Gesammelte Werke von Joseph Conrad. Джозеф Конрад
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Название: Gesammelte Werke von Joseph Conrad

Автор: Джозеф Конрад

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788027204113

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СКАЧАТЬ zu bringen und ihn Michaelis in Obhut zu geben.

      Schon am nächsten Tag führte er diese Absicht aus. Stevie machte keinen Einwand. Er schien eher erfreut, wenn auch etwas erstaunt. Er ließ seinen kindlichen Blick wiederholt forschend auf Herrn Verlocs wuchtigen Zügen ruhen, besonders dann, wenn seine Schwester ihn eben nicht ansah. Sein Ausdruck war stolz, gelehrig und gespannt, wie der eines kleinen Kindes, dem man zum erstenmal eine Schachtel Zündhölzer anvertraut hat mit der Erlaubnis, Licht zu machen. Und Frau Verloc, entzückt von ihres Bruders Fügsamkeit, empfahl ihm, sich auf dem Lande nicht unnötig die Kleider zu beschmutzen. Daraufhin sah Stevie seine Schwester, Wärterin und Gönnerin mit einem Blick an, in dem zum erstenmal in seinem Leben die kindliche Vertrauensseligkeit zu fehlen schien. Ein Schimmer von Überlegenheit lag darin. Frau Verloc lächelte.

      »Du lieber Gott! Du brauchst nicht beleidigt zu sein. Du weißt ja doch, daß du dich bei jeder Gelegenheit recht schmutzig machst, Stevie.«

      Herr Verloc war bereits einige Schritte vorausgegangen.

      So sah sich Frau Verloc öfter als gewöhnlich allein, nicht nur im Laden, sondern auch im Haus, infolge der Heldentat ihrer Mutter und Stevies Sommerfrische. Denn Herr Verloc mußte seine Gänge machen. Noch länger als sonst war sie an dem Tage allein, an dem der Bombenanschlag in Greenwich Park geschah, denn damals war Herr Verloc frühmorgens weggegangen und erst in der Dämmerung zurückgekehrt. Es machte ihr nichts aus, allein zu sein. Sie hatte auch keine Sehnsucht, auszugehen. Das Wetter war zu schlecht, und der Laden war gemütlicher als die Gasse. Sie saß mit einer Näharbeit hinter dem Ladentisch und sah nicht davon auf, als Herr Verloc unter dem schrillen Klappern der Glocke eintrat. Sie hatte seinen Schritt schon auf dem Pflaster draußen erkannt.

      Sie sah nicht auf. Als aber Herr Verloc schweigend, den Hut in die Stirne gezogen, zur Wohnzimmertür ging, sagte sie heiter:

      »Was für ein abscheulicher Tag. Hast du vielleicht Stevie besucht?«

      »Nein«, antwortete Herr Verloc leise und schlug die Glastür des Wohnzimmers unerwartet heftig hinter sich zu.

      Frau Verloc blieb einige Zeit ruhig sitzen, mit der Arbeit im Schoß, bevor sie diese unter den Ladentisch legte und aufstand, um das Gas anzuzünden. Als dies geschehen war, durchquerte sie auf dem Wege zur Küche das Wohnzimmer. Herr Verloc würde seinen Tee haben wollen. Da sie sich der Macht ihrer Reize voll bewußt war, so erwartete Winnie von ihrem Gatten im täglichen Verkehr ihres ehelichen Lebens keinerlei übertriebene Höflichkeit oder Liebenswürdigkeit; leere und veraltete Formen, heutzutage auch in den höchsten Kreisen aufgegeben, und ihrer eigenen Klasse von jeher fremd. Sie erwartete keine Ritterlichkeiten von ihm. Aber er war ein guter Gatte, und sie achtete seine Rechte gebührend.

      Frau Verloc wollte durch das Wohnzimmer in die Küche gehen, um sich dort ihren häuslichen Pflichten zu widmen, mit der vollendeten Seelenruhe einer Frau, die sich der Macht ihrer Reize bewußt ist. Aber ein leises, ganz leises, klapperndes Geräusch traf ihr Ohr. Sonderbar und unverständlich, nahm es Frau Verlocs Aufmerksamkeit gefangen. Sobald ihr seine Ursache klar wurde, blieb sie erstaunt und betroffen stehen. Sie strich an der Schachtel, die sie in der Hand hielt, ein Zündholz an und entzündete einen der beiden Gasbrenner über dem Wohnzimmertisch, der schadhaft war und darum erst wie erstaunt pfiff und dann wie eine Katze schnurrte.

      Herr Verloc hatte gegen seine sonstige Gewohnheit seinen Überrock abgeworfen. Er lag auf dem Sofa. Sein Hut, den er gleichfalls abgeworfen haben mußte, lag, umgedreht, unter dem Sofa. Er selbst hatte sich einen Stuhl vor den Kamin gezogen, hatte die Füße innerhalb des Gitters gestellt, hielt den Kopf in beiden Händen und beugte sich tief zu der schwachen Glut hinunter. Seine Zähne klapperten mit unwiderstehlicher Heftigkeit, so daß sein gewaltiger Rücken mitzitterte. Frau Verloc war erschreckt.

      »Du bist naß geworden«, sagte sie.

      »Nicht sehr«, brachte Herr Verloc mit einem Schaudern mühsam heraus.

      Mit größter Anstrengung unterdrückte er das Zähneklappern.

      »Du solltest dich in meine Hände geben«, sagte sie ehrlich besorgt.

      »Ich denke nicht daran«, bemerkte Herr Verloc und schnaufte schwer.

      Sicherlich habe er es fertig gebracht, sich zwischen sieben Uhr früh und fünf Uhr nachmittag böse zu erkälten. Frau Verloc sah auf seinen gebeugten Rücken.

      »Wo bist du heute gewesen?« fragte sie.

      »Nirgends«, antwortete Herr Verloc leise. Er sprach durch die Nase, wie erstickt. Seine Stellung deutete auf übelste Laune oder auf schwere Kopfschmerzen. Die Kürze und Unaufrichtigkeit seiner Antwort kam in dem toten Schweigen des Zimmers peinlich zur Geltung. Er schnaufte entschuldigend und verbesserte sich:

      »Ich war auf der Bank.«

      Frau Verloc wurde aufmerksam.

      »Was?« sagte sie gleichmütig. »Wozu denn?«

      Herr Verloc murmelte sichtlich widerwillig, das Gesicht über die Glut gebeugt:

      »Habe das Geld abgehoben.«

      »Was soll das? Alles?«

      »Jawohl, alles.«

      Frau Verloc breitete sorgfältig das kleine Tischtuch aus, nahm zwei Messer und zwei Gabeln aus der Schublade und hielt in ihrem zielbewußten Tun plötzlich inne.

      »Warum hast du das getan?«

      »Werde es vielleicht bald brauchen«, schnaufte Herr Verloc, dessen vorbedachte Offenherzigkeit zu Ende ging.

      »Ich weiß nicht, was du meinst«, sagte seine Frau in ganz nebensächlichem Tone, blieb aber stockstill zwischen Tisch und Anrichte stehen.

      »Du weißt, daß du mir vertrauen kannst«, sagte Herr Verloc in den Kamin hinein, mit bärbeißiger Empfindsamkeit.

      Frau Verloc wandte sich langsam der Anrichte zu und meinte bedächtig:

      »O ja, ich kann dir vertrauen.«

      Und sie nahm ihre Tätigkeit wieder auf, legte zwei Teller auf, holte Brot und Butter, ging ruhig zwischen Tisch und Anrichte hin und her, im stillen Frieden ihres Hauses. Als sie eben die Marmelade herausnehmen wollte, überlegte sie sachgemäß: »Er wird Hunger haben, da er doch den ganzen Tag weg war«, und dabei kehrte sie nochmals zur Anrichte zurück, um den kalten Rindsbraten zu holen. Sie setzte ihn unter den schnurrenden Gashahn, warf ihrem reglosen Gatten, der immer noch das Feuer hütete, einen Blick zu und ging (zwei Stufen) in die Küche hinunter. Erst als sie mit Vorlegemesser und -gabel in der Hand zurückkehrte, sprach sie wieder:

      »Hätte ich dir nicht vertraut, dann hätte ich dich nicht geheiratet.«

      Tief in die Feueröffnung gebeugt, den Kopf in beiden Händen vergraben, saß Herr Verloc wie schlafend da. Winnie machte den Tee und rief dann halblaut:

      »Adolf.«

      Herr Verloc erhob sich sofort und taumelte ein wenig, bevor er sich zu Tisch setzte. Seine Gattin prüfte die Schneide des Vorlegemessers, legte es auf die Platte und machte ihn auf den kalten Rindsbraten aufmerksam. Er beachtete die Anregung nicht und hielt das Kinn auf die Brust gesenkt.

      »Bei Erkältung soll man essen«, bemerkte Frau Verloc lehrhaft.

      Er sah auf und schüttelte den СКАЧАТЬ