Название: Die Seele Chinas
Автор: Richard Wilhelm
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Kleine historische Reihe
isbn: 9783843800495
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Auf diese Weise haben die europäischen Mächte sehr viel von ihrem Prestige verloren. England, das früher maßgebend in China war, sieht sich immer mehr in den Hintergrund geschoben. Eine Zeitlang trat Amerika sehr stark in den Vordergrund. Amerika hatte nie Landerwerbungen in China erstrebt und hatte häufig eine großzügige und entgegenkommende Haltung namentlich in Geldangelegenheiten gezeigt. Es hatte, ebenso wie China, sich geweigert, den Vertrag von Versailles zu unterschreiben, durch den China als Lohn für seine Teilnahme am Krieg gegen Deutschland zum Verlust der Provinz Schantung verurteilt wurde, die an Japan ausgeliefert werden sollte. Amerika hatte dann die Washington-Konferenz einberufen, um den Frieden der Welt zu befestigen. Diese Konferenz beendete de facto das englisch-japanische Bündnis, indem Amerika und Frankreich in den Verband eintraten, woraus sich dann bald die Kombination England-Amerika gegen Frankreich-Japan ergab. In Washington wurde auch zwischen China und Japan verhandelt, und mit einiger Hilfe von England und Amerika gelang es den Chinesen, das besetzte Tsingtau, die Schantungbahn und die Souveränität in Schantung von Japan wiederzubekommen. Heute befinden sich zwar noch eine Menge Japaner in Schantung, aber ihr gewaltsamer Einfluss ist gebrochen. Langsam, aber sicher bekommen die Chinesen die Zügel wieder in die Hand.
Dennoch blieb der amerikanische Einfluss nicht ungeschwächt. Es waren eben lange nicht alle Hoffnungen erfüllt worden, die Amerika erweckt hatte Die Aufhebung der Konsulargerichtsbarkeit, die in Aussicht genommen war, ist ihrer Verwirklichung noch keinen Schritt näher gekommen. Die Revision der Zollverträge wurde noch immer verschoben. Auch in den mongolischen Fragen und der Frage der südmandschurischen Bahn hat Amerika vollkommen versagt. Überall sah man sich der japanischen Vergewaltigung hilflos preisgegeben.
Dazu kam, dass nach Anschluss der fernöstlichen Republik an Sowjetrussland von Russland aus erneut eine zwar manchmal etwas laute, aber doch geschickte und entgegenkommende Politik getrieben wurde. Karachan kam nach Peking mit der Fiktion des von allen Seiten schwerbedrückten China, das in Russland seinen einzigen guten Freund habe, und nach einigem Poltern, das von chinesischer Seite sehr ruhig aufgenommen wurde, kam ein sehr günstiges russisch-chinesisches Abkommen zustande. China wird durch Russland in absehbarer Zeit nicht bolschewisiert werden, aber es hat durch Russland Rückgrat und Selbstständigkeit gewonnen.
Die Politik Japans machte in den letzten Jahren eine entschiedene Wendung durch. Den Krieg benützte Japan aufs ungenierteste um China zu knebeln und militärisch zu unterwerfen. Selbstverständlich gab es auch damals in Japan vernünftige Leute, die diese Politik missbilligten. Aber sie kamen nicht zu Wort. Die Gelegenheit, dass Japan freie Hand in Ostasien hatte, schien den damaligen Machthabern doch zu günstig. Allein die Lage Japans blieb nicht so vorteilhaft. Zu seinem Unglück siegte im Weltkrieg die Partei, auf deren Seite es gekämpft hatte, viel zu unbedingt für die japanischen Wünsche. Mit einem siegreichen, aber stark geschwächten Deutschland hätte man günstiger abschließen können. Denn das ließ sich trotz aller Bundesgenossenschaft nicht leugnen, dass man das Vertrauen der Alliierten verloren hatte. Es kam dazu, dass sich die Folgen des Krieges schwerer fühlbar machten, als man gedacht hatte. Das sibirische Abenteuer, das als Zug gegen den Bolschewismus von den Alliierten geplant, aber schließlich nur noch von Japan fortgesetzt worden war, musste liquidiert werden. Schließlich kam das Erdbeben dazu, das auf die japanische Mentalität weit tiefer und deprimierender wirkte, als das für europäische Begriffe fassbar ist. Es war in den Augen der Japaner nicht weniger als in denen der Chinesen ein Gottesurteil. So schlug denn in Japan die Stimmung um, besonders da die Verwicklungen mit Amerika und Australien immer ernster wurden. An Stelle der kriegerischen Unterwerfung Chinas fasste man eine friedliche Verständigung ins Auge.
Trotz gelegentlicher Festessen mit diesen Tendenzen ist das japanische Kultur-Liebeswerben in China zunächst auf ziemliche Kühle gestoßen. Es war ein zu ungewohntes Bild: Dieser neue Bruder, der die Friedensschalmei blies. Immerhin ergeben sich neue Perspektiven aus den letzten Ereignissen. Japan hat ja auch versucht, sich aus dem Konflikt von 1925, der durch rohe Behandlung chinesischer Arbeiter allererst entstanden war, rechtzeitig wieder herauszuziehen und England isoliert in der unangenehmen Position, boykottiert zu werden, sitzen zu lassen.
Deutschland nimmt in allen diesen Entwicklungen eine Sonderstellung ein. Es ist vollkommen desinteressiert. Das einzige Interesse besteht in der Förderung und Ausgestaltung wirtschaftlicher und kultureller Beziehungen. Es hat sich entschlossen auf den Boden der Gleichberechtigung gestellt und die Konsulargerichtsbarkeit aufgegeben. Man kann ruhig sagen, dass die gemachten Erfahrungen im Ganzen genommen durchaus nicht unbefriedigend sind. Man erkennt in China die deutsche Wissenschaft und die deutsche Tüchtigkeit an und ist gerne bereit, von beiden bei der Ausgestaltung der Zukunft Gebrauch zu machen. So hat denn die deutsche Politik dank der ruhigzurückhaltenden und überlegenen Persönlichkeit des Gesandten Dr. Boyé in der letzten Zeit entschiedene Fortschritte zu verzeichnen. Selbstverständlich kann man nicht erwarten, dass auf chinesischer Seite ein über die genannten Punkte hinausgehendes Interesse für Deutschland vorhanden wäre. Ein solches Interesse könnte erst in Betracht kommen, wenn die wiederangesponnenen Fäden zwischen Deutschland und China sehr viel fester und zahlreicher geworden sind. Die deutsche Position ist insofern günstig, als sie ein Vorangehen auf einem Weg bedeutet, auf dem die übrigen Mächte früher oder später folgen müssen; denn daran ist kein Zweifel, dass trotz allem entgegengesetzten Anschein China sich als selbstständige und gleichberechtigte Macht durchsetzen wird.
Ehe wir die neueste Phase der politischen Verhältnisse behandeln, müssen wir noch einen Blick werfen auf das, was im Norden von China und in der Mongolei vor sich ging.
Als die bolschewistische Revolution in Russland ausbrach, kam es in Ostsibirien zu Kämpfen zwischen den roten und weißen Russen. Zur Unterstützung der weißen Partei griffen die Alliierten ein, anfangs Amerikaner und Japaner gemeinsam, schließlich blieben die Japaner allein übrig. Sie waren durch die Bluttat von Nikolajewsk, wo sämtliche Japaner von den Bolschewiken getötet worden waren, besonders angereizt worden. Dass sie aber schließlich sich doch zurückziehen mussten, nachdem die roten Russen immer unwiderstehlicher vordrangen und die fernöstliche Republik mit der Hauptstadt Tschita begründeten, die sich später mit Sowjetrussland vereinigte, lag zum großen Teil daran, dass der Bolschewismus auf die japanischen Truppen überzugehen drohte und man in Japan nicht sicher war, was für Konsequenzen sich daraus noch ergeben könnten. Immerhin taten die Japaner alles, was sie konnten, um die weißen Russen wie Koltschak oder Horwart zu stützen, die dort noch kämpften.
Dasselbe geschah mit der Mongolei. Sie hatte sich von China unabhängig gemacht. Die Mongolenhäuptlinge standen der Mandschudynastie nahe und wären auch bereit gewesen, sich an einer Bewegung zu beteiligen, die zu einer Wiedereinsetzung des Mandschus geführt hätte. Aber in jenen Gegenden stand von Weißrussen der Kosakenhäuptling Semionoff mit seinem »Berater«, dem Baron Ungern-Sternberg. Diese versuchten die Mongolen für ihre Zwecke auszunutzen und manövrierten deshalb mit Vertretern der Mandschudynastie, durch die sie die Autorität über die Mongolen zu erlangen hofften – alles unter dem Segen der Japaner. Wie wenig es ihnen dabei aber um die chinesische Sache zu tun war, geht daraus hervor, dass ein Mongolenfürst, der persönlich Fühlung mit den Mandschukreisen nehmen wollte, auf grausame Weise umgebracht wurde. Man schoss ihn samt seinem ganzen Anwesen und allem, was darin war, einfach mit Artillerie in Grund und Boden, so dass nur ein Trümmerhaufen übrig blieb. Nachher entschuldigte man sich den Mandschus gegenüber mit einem Missverständnis, man habe ihn für einen Verräter und Revolutionär gehalten.
Damals sind die chinesischen Truppen der Anfupartei, die in der Mongolei die chinesischen Interessen vertreten wollten, niedergemacht worden. Ungern-Sternberg, der vielleicht weniger grausam war als pathologisch veranlagt, war bedeutender als Semionoff, dessen Gehilfe er anfangs gewesen. Vielleicht gerade infolge seiner pathologischen СКАЧАТЬ