Название: Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke
Автор: Heinrich Zschokke
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
isbn: 9788027214945
isbn:
9.
»Und eben darin liegt ihr Himmelreich!« seufzte ich, als ich in meinem Zimmer stand und Klementinens gedachte.
Ich nahm den dürren Kranz herab und hing ihn auf die Harfe. Er war mir bisher das heilige Unterpfand von Klementinens Huld gewesen. Hatte sie nicht selbst ihn auf meine Brust geworfen, die das liebende Herz birgt? Schien sie nicht damals mit eigener Hand dies krönen zu wollen? Wäre es nur kindliche Tändelei gewesen? . . . Ach, hätte es ihr gleich gegolten, ob es eine Dornenkrone oder ein Blütenkranz war, mit dem sie das Herz umzog?
Sie war am Fenster. Ich hob den Kranz empor und hielt ihn gegen meine Lippen. Sie schien ihn zu erkennen. Sie verbarg ein Lächeln und lehnte sich an das Fensterbrett, sah hinab in die Straße und nicht wieder zu mir herüber.
Diese Antwort stürzte mich in eine unaussprechliche Unruhe. Mir war es, als schäme sie sich der Erinnerung, dies Geschenk mir einst gereicht zu haben. Jetzt war es mir plötzlich klar, was ich forderte, was ich hoffte. Ich sehnte mich nach dem Unmöglichen. Nie hatte ich mir Klementinen als Gattin gedacht. Ich liebte sie nur und wünschte von ihr geliebt zu sein. Aber Gattin? Ich, der arme Sohn eines in Schulden verstorbenen Bauers, ich, der noch selbst mit der Dürftigkeit zu kämpfen hatte und nur eine ungewisse Zukunft vor mir hatte . . . ich forderte Montpelliers reichste Erbin? Mein stolzer Mut sank. Ich liebte Klementinen, verzieh es ihr jedoch, wenn sie mich nicht mit Gegenliebe belohnen konnte. Ich sah es ein, daß ich die Verhältnisse des gesellschaftlichen Lebens nicht aufheben könnte, und war im Grunde auch zu stolz, um mein äußeres Glück durch eines Weibes Hand zu machen.
Eifriger lag ich fortan den Wissenschaften ob. Ich wollte mir durch eigene Kraft den Weg zu Klementinens Höhe bahnen. Nächte durchwachte ich unter meinen Büchern. Ich wollte das unbefangene Urteil der Kenner über meine Anlagen hören, und ließ doch ohne Namensnennung ein Werk über die Rechtspflege der älteren Nationen und zugleich eine Sammlung von Gedichten drucken, von denen mir die geheime Liebe einen bedeutenden Teil in die Feder diktierte. Die Veröffentlichung meiner Arbeiten ward von unerwartet glücklichem Erfolg begleitet. Der laute Beifall erhob mein Selbstgefühl. Die Neugier enthüllte bald den Namen des Verfassers, und dieser erntete überall Lob. Das Gelingen meiner ersten Versuche zündete der Hoffnung erloschene Fackel wieder an, unter deren Licht ich, wenn auch in dämmernder Ferne, Klementinen als die meinige erblickte. Sie selbst lohnte mich am schönsten. Als mein Name schon bekannter geworden, las sie am Fenster einst in meinen Liedern. Auch ohne des Verfassers Namen zu wissen, konnte sie ihn ja aus hundert Zügen, die nur sie verstand, am leichtesten erraten. Sie sah herüber, lächelte und legte das Buch an ihre Brust, als wollte sie mir zu verstehen geben: Ich hab' es lieb, und was Du darin sprachst, hast Du zu dieser Brust gesprochen, und sie empfindet es und ist voll stillen Dankes.
Ich nahm noch einmal den verdorrten Kranz, den ich so oft besungen. Sie lächelte. verbeugte sich und sah nicht mehr herüber.
Niemand aber war entzückter durch den mir gezollten Beifall, als mein Freund Bertollon. Er schloß sich immer inniger und vertraulicher mir an. Wir betrachteten uns als Brüder. Er gab sich mir ganz hin und bewies in tausend Dingen, daß er auch ein Herz für andere habe. Er ließ keinen Tag entfliehen, ohne eine gute That verrichtet zu haben. Ich selbst erfuhr nur immer durch Zufall bald diese, bald jene seiner schönen Handlungen.
O, Bertollon! rief ich einst, indem ich ihn mit Heftigkeit an mich drückte, welch ein Mensch bist Du! Warum muß ich Dich ebenso beklagen, als bewundern!
Du thust in beidem zu viel, denn ich verdiene weder das eine, noch das andere, antwortete er mit freundlichem Lächeln.
Nein, Bertollon, das ist das Beklagenswerte, daß Du gut und tugendhaft bist, ohne es sein zu wollen! Du nennst die Tugend Schwärmerei und Einseitigkeit, und doch übst Du unaufhörlich ihre Vorschriften.
Gut, Alamontade, sei damit zufrieden! Warum mühst Du Dich doch immer an meiner Bekehrung ab? Sobald Du älter wirst, seh' ich Dich in meinen Fußtapfen. Für jetzt sei wenigstens duldsam! Vielleicht ist es dasselbe Kind unter verschiedenen Namen.
Ich zweifle. Könntest Du Dich freiwillig ins Elend stürzen, Bertollon, um die gerechte Sache zu erhalten?
Was nennst Du gerechte Sache? Deine Begriffe sind nicht klar.
Wenn Du Montpellier durch eigene Aufopferung vom Untergange erretten könntest, wärest Du fähig, lebenslängliche Armut oder selbst den Tod dafür zu leiden?
Höre. Colas, Du schwärmst wieder! Nur Schwärmer können solche Opfer fordern und bringen. Und es ist gut, daß es dergleichen in der Welt giebt. Aber komm' doch einmal zur Besonnenheit! Es thut mir leid um Dich, daß Du immer den Grillen nachhängst. Du wirst auf diese Weise nie glücklich. Lauf' durch die ganze Welt und suche die Thoren zusammen, die für Deine Begriffe in den Tod gehen wollen; Du findest unter hundert Millionen nicht einen. Alles ist unter gewissen Verhältnissen wahr, gut, nützlich, gerecht, schön. Die Begriffe der Menschen sind überall verschieden. Wie viele haben gemeint, mit ihrem Tode die Welt zu retten! Sie starben für ihre Vorstellungsart und nicht für die Welt, und wurden hinterher als Narren ausgelacht.
Ich könnte um dieser Worte willen Dich hassen, Bertollon!
Dann wärest Du nach Deinen Begriffen nicht allzu tugendhaft.
Wenn Du Deinen Reichtum dadurch vergrößern könntest, daß Du mich ins Verderben stießest, würdest Du mich ins Verderben stoßen?
Für eine solche Frage sollte ich Dich hassen, Colas!
Und doch konnte ich sie thun. Du strebst ja nur, wie Du sagst, immer nach dem, was Dir nützlich ist. Du wägest ja die Güte der Thaten nur immer nach der Güte des Erfolgs.
Lieber Colas, ich seh' es schon, Du wirst ein schlechter Advokat werden und wenig Schätze sammeln, wenn Du nur immer die nach Deinem Begriffe gute Sache und nie die ungerechte verteidigen willst, insofern Du Dir Vorteil dabei verschaffen könntest!
Ich schwöre es Dir, Bertollon, ich würde mich lebenslang verabscheuen, wenn ich einmal meine Lippen zur Anklage der Unschuld und zum Schutz des Verbrechens rührte!
Und doch, Du gutherziges Närrchen, wirst Du es mehr als einmal thun, weil Du nicht immer der Menschen Schuld und Unschuld auf ihrer Stirn geschrieben findest! Geh! Du wirst der Welt Narr, wenn Du nicht ihre Wege einschlagen kannst.
So stritten wir oft miteinander. Ich ward zuweilen an ihm irre. Ich hätte ihn fürchten können, wenn er mir seine widerwärtigen Meinungen nicht immer so scherzend gesagt hätte, als wenn er sie selbst nicht hege. Er wollte mich nur gern in Harnisch bringen; und wenn's ihm gelungen war, lachte er herzlich. Seine Thaten aber sprachen gegen seine Worte.
Madame Bertollon hingegen enthüllte täglich mehr die schöne Gesinnung, welche sie beseelte. Sie glühte für die Tugend, welche sie mit religiösem Eifer übte. Ich ward ihr Tischgenosse. Nie mangelte uns Stoff zur Unterhaltung. Einsam verlebte ich mit ihr die langen Winterabende. Sie lernte von mir die Harfe spielen. Bald konnte ich ihren reizenden Gesang mit meinem Saitenspiel begleiten. Sie sang meine Lieder mit tiefem Gefühl. Sie war bezaubernd. Ihre Schönheit würde mir gefährlich geworden sein, hätte mein Herz nicht an Klementine gehangen. Wenn ich von ihr mit Entzücken zu Bertollon sprach, lächelte er. Wenn ich ihm Vorwürfe machte, daß СКАЧАТЬ