Gesammelte Werke von Joseph Conrad. Джозеф Конрад
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Название: Gesammelte Werke von Joseph Conrad

Автор: Джозеф Конрад

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788027204113

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СКАЧАТЬ Ekel bedrückt. Aber Herr Verloc war kein Mann der Ausschweifungen. Seine Führung war einwandfrei. Sein Aussehen mochte von einer fiebrigen Erkältung kommen. Er trank drei Tassen Tee, enthielt sich aber der Nahrung völlig. Er zeigte sogar Widerwillen, als Frau Verloc ihm zuredete, sodaß diese schließlich sagte:

      »Hast du nicht nasse Füße? Du solltest lieber deine Pantoffeln anziehn. Heute abend gehst du ja doch nicht mehr aus.«

      Herr Verloc gab durch verdrießliche Knurrlaute und Zeichen zu verstehen, daß er keine nassen Füße habe und daß es ihm überhaupt gleichgültig sei. Die Anregung bezüglich der Pantoffeln wurde, als außerhalb seiner Absichten liegend, nicht beachtet. Nur die Frage eines nochmaligen Ausgangs fand eine unerwartete Aufnahme. Herr Verloc dachte bestimmt nicht darüber nach, ob er abends ausgehen würde. Seine Gedanken befaßten sich mit weiterreichenden Plänen. Aus übellaunigen, abgerissenen Sätzen ging hervor, daß Herr Verloc die Möglichkeit der Auswanderung ins Auge gefaßt hatte. Es war nicht ganz klar, ob er an Frankreich oder Kalifornien dachte.

      Das war so gänzlich unerwartet, unwahrscheinlich und unbegreiflich, daß es seine Erklärung um alle Wirkung brachte. Frau Verloc sagte, so ruhig, als hätte ihr Gatte ihr mit dem Weltuntergang gedroht:

      »Was für ein Einfall!«

      Herr Verloc erklärte, daß er alles und jedes bis zum Ekel über hätte und außerdem – – Sie unterbrach ihn:

      »Du bist bös erkältet.«

      Es war allerdings offenbar; daß Herr Verloc sich nicht in seinem gewohnten Zustande befand, weder körperlich noch geistig. Eine dumpfe Unentschlossenheit zwang ihn zum Schweigen. Dann murmelte er einige verschwommene Gemeinplätze über zwingende Notwendigkeit.

      »Wir werden es müssen«, wiederholte Winnie, die, mit gekreuzten Armen zurückgelehnt, ihrem Gatten gegenübersaß. »Ich möchte wohl wissen, wer dich zwingen wird? Du bist kein Sklave. Niemand braucht ein Sklave zu sein in diesem Lande – und mach’ du dich nicht selbst dazu.« Sie hielt inne und fuhr dann mit bezwingender Unberührtheit fort:

      »Das Geschäft geht nicht gar so schlecht. Du hast ein gemütliches Heim.«

      Sie blickte im Wohnzimmer herum, von der Anrichte in der Ecke zum guten Feuer im Kamin. Traulich geborgen hinter dem Laden voll zweifelhafter Ware, mit dem geheimnisvoll düsteren Fenster und der verdächtig in das dunkle Gäßchen offenstehenden Türe, war es doch ein ehrbares Heim in allem, was häuslichen Besitz und häusliche Gemütlichkeit anbelangte. Ihre hingebende Liebe vermißte darin nur ihren Bruder Stevie, der nun irgendwo in Kent eine verregnete Sommerfrische genoß, unter der Aufsicht des Herrn Michaelis. Sie vermißte ihn schmerzlich, da sie sich leidenschaftlich als Beschirmerin fühlte. Dies war auch des Jungen Heim; das Dach, die Anrichte, der glimmende Kamin. Bei diesem Gedanken erhob sich Frau Verloc, ging zum anderen Ende des Tisches und sagte aus vollem Herzen:

      »Und du hast mich doch nicht satt?«

      Herr Verloc gab keinen Laut. Winnie lehnte sich von rückwärts über seine Schulter und preßte ihre Lippen auf seine Stirne. So verharrte sie. Kein Flüstern drang von der Außenwelt bis zu ihnen. Der Klang von Schritten draußen auf dem Pflaster verlor sich in der dumpfen, brütenden Stille des Ladens. Nur der Gashahn über dem Tisch schnurrte. So lange die Berührung dieses unerwarteten und lange dauernden Kusses währte, saß Herr Verloc, beide Hände um die Armlehne seines Stuhls gekrallt, in bildhafter Unbeweglichkeit da. Sobald der Druck von ihm genommen wurde, ließ er den Stuhl fahren, erhob sich und stellte sich vor den Kamin. Er wandte nicht länger dem Zimmer den Rücken zu. Mit seinem verschwollenen Gesicht, das nach Vergiftung aussah, folgte er den Bewegungen seiner Frau.

      Frau Verloc ging unbekümmert herum und räumte den Tisch ab. Ihre ruhige Stimme erging sich in Betrachtungen über das angeschlagene Thema. Es hielt keiner Prüfung stand. Sie verurteilte es von jedem Gesichtspunkt aus. Ihre einzige ernstliche Sorge aber war Stevies Wohl. Im Hinblick auf diese Möglichkeit erschien er ihr hinlänglich »eigen«, um nicht einfach mitgenommen zu werden. Das war das einzige. Indem sie aber um diesen Hauptpunkt herumredete, steigerte sie sich in echte Erregung hinein. Unterdessen legte sie mit heftigen Bewegungen eine Schürze an, um das Geschirr abzuwaschen. Und als würde sie vom Klang ihrer eigenen Stimme, die ohne Widerspruch blieb, noch mehr aufgereizt, sagte sie endlich mit beißender Schärfe:

      »Wenn du fortgehst, dann wirst du ohne mich gehen müssen.«

      »Du weißt gut, daß ich das nicht täte«, sagte Herr Verloc heiser, und die klanglose Stimme, die er für den Hausgebrauch zu benützen pflegte, zitterte vor rätselhafter Bewegung.

      Frau Verloc bereute ihre Worte bereits. Sie hatten häßlicher geklungen, als sie es beabsichtigt hatte. Sie waren auch, wie alles Unnötige, unklug. Tatsächlich hatte sie überhaupt nicht gemeint, was sie sagte. Es war ein Satz, den ihr nur der Widerspruchsgeist eingeblasen hatte. Doch kannte sie einen Weg, um alles ungeschehen zu machen.

      Sie wandte ihren Kopf über die Schulter und warf dem Manne, der schwerfällig vor dem Kamin stand, einen Blick aus ihren großen Augen zu, halb schelmisch, halb grausam – einen Blick, dessen die Winnie der Belgravia-Pension unfähig gewesen wäre, wegen ihrer Ehrbarkeit und Unwissenheit. Doch der Mann war ja nun ihr Gatte, und sie war nicht länger unwissend. Sie ließ den Blick eine ganze Sekunde auf ihm ruhen, während ihr ernstes Gesicht reglos wie eine Maske blieb, und sagte dann scherzend:

      »Du könntest es nicht. Ich würde dir zu sehr fehlen.«

      Herr Verloc fuhr auf.

      »Gewiß«, sagte er laut, breitete die Arme aus und trat einen Schritt auf sie zu. Eine ungewisse Wildheit in seinem Ausdruck machte es zweifelhaft, ob er sein Weib zu erdrosseln oder zu umarmen gedachte. Frau Verlocs Aufmerksamkeit aber wurde durch den Klang der Ladenglocke von dieser Gebärde abgelenkt.

      »Laden, Adolf. Geh du.«

      Er hielt an, seine Arme sanken reglos nieder.

      »Geh du,« wiederholte Frau Verloc, »ich habe die Schürze um.«

      Herr Verloc gehorchte hölzern, wie ein Automat mit gemaltem Gesicht. Die Ähnlichkeit mit einer mechanischen Figur ging so weit, daß er sogar den dummen Gesichtsausdruck eines Automaten zeigte, der sich bewußt ist, ein Triebwerk im Leibe zu haben.

      Er schloß die Wohnzimmertür, und Frau Verloc trug mit raschen Bewegungen das Geschirrbrett in die Küche. Sie spülte die Tassen und einiges andere ab, bevor sie einhielt, um zu lauschen. Kein Ton drang zu ihr. Der Kunde blieb lange im Laden. Es war ein Kunde, denn sonst hätte ihn Herr Verloc ins Wohnzimmer geführt. Sie löste hastig die Schürzenbänder, warf die Schürze über einen Stuhl und ging langsam ins Wohnzimmer zurück.

      Im gleichen Augenblick trat Herr Verloc vom Laden aus ein.

      Er war rot hinausgegangen und kehrte nun erschreckend kalkweiß zurück. Sein Gesicht hatte den fiebrigen, rauschigen Glanz verloren und in dieser kurzen Zeitspanne den Ausdruck ratloser Qual angenommen.

      Er ging geradeswegs zum Sofa, blieb dort stehen und sah auf seinen Überrock hinunter, als fürchtete er sich, ihn anzurühren.

      »Was gibt es denn?« fragte Frau Verloc gedämpft. Durch die offene Türe konnte sie sehen, daß der Kunde noch nicht gegangen war.

      »Ich sehe gerade, daß ich heute doch noch ausgehen muß«, sagte Herr Verloc. Doch machte er keinen Versuch, nach seinen Überkleidern zu greifen.

      Ohne ein Wort weiter ging Winnie in den Laden, schloß die Türe hinter sich und trat СКАЧАТЬ