wie sie das gewohnt waren, wenn Räuber um den Weg waren. Wie erstaunten sie jedoch, als die deutsche Artillerie sich davon nicht erschrecken ließ, sondern wiederschoss, und mit welch vernichtendem Erfolg! Die Frauen und Kinder wollten nun zu einem Seitentor hinaus entfliehen. Aber von deutscher Seite hielt man die Frauen in ihren roten Hosen für Boxer und nahm sie unter Maschinengewehrfeuer. Unterdessen begann auch ein entferntes Dorf seine Böller zu lösen. Die Deutschen zogen ab, um jenes Dorf in Brand zu schießen. Als sie zurückkamen, waren die Boxer, die im ersten Dorf den Widerstand organisiert hatten, entkommen und die eingesessene Bevölkerung hatte die Not des Krieges zu erdulden.

      Ich hörte in Tsingtau von diesen Dingen. Ich war überzeugt, dass es sich um gegenseitige Missverständnisse handle. Und trotz Abreden bedenklicher Freunde entschloss ich mich, in die Gegend zu reisen, um zu versuchen durch Vermittlung Menschenleben zu retten.

      Es gab nun viel zu tun und zu besprechen. Da alle Verhandlungen auf Chinesisch geführt werden mussten, so lernte ich in jenen Wochen ganz von selbst die chinesische Sprache meistern. Besonders aufregend war die Geschichte eines entfernten Dorfes, das der Aufforderung, die Waffen abzuliefern nicht Folge zu leisten gewagt hatte. Schon war ein Strafzug geplant. Mit Mühe erreichte ich Aufschub bis zum nächsten Morgen. Ich ging zum Ortsbeamten und teilte ihm die Lage mit. »Dem dummen Volk, das noch immer nichts gelernt hat, ist nicht zu helfen«, war seine Antwort. Da musste ich ihn recht ernst an seine Verantwortung erinnern. Noch in derselben Nacht wurden reitende Boten abgesandt. Am nächsten Morgen zählte ich mit Aufregung die Stunden. Schon war die Strafabteilung zum Aufbruch fertig. Ich hatte Nachricht, dass die Waffen kommen und konnte sie noch einige Minuten zurückhalten. Endlich verlor der Offizier die Geduld und wollte eben den Befehl zum Abmarsch geben. Da tauchten die Leute auf dem nächsten Hügel auf. Sie hatten ihre Waffen getreulich mitgebracht. Verrostete Schwerter und Donnerbüchsen und ein paar alte Mörser, aus denen man steinerne Kugeln ein paar hundert Meter weit schleudern konnte. Man war aber damals sehr scharf darauf aus, die Entwaffung wirksam durchzuführen.

      Schließlich gelang es mir, die Vertreter aller Dörfer des Kreises zusammenzubringen. Sie hatten ihre Waffen abgeliefert und ich konnte ihnen die Beruhigung geben, dass sie künftig geschont werden sollten. Noch lange hatte ich mit meinen Gehilfen zu tun, die Verwundeten, namentlich Frauen und Kinder, zu verbinden und zu versorgen. Eine rührende Dankbarkeit der Bevölkerung war die Folge. Eine Menge von seidenen Ehrenbehängen wurde mir überreicht, in denen die Leute für ihre Rettung dankten und schließlich wurde mir auf Antrag des Provinzialgouverneurs von der chinesischen Regierung sogar der Rangknopf eines Mandarins verliehen.

      Auf die Boxerzeit folgte eine Zeit sehr starker Gegenströmung. Waren früher die Christen verfolgt worden, so suchten sie sich jetzt an ihren Feinden mit Hilfe der Missionare zu rächen. Ja, gar mancher schloss sich an eine Kirche an, um auf diese Weise einen Prozess, den er mit seinen Nachbarn hatte, wirksam unterstützen zu lassen. Denn wenn es gelang, den Nachbarn als früheren Boxer zur Anzeige zu bringen, so war sehr viel zu hoffen.

      Solche Erfahrungen ließen mich eine ganz neue Missionsmethode für China bevorzugen. In einem Land wie China wird es dem Europäer selten gelingen, die moralische Höhenlage eines Christen, den er taufen soll, vollkommen zu durchschauen. Dennoch übernimmt die Kirche die Verantwortung für ihre Mitglieder und nichts schadet dem Christentum in China mehr als ein zweifelhafter Lebenswandel seiner Bekenner. Denn nicht die Lehre macht den Menschen groß, sondern der Mensch macht die Lehre groß. СКАЧАТЬ