Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke. Heinrich Zschokke
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Название: Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke

Автор: Heinrich Zschokke

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

Серия:

isbn: 9788027214945

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СКАЧАТЬ Inhaltsverzeichnis

      Als Madame Bertollon von ihrem Landhause zurückgekommen war, stellte mich ihr der Gemahl vor.

      »Hier,« sagte er, »ist Alamontade, ein Jüngling, den ich als meinen Freund liebe, und dem ich nichts wünsche, als daß er auch der Ihrige werde, Madame!«

      Man hatte nicht zu viel von ihr gesagt. Sie war sehr schön, kaum zwanzig Jahre alt, und konnte den Malern als Ideal zu Madonnen dienen. Eine angenehme Schüchternheit verschönerte sie umsomehr, je weniger die meisten ihres Geschlechts und Standes in Montpellier auch nur die feine Bescheidenheit kannten, ohne welche die Anmut allen Zauber verliert. Sie sprach wenig, aber gut. Sie schien kalt, aber die Lebhaftigkeit und Klarheit ihrer Blicke verrieten ein gefühlvolles Herz, einen regen Geist. Sie war die Wohlthäterin aller Armen, und die ganze Stadt ehrte sie. Von ihrem Gemahl vernachlässigt, von jungen, schönen Männern aus den ersten Familien angebetet wußte dennoch die Verleumdung keinen Schatten in der Reinheit ihrer Sitten zu entdecken. Sie führte ein fast klösterlich eingezogenes Leben. Ich selbst sah sie nur selten. Erst im letzten Jahre meines Besuchs der Hochschule gab eine Krankheit ihres Mannes Anlaß, daß wir uns öfters in seinem Zimmer beisammen fanden.

      Die zärtliche Besorgnis um die Gesundheit des Herrn Bertollon war in allen ihren Zügen zu lesen. Sie war unaufhörlich um ihn beschäftigt. Sie bereitete ihm die Arzneien; sie las ihm vor, und als die Krankheit auf der entscheidenden Höhe stand, wich sie nicht von seinem Lager; durch anhaltende Nachtwachen zerstörte sie ihre eigene Gesundheit. Herr Bertollon blieb sich, als er genas, in seinem kalten, höflichen Betragen gegen sie gleich. Ihre Güte blieb unerwidert. Sie schien seine Gleichgültigkeit tief zu empfinden und entfernte sich nach und nach in demselben Verhältnis wieder von ihm als seine Gesundheit zunahm.

      Ich hörte inzwischen nicht auf, den Umgang mit Madame Bertollon in öfteren Besuchen fortzusetzen. Ich glaubte zu bemerken, daß sie Vergnügen an der Unterhaltung mit mir fände. Immer war sie die Stille, Duldende, Sanfte,

      »Sie sind Bertollons erster Freund und Vertrauter,« sagte sie einmal, als sie an meinen Arm gelehnt im Garten auf und nieder ging, »ich betrachte Sie auch als meinen Freund und Ihr Charakter giebt mir ein Recht auf Ihre Güte. Reden Sie offenherzig, Alamontade! Sie wissen es: Warum haßt mich Bertollon?«

      »Er haßt Sie nicht, Madame! Er ist voll Hochachtung für Sie. Hassen? Er müßte ein Ungeheuer sein, wenn er das könnte. Nein, er ist ein edler Mensch! Er kann niemanden hassen.«

      »Sie haben wohl recht. Er kann niemanden hassen, weil er niemanden lieben kann. Er gehört weder der ganzen Welt, noch jemanden; die ganze Welt und jeder gehört nur ihm an. Nie hat wohl die Erziehung ein gefühlreicheres Herz und einen talentvolleren Kopf vergiftet als bei ihm.«

      »Sie urteilen vielleicht zu hart, Madame!«

      »O das gebe der Himmel! Ich bitte Sie, bekehren Sie mich!«

      »Ich Sie bekehren? Nicht doch, Madame! Beobachten Sie Ihren Gemahl, und Sie werden Ihre Meinung ändern.«

      »Ihn beobachten? Das that ich stets, und immer blieb er derselbe.«

      »Wenigstens ein guter, liebenswürdiger Mensch.«

      »Liebenswürdig? Er ist's. Er weiß es und bemüht sich, es zu sein; aber leider nicht um andere, sondern nur um sich zu beglücken. Ich kann ihn eben deswegen auch nicht gut nennen, wiewohl er auch nicht schlecht ist.«

      »Gewiß, Madame, verstehe ich Sie nicht ganz! Aber erlauben Sie, daß ich Ihr Vertrauen mit Vertrauen erwidern darf! Nie habe ich zwei Menschen gekannt, die so sehr verdienten, glücklich zu sein, und so sehr geeignet wären, es mit einander zu werden, als Sie und Ihren Gemahl. Und doch stehen beide von einander getrennt da! Gewiß, ich will glauben, in der Welt genug gelebt und gethan zu haben, wenn ich Sie beide mit einander aufs innigste habe verbinden und Ihre entfremdeten Herzen zusammenführen können!«

      »Sie sind sehr gütig. Aber ungeachtet die Hälfte Ihrer Arbeit schon gethan ist, denn mein Herz eilte längst dem seinigen nach, welches vor mir flieht, so fürchte ich doch, wünschen Sie eine Unmöglichkeit. Wenn's aber noch Einem gelingen sollte, so würden Sie der Eine sein. Sie, Alamontade, sind der Erste, dem Bertollon so ganz und gar sich hingiebt, an den er sich so fest klammert! Versuchen Sie es, ändern Sie meines Mannes Denkart!«

      »Sie scherzen! Ihn ändern? Welche Tugend verlangen Sie, die Bertollon noch ausüben soll? Er ist großmütig, bescheiden, der Beschirmer der Unschuld, von immer gleicher Laune, ohne hervorstechende Leidenschaft, gemeinnützig, freundschaftlich.«

      »Sie haben recht, das alles ist er.«

      »Und wie soll ich ihn ändern?«

      »Machen Sie ihn zum bessern Menschen!«

      »Zum bessern Menschen?« erwiderte ich erstaunt und blieb stehen, und sah der schönen Frau mit einer sonderbaren Verlegenheit in die von einer Thräne benetzten Augen. »Ist er denn böse? Ist er lasterhaft?«

      »Das ist Bertollon nicht,« antwortete sie, »aber er ist nicht gut.«

      »Und dennoch, Madame. geben Sie zu, daß er all die schönen Eigenschaften besitzt, die ich vorhin an ihm rühmte? Fordern Sie nicht vielleicht zu viel von einem Sterblichen?«

      »Was Sie an ihm gerühmt haben, Alamontade, habe ich nicht abgeleugnet! Aber es sind nicht seine Eigenschaften, es sind nur seine Werkzeuge. Er thut viel Gutes, aber nicht weil es das Gute ist, sondern weil es ihm vorteilhaft ist. Er ist nicht tugendhaft, sondern klug. Er sieht in allen Handlungen nur das Nützliche und Schädliche, nie das Gute und Böse. Er würde ebenso gern die Hölle als den Himmel zur Erreichung seiner Absichten in Bewegung setzen. Sehen Sie, Alamontade, das ist mein Mann! Er kann mich nicht lieben, denn er liebt nur sich. Mit eherner Beharrlichkeit verfolgt und erreicht er seine Ziele. Er ist der Sohn einer angesehenen Familie, die aber von der Höhe des alten Wohlstandes herabgesunken war. Er wollte reich sein, ward Kaufmann, verschwand in entlegene Gegenden und kam als Herr einer Million zurück. Er wollte seinen Wohlstand durch eine Verbindung mit einem der angesehensten Geschlechter dieser Stadt sichern. Ich ward sein Weib. Er wollte Einfluß auf die öffentlichen Angelegenheiten haben, ohne den Neid zu wecken: er ward volkstümlich und schlug die ersten Ehrenstellen aus. Nichts ist ihm bei seiner Art zu denken unerreichbar. Er kennt keine Heiligkeit. Er überwältigt alles; niemand ist ihm stark genug, weil jeder durch irgend eine Neigung, Leidenschaft oder Meinung schwach ist.«

      Dies Gemälde von Bertollons Denkart erschütterte mich. Ich fand es in allen Zügen dem Urbilde entsprechend. Noch nie hatte sich das alles in mir zur deutlichen Vorstellung erhoben, obschon es dunkel in meiner Empfindung lag. Ich entdeckte die ungeheure Kluft, welche die Herzen beider Gatten trennte, und verzagte daran, sie beseitigen zu können.

      »Aber, Madame,« sagte ich und drückte gerührt die Hand der schönen Unglücklichen, »verzweifeln Sie nicht! Ihre ausdauernde Liebe, Ihre Tugend wird ihn endlich fesseln.«

      »Tugend? O lieber Alamontade, was darf man von einem Manne hoffen, der die Tugend eine Schwäche oder Einseitigkeit des Charakters, oder Sprödigkeit des Sinnes nennt, der die Religion nur für ein Machwerk der Kirche und Erziehung hält, womit die Phantasie der Blöden voll kindischen Eifers ihr Spiel treibt!«

      »Er hat aber doch ein Herz, der Mann!«

      »Er hat ein Herz, aber er hat es nur für sich und nicht für andere. Er will geliebt sein, ohne dafür hingebend zu sein. Ach, und kann man einen solchen lieben? Nein, Alamontade, die Liebe fordert mehr! СКАЧАТЬ