Название: Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke
Автор: Heinrich Zschokke
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
isbn: 9788027214945
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Eine angenehme dunkle Empfindung machte sich nun in mir geltend. Mein bisher vereinsamter Geist ward mit neuen Werkzeugen verbunden, um im Weltall auf's Weltall wirksam zu sein. Ich empfand immer deutlicher, und hörte ein mildes Säuseln, und fühlte eine liebliche Frische mich umströmen Vor mir schwammen goldene, blendende Strahlen und Silbergewölke gaukelten dahin. Ich senkte den verwunderten Blick in das leuchtende, durchsichtige Grün mich umschwebender Zweige, die wie gefärbte Luft im krystallklaren Äther flossen. Und zwischen den Zweigen und Wolken schimmerte Klementine bewegungslos, mit einem Kranze von jungen Blumen ums dunkle Haar, in namenloser Schönheit vor mir.
Sie lächelte mich an. So lächelt nur die Liebe in ihrer Unschuld. Sie nahm den Kranz aus den Locken, und schwang ihn mit der zarten Hand und der Kranz sank auf meine Brust. O du himmlischer Traum, verlaß mich nicht! dachte ich und starrte mit namenlosem Entzücken die schöne Gestalt an. Indem rollte es, wie ein Wagen, herbei. Klementinens Antlitz verfinsterte sich. Man rief ihren Namen. »Leben Sie wohl, Alamontade!« sagte sie und verschwand unter den bebenden Zweigen. In demselben Augenblick wollte ich zu ihren Füßen sinken. Aber ich lag auf dem Erdboden. Ich träumte nicht, denn ich erkannte die Vidourle und das von hohen Kastanien umschattete Landhaus.
Ich richtete mich auf. Ein Wagen donnerte über die Brücke. Ich eilte dahin. Ein alter Diener kam mir entgegen, und fragte, ob ich Erfrischung verlange? Ich bezeugte ihm meine Verwunderung. »Sind Sie nicht Herr Alamontade?« sagte er. Ich bejahte es. »Nun, Fräulein de Sonnes und ihre Frau Mutter haben mir den Befehl hinterlassen!« erwiderte er. Ich ging zurück, nahm Klementinens Kranz vom Boden auf und folgte dem Diener. Klementine war das Fräulein de Sonnes.
Dieser Tag war einer der unvergeßlich schönen meines Lebens.
5.
Ein Dachstübchen im Hinterhause eines der reichsten und glücklichsten Bewohner von Montpellier, des Herrn Bertollon, ward meine Wohnung. Einige Dächer, schwarze Mauern, und zwei Fenster nebst Balkon eines gegenüber stehenden Hauses waren meine dürftige Aussicht. Dennoch war ich glücklich. Umringt von meinen Büchern lebte ich nur den Wissenschaften; Klementinens Kranz hing über meinem Schreibtische. Des Frühlings Blüten-Millionen verloren ihren Glanz neben dem Zauber dieser verwelkten Blumen, und die Juwelen der Könige wogen mir nicht den Wert des leichtesten Citronenblättchens auf.
Klementine war meine Heilige. Ich liebte sie mit einer frommen Ehrfurcht, wie man überirdische Wesen lieben kann. Der hängende Kranz war ein Kleinod, das mir der Engel vom Himmel herab zugeworfen hatte. Ich sah sie im Glanze der Verklärung durch meine Träume schweben. Ihr Name tönte im meinen Liedern. Ich erwartete mit Beben und Sehnsucht die Ferien der hohen Schule, um meinen Oheim Etienne und Nismes, und vielleicht durch irgend einen glücklichen Zufall die geliebte Heilige wieder zu sehen.
Eines Tages öffnete sich die Thür meines einsamen Gemachs. Ein junger, schöner Mann trat herein, das Zimmer zu besichtigen. Es war Herr Bertollon. »Sie haben hier eine traurige Aussicht!« sagte er, und trat ans Fenster. »Doch drüben noch ein Stückchen vom Hause de Sonnes, einem der geschmackvollsten in der Stadt!« setzte er lächelnd hinzu.
Der Name de Sonnes erschütterte mich. Herr Bertollon blieb nachdenkend am Fenster stehen, und schien traurig zu werden. Ich knüpfte ein Gespräch an. Er fragte mich um meine Herkunft, um meine Kenntnisse. »Wie?« sagte er, »Sie spielen die Harfe? Und Sie lieben sie leidenschaftlich, ohne das Instrument zu besitzen?«
»Ich bin zu arm, mein Herr, mir selbst eins zu kaufen. Mein weniges Geld reicht kaum für die notwendigsten Bücher hin.«
»Meine Frau hat zwei Harfen. Sie kann eine schon entbehren!« gab er zur Antwort und verließ mich.
Binnen einer Stunde kam die Harfe. Wie glücklich war ich! Nun dacht' ich an Klementinen und schlug die Saiten. Empfindungen sind sprachlos; für den Gedanken sind die bezeichnenden Worte erfunden; für das Gefühl des Herzens die lieblich klingenden Töne.
Am folgenden Morgen kam der liebenswürdige Bertollon. Ich dankte ihm gerührt. Er fordete mich zum Spielen auf. Ich spielte und dachte an Klementinen. Er lehnte mit der Stirn ans Fenster und starrte trübe hinaus über die Dächer. Meine Seele versank im Gewühl der Harmonieen. Ich bemerkte nicht, daß er sich umwandte und horchend neben mir stand.
»Sie sind ein lieber Zauberer!« rief er, und umarmte mich mit Heftigkeit. »Wir beide müssen Freunde werden!«
Ich war schon der seinige; wir wurden's noch mehr in Zeit von einigen Wochen. Ich mußte ihn bei schönem Wetter auf allen kleinen Lustfahrten begleiten. Er verknüpfte mich mit einer unzähligen Bekanntschaft. Jeder behandelte mich mit Achtung und Auszeichnung. Er war Besitzer einer ansehnlichen Bibliothek, einer reichen Naturalien-Sammlung. Er übertrug mir die Aufsicht, und schien nur dies Mittel gewählt zu haben, meiner Armut durch ein ansehnliches Jahrgehalt für die geringen Bemühungen abhelfen zu können, ohne meine Empfindlichkeit zu kränken.
6.
Während ich so den Musen und der Freundschaft meine Stunden weihte, waren die beiden Fenster und der Balkon des Palastes de Sonnes nicht vergessen. Herr Bertollon hatte mir schon mehrmals ein anderes Zimmer, mit kostbaren Möbeln und einer weiten, schönen Aussicht, für mein Dachstübchen angeboten. Aber nicht gegen sein erstes Prunkzimmer, nicht gegen die Aussicht ins Paradies von Languedoc hätte ich das arme Dachstübchen vertauscht.
Der Zufall – denn Erkundigungen einzuziehen verhinderte mich eine seltsame Schüchternheit – der Zufall lehrte mich, daß die Familie de Sonnes in wenigen Wochen von Nismes zurückkommen würde, und daß sie in tiefer Trauer um Klementinens kürzlich verstorbene Schwester sei. Aber die Familie de Sonnes kam nicht zurück, und kein Zufall belehrte mich des Weiteren. Ich aber schwieg und verbarg der Welt mein liebendes Herz.
Die Ferien der hohen Schule erschienen. Ich flog nach Nismes, in der Hoffnung, dort glücklicher zu werden. Als ich beim Landhause an der Vidourle vorüber kam, blieb ich stehen. Alles war verschlossen, ungeachtet die Felder und Hügel von Schnittern und Winzern wimmelten. Da suchte ich die Wunderstelle unter den Kastanien auf, wo Traum und Wirklichkeit einst so zauberhaft zusammenflossen. Ich warf mich unter den herabhängenden Zweigen auf der Stätte nieder, welche Klementinens Fuß durch seine Berührung einst gleichsam geheiligt hatte. Liebe und Wehmut zogen mich nieder. Ich küßte den geweihten Boden, der damals das Teuerste getragen, was die Welt für mich enthielt. Ach, umsonst harrte ich einer Engelserscheinung entgegen. Ich verließ den schönen Ort, als es schon Abend geworden, und über der verdämmernden Ebene nur noch die Felsengipfel der Sevennen goldrot funkelten.
Herr Etienne und die fromme Mutter, und Marie, Antonie und Susanne, die drei Töchter, empfingen mich mit rührender Freude. Ich sank von Herz an Herz, wortlos und selig, und wußte nicht, von wem ich inniger geliebt wurde, und wen ich am meisten liebte. Ich war Sohn und Bruder in dieser Familie; war in meiner Heimat, und die Freude aller.
»Ja, СКАЧАТЬ