Название: Gesammelte Werke von Joseph Conrad
Автор: Джозеф Конрад
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788027204113
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Frau Verloc sah ihn gleichmütig an.
»Kommen Sie vom Festland herüber?« fragte sie nach einer Weile. Der lange, dünne Fremde antwortete nur mit einem schwachen, sonderbaren Lächeln, ohne Frau Verloc ins Gesicht zu sehen.
Frau Verlocs ruhiger Blick haftete ohne Neugier auf ihm.
»Sie verstehen doch Englisch?«
»O ja, ich verstehe Englisch.«
Seine Aussprache klang nicht fremd, nur deutete die langsame Sprechweise darauf hin, daß er sich Mühe nehmen mußte. Und Frau Verloc hatte in reicher Erfahrung festgestellt, daß manche Ausländer besser sprechen als die Eingebornen. Sie sah unverwandt nach der Wohnzimmertür und meinte:
»Denken Sie etwa daran, sich in England ständig niederzulassen?«
Der Fremde zeigte wieder sein stummes Lächeln. Er hatte einen gutmütigen Mund und forschende Augen. Er schüttelte, ein wenig traurig, wie es schien, den Kopf.
»Mein Mann wird Ihnen schon durchhelfen. Unterdessen können Sie für die ersten Tage nichts besseres tun, als bei Herrn Giuliani abzusteigen. Continental Hotel nennt es sich. Privat. Recht ruhig. Mein Mann wird Sie hinführen.«
»Ein guter Gedanke«, sagte der dünne, dunkelhaarige Mann, dessen Blick plötzlich hart geworden war.
»Haben Sie Herrn Verloc schon früher gekannt? Vielleicht in Frankreich?«
»Ich habe von ihm gehört«, gab der Besucher zu, in der langsamen, überlegten Sprechweise, der man doch die höfliche Absicht anmerkte.
Es gab eine Pause. Dann sprach er wieder, doch weit weniger gesucht.
»Ihr Mann ist doch nicht etwa auf die Straße hinausgegangen, um mich zu erwarten?«
»Auf die Straße«, wiederholte Frau Verloc überrascht. »Wie denn? Das Haus hat keinen anderen Ausgang.«
Sie blieb noch einen Augenblick sitzen und erhob sich dann, um durch die Glastür zu spähen. Plötzlich öffnete sie sie und verschwand im Wohnzimmer.
Herr Verloc hatte inzwischen nichts weiter getan als seinen Überrock angelegt. Warum er aber darnach über den Tisch gebeugt stehenblieb, auf beide Arme gestützt, als fühlte er sich schwindlig oder krank, das konnte sie nicht verstehen. »Adolf«, rief sie halblaut; und als er sich aufgerichtet hatte:
»Kennst du den Menschen?«
»Ich habe von ihm gehört«, wisperte Herr Verloc unbehaglich und schoß einen wilden Blick nach der Türe. Frau Verlocs klare, gleichmütige Augen blitzten vor Abscheu.
»Einer von Karl Yundts Freunden! – Ekliger alter Mann!«
»Nein, nein«, wehrte Herr Verloc ab und langte emsig nach seinem Hut. Als er ihn aber unter dem Sofa herausgefischt hatte, hielt er ihn vor sich hin, als wüßte er keinen Hut zu gebrauchen.
»Nun – er wartet auf dich«, meinte Frau Verloc schließlich. »Ich sage, Adolf, es ist doch keiner von den Gesandschaftsleuten, die dir in letzter Zeit zu schaffen gemacht haben?«
»Zu schaffen gemacht – Gesandtschaftsleute«, wiederholte Herr Verloc mit erschrecktem Auffahren. »Wer hat dir etwas von Gesandtschaftsleuten gesagt?«
»Du selbst.«
»Ich, ich! Habe vor dir von Gesandtschaftsleuten gesprochen!«
Herr Verloc schien über alles Maß hinaus bestürzt und erschreckt. Sein Weib erklärte:
»Du hast in letzter Zeit immer im Schlaf gesprochen, Adolf.«
»Was – was habe ich gesagt? Was weißt du?«
»Nicht viel. Es war meistens Unsinn. Ich konnte nur erraten, daß dich irgend etwas bedrückte.«
Herr Verloc stülpte sich den Hut auf den Kopf. Dunkle Zornesröte schoß ihm ins Gesicht.
»Unsinn – wie? Gesandtschaftsleute! Ich könnte ihnen, einem nach dem andern, das Herz aus der Brust reißen. Die sollen nur aufpassen! Ich habe eine Zunge im Kopf.«
Er schritt schnaubend zwischen Tisch und Sofa auf und nieder, wobei sein offner Überrock an allen Ecken hängen blieb. Die Zornesröte verzog sich und ließ sein Gesicht ganz weiß, mit bebenden Nüstern zurück. Frau Verloc, ihrem Leitspruch getreu, führte diese Erscheinungen auf die Erkältung zurück.
»Nun gut,« sagte sie, »schaff dir den Mann, wer immer es auch sei, so schnell wie möglich vom Halse und komm nach Hause, zu mir. Du brauchst ein oder zwei Tage Pflege.«
Herr Verloc zwang sich zur Ruhe und hatte, mit dem Ausdruck der Entschlossenheit auf dem bleichen Gesicht, schon die Tür geöffnet, als seine Frau ihn flüsternd zurückrief:
»Adolf, Adolf.« Er kam überrascht zurück. »Wie ist es mit dem Geld, das du abgehoben hast?« sagte sie, »hast du es in der Tasche? Solltest du nicht lieber –« Herr Verloc blickte stumpfsinnig in die Fläche der Hand, die seine Frau ihm entgegenstreckte, bevor er mit den Brauen zuckte.
»Geld! Natürlich! Ja! Ich wußte nicht, was du meintest.«
Er zog aus der Brusttasche eine neue, schweinslederne Brieftasche. Frau Verloc nahm sie ohne ein Wort in Empfang und blieb stille stehen, bis die Ladenglocke, die hinter Herrn Verloc und seinem Besucher dreingeklappert hatte, zur Ruhe gekommen war. Erst dann sah sie den Betrag nach, indem sie die Noten herauszog. Nach dieser Untersuchung blickte sie sich gedankenvoll um, als mißtraute sie der freundlichen Stille des Hauses. Ihr eheliches Heim schien ihr mit einemmal so einsam und unsicher, als läge es mitten in einem Wald. Kein Behältnis, das ihr in all der behäbigen, dauerhaften Einrichtung einfiel, schien für den Begriff, den sie sich von einem Einbrecher machte, anders als nichtig und geradezu herausfordernd. Ihre Vorstellungskraft begabte diesen Einbrecher mit unmenschlichen Fähigkeiten und wunderbarem Scharfblick. An die Ladenkasse war gar nicht zu denken. An die würde sich ein Dieb zuerst heranmachen. Frau Verloc hakte schnell ihr Kleid über der Brust auf und schob die Brieftasche ins Mieder. Als sie so ihres Gatten Kapital in Sicherheit gebracht hatte, freute sie sich, als die Ladenglocke die Ankunft eines neuen Besuchers anzeigte. Mit dem geraden, selbstsicheren Blick und dem marmornen Ausdruck, die sie für Zufallskunden in Bereitschaft hatte, trat sie hinter den Ladentisch.
Ein Mann stand mitten im Laden und sah sich mit schnellem, kaltem, umfassendem Blick um. Seine Augen liefen über die Wände, prüften die Decke, den Fußboden – alles in einem Augenblick. Die Enden eines langen, blonden Schnurrbarts fielen bis über den Unterkiefer. Er lächelte das Lächeln eines alten, wenn auch entfernten Bekannten, und Frau Verloc erinnerte sich, ihn vorher gesehen zu haben. Kein Kunde. Sie milderte ihren »Kundenblick« zu bloßer Gleichgültigkeit und sah ihn über den Ladentisch weg an.
Er seinerseits trat näher, zwar vertraulich, doch bescheiden.
»Ihr Mann zu Hause?« fragte er in leichtem, unbefangenen Tone.
»Nein, СКАЧАТЬ