Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke. Heinrich Zschokke
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Название: Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke

Автор: Heinrich Zschokke

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

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isbn: 9788027214945

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СКАЧАТЬ die Grausamkeit und Gewalt der Papisten.

      Herr Etienne war ein heimlicher Protestant, wie mit ihm einige Tausend in Nismes und in den umliegenden Gegenden. Er weihte mich in seinen Glauben ein. Die Protestanten waren arbeitsame, ruhige, wohltätige Bürger, aber der Groll des Volkes und die Wut der Mönche verfolgten die Unglücklichen bis in das Innerste ihrer Wohnungen. Sie lebten in ewiger Furcht, doch diese unterhielt das Feuer der Frömmigkeit um so reger in aller Herzen. Gezwungen und zum Schein besuchten wir die Kirchen der Katholiken, feierten ihre Festtage und hatten die Bilder ihrer Heiligen in unsern Zimmern. Allein weder diese Nachgiebigkeit, noch die werktätige Frömmigkeit der Verfolgten söhnte den Haß ihrer Verfolger aus.

      Schwebend zwischen zweierlei Kirchen, deren eine ich öffentlich, die andere heimlich bekennen mußte, alltäglicher Zeuge des herben Gezänks beider Parteien, und davon, wie Stolz und Haß und Eigennutz mehr als Einsicht und Frömmigkeit unter den Fahnen der kriegenden Kirchen standen, ward ich, ohne es zu wissen, Heuchler und Zweifler an beiden. Die Gründe, mit welchen jede die streitigen Glaubenslehren der anderen angriff, waren durchdachter, feiner und wirksamer, als diejenigen, mit welchen man den angefochtenen Wert verteidigte. Dies erweckte in mir einen Argwohn gegen alle Glaubenssätze, nur die nie angefochtenen behielten mir bleibenden Wert. Doch verbarg ich mein Inneres allen, um nicht allen ein Greuel zu sein.

      So vereinsamte mein Geist früh. In geschäftslosen Stunden war Gott und seine Schöpfung der Gegenstand meiner Betrachtung. Der Wahnsinn der Menschen, mit welchem sie sich um der wechselnden Meinungen willen verfolgten, oder wegen eines Titels ihrer Fürsten bekriegten, war mir schauerlich. Im Alter der blühenden Einbildungskraft konnte ich nicht umhin, mir eine schönere Welt zu schaffen, in welcher Tugend, Recht und Wahrheit sich umarmten, und die Sinnlichkeit ihre lieblichsten Gefühle hinüberpflanzte.

      3.

       Inhaltsverzeichnis

      Die Ruinen des ungeheuren Amphitheaters zu Nismes, des alten prächtigen Denkmals der Römergröße, waren mein Lieblingsaufenthalt. Hier weilte ich gern, aber nie ohne Wehmut.

      Das Hilfeschrei eines weiblichen Geschöpfes hier unter den Schwibbogen schreckte mich eines Abends aus meinen Träumen auf. Es dämmerte bereits in den Hallen. Ich eilte aus dem zweiten Geschoß die Stufen hinunter, und erblickte ein wohlgekleidetes Frauenzimmer in der Gewalt eines gemeinen Kerls. Der Schall meiner Fußtritte verscheuchte den Verbrecher. Er verschwand zwischen den Säulen. Ein junges Mädchen mit zerzaustem Haar saß bebend und außer sich auf einem Marmorblock.

      »Ist Ihnen ein Leid angethan?« fragte ich.

      Sie betastete ihren Kopf. »Es war ein Räuber, mein Herr; er hat mir den Haarschmuck entrissen, einige Steinnadeln von Wert; mehr nicht! Ich bitte Sie, nehmen Sie sich meiner an! Ich bin fremd hier. Neugier entfernte mich von Mutter und Schwester. Sie erwarten mich draußen. Der Mensch sollte mich aus diesen weiten Irrgärten zurückführen, und er führte mich in diese entlegene Gegend.«

      Ich bot ihr meinen Arm. Wir traten ans Licht. O Klementine! . . .

      Sie war eine Blüte von sechzehn Jahren, zart und schön aufgewachsen. Sie schwebte neben mir wie ein Luftbild. Das Liebliche, Frische, Geistige ihres Angesichts war engelhaft, und ihr Blick voller Unschuld und Liebe drang in das Innerste meiner Seele.

      Ich versank in eine angenehme Verwirrung. Nie hatte ich solch ein Gefühl von Bewunderung und Zutrauen, von unaussprechlicher Neigung und Ehrfurcht empfunden. Obgleich einundzwanzig Jahre alt, kannte ich die Liebe nur aus den Gemälden alter Dichter, und nannte sie eine des Mannes unwürdige leidenschaftliche Freundschaft. Ach, sie ist wohl etwas anderes. Liebe ist die Poesie der menschlichen Natur. Das Gefühl der Schönheit veredelt die rohe Sinnlichkeit und erhebt sie zum Berühren des Geistigen; und der tugendhafteste, selbständige Geist vermählt sich unter dem Zauberhauch der Anmut dem Irdischen. So ists wahr, daß die Liebe den Staub vergöttlicht und das Himmlische auf die Erde herableitet.

      »Sie sind fremd?« stammelte ich.

      »Freilich,« antwortete sie, »aber es ist vergebens, daß wir Mutter und Schwester suchen! Wissen Sie das Haus des Herrn Albertas? Dort wohnen wir.«

      Ich führte sie dahin. Wir kamen zum Hause. Man öffnete freudig die Pforte. Die ganze Familie drängte sich herbei, die geliebte Verlorne zu bewillkommnen, welche durch ausgeschickte Diener noch jetzt gesucht ward. Da vernahm ich unter den tausend Liebkosungen den Namen Klementine. Sie dankte mir mit wenigen Worten unter Erröten; desgleichen thaten alle. Ich aber konnte nichts erwidern. Man fragte nach meinem Namen; ich nannte ihn, verbeugte mich und verließ die Gesellschaft.

      4.

       Inhaltsverzeichnis

      Oft war ich im Amphitheater, oft führte mich der Weg durch die Straße von Albertas' Hause. Ich sah sie nicht wieder. Ihr Bild schwebte vor mir, ich irrte umher in meinen Träumen. Ich verlor alle Hoffnung, die schöne Erscheinung je wieder zu sehen, aber nicht meine Sehnsucht.

      Die Zeit erschien, daß ich auf die hohe Schule nach Montpellier gesandt werden sollte. Herr Etienne wiederholte mir seine Wünsche, und beschwor mich, seine Erwartungen nicht zu täuschen. Im Übermaß seines Vertrauens zu meinen jungen Kräften, sah er in mir den künftigen Schutzengel der protestantischen Kirche Frankreichs. Er segnete mich. Die ganze Familie stand beim Abschiede weinend um mich her. Ich versprach, in allen Ferien nach Nismes zu kommen, und ging, vom Schmerz überwältigt, fort.

      Von Nismes bis Montpellier sind acht volle Stunden. Ich wandelte im Schatten der Maulbeerbäume zwischen goldenen Saaten und lachenden Weinbergen die Hügelkette entlang, über welche sich die grauen Sevennen erheben. Aber die Luft glühte und der Boden brannte unter mir. Nach drei Stunden sank ich am Ufer der Vidourle, im Statten eines reinlichen Landhauses und seiner Kastanienbäume, ermüdet nieder.

      Ich sann über meine Vergangenheit und meine Zukunft. Ich berechnete, wie lange ich gelebt hatte, und welch ein Zeitraum mir noch, dem gewöhnlichen Maße nach, zu leben übrig bliebe. Ich fand noch vierzig Jahre, und schauderte zum erstenmale vor der Kürze unserer Tage. Die Eiche bedarf zu ihrer Entwicklung eines Jahrhunderts, und steht in ihrer Kraft noch ein zweites. Und des Menschen Sein so flüchtig! Und warum? Wohin soll er mit der Menge seiner Anlagen? Nicht ein langes, aber ein reiches Leben ist dem Sterblichen von der Natur verliehen. Der Gedanke beruhigte mich. Nun denn, dachte ich, vier Jahrzehnte, und dann stehst du, Vollendeter, wo dein Vater steht.

      Allmählich entschlummerte ich so über diesen Gedanken. Im Traume war ich Greis, mein Gebein schwerer, mein Haar ergraut. Die tausend feinen Öffnungen des äußern Körpers, durch welche er unmerklich Lebenskraft einsaugt und sich von den Elementen nährt, waren schadhaft geworden. Mit dem verschwindenden Zufluß des Lebensstoffes erlahmte die Kraft der Muskeln, und erhärteten und verschlossen sich die zarten Teile allgemach, welche wir seine Werkzeuge heißen. Ich hörte nicht mehr, und bald erlosch auch mein Auge. Indem also die Sinne abstarben, mit welchen der Geist im Irdischen wurzelt, wurden die Gefühle schwächer, alle Vorstellungen matter, und alles, was durch die sonst so geschäftigen Sinne dem Geist zugeführt war, verlor sich. Ich hatte meinen Körper nicht mehr in vollkommener Gewalt, und vergaß die Namen der Dinge und ihren Gebrauch. Menschen fütterten mich und kleideten mich an und aus, und thaten mit mir, wie man mit Kindern thut. Ich konnte noch sprechen, aber die Worte waren mir oft entfallen und ich führte zuweilen Reden. die niemand verstand. Doch dachte ich, und fühlte, wenn gleich ohne allen Harm, daß ich der Erde nicht mehr angehöre. Bald aber dachte ich auch СКАЧАТЬ