Название: Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke
Автор: Heinrich Zschokke
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
isbn: 9788027214945
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«Was versichert?»rief Sarah unwillig.
«Wie ich sage,» versetzte der Primarius: «hat er Sie denn nicht wegen des Testamentes bedroht?»
«Er? Mich bedroht?»
«Nun, Tante, lassen Sie sich auch von diesem Weltkinde gar nicht schrecken, das nur nach eitlem Mammon gelüstet. Er schwor zwar, daß, wenn Sie ihm nicht den größten Teil Ihres Vermögens vermachen würden, er Ihr Testament umstoßen wolle; und namentlich bedrohte er mich mit einem Prozeß von zwanzig Jahren und hieß mich einen Erbschleicher. Aber der Herr wolle ihm die Sünde nicht behalten; er weiß nicht, was er redet. Aber umstoßen will er Ihr Testament.»
«Umstoßen? Der?»
«Allerdings. Ich machte ihm zwar Vorstellungen in christlicher Liebe. Allein er sagte: Er betrachte Ihr Hab und Gut schon als sein Eigentum, das er durch die Prozesse redlich gewonnen, die er zu Ihrem Besten geführt. Ohne seinen Beistand hätten Sie, trotz allem Wucher, heut keinen Gulden mehr, und säßen im Armenhaus! Sagte er mir. Ich schlug an mein Herz und seufzte zum Himmel: Der Menschen Dichten und Trachten ist sündlich von Jugend auf!»
«Und Ihre Leichenpredigt dazu, Vetter!» schrie die Tante erbost, und gab ihm das Zeichen, sie zu verlassen.
Kaum war er fort, meldete sich der Professor der Philosophie. Nach den ersten philosophischen Leidbezeugungen sprach er von Seelengröße; dann von einen Krankensüppchen, das er in seiner Küche nach einem ganz neuen Rezept für sie bereiten lasse, und damit wollte er den Übergang auf seine Liebe machen, die er ihr tätiger, als irgend einer, bis zum Tode bewiesen habe. – – Allein die Tante, welche vor Gift und Galle kaum reden konnte, unterbrach ihn kreischend: «Herr Vetter, sparen Sie ihre Krankensuppen nur zum Leichenschmause nach meinem Tode auf.» Er wollte sein Erstaunen bezeugen (wiewohl ihm doch das rote Gesicht noch röter ward vor Scham und Wut, daß man seinen Scherz verraten hatte). Doch alles umsonst. Sarah wies ihm endlich ziemlich unphilosophisch die Tür.
Abermals ein blaues Wunder.
So hatten es alle vier Fakultäten mit der Jungfrau im Grund und Boden verdorben. Die Neffen waren in Verzweiflung, mit Ausnahme des Doktor Falk. Er lachte dazu. Sein Suschen aber keineswegs. Suschen machte ihrem Manne noch am andern Tage viele Vorwürfe, wiewohl sie anfangs über seinen unbesonnenen Einfall selbst hatte lachen müssen. Er nahm sie in den Arm und küßte ihr den Mund zu und sagte:«Du hast recht. Ich hätte der tugendbelobten Jungfrau nicht so Arges sagen sollen; aber wahrhaftig, ich wußte gestern nicht, wo mir der Kopf stand, als ich dich verließ.»
«Ich würde nichts dagegen haben, lieb Männchen, wenn ich nicht überzeugt wäre, die Tante werde lebenslänglich unversöhnlich sein. Denn so etwas verzeiht keine Jungfrau. Und das ist schlimm für uns, zumal jetzt. Der Winter währt noch lang; ich heize den Ofen so schwach, daß den ganzen Tag die Fenster nicht auftauen, und doch steht unser Holzvorrat an der Neige. Du weißt es ja selbst. Und in der Kasse haben wir – sieh' nur her!» Sie klimperte ihm mit einigen Geldstücken im leeren Beutel dicht vor den Ohren.
Da ward an die Tür gepocht. Sarah's alte Magd trat herein, brachte einen versiegelten Zettel und die dringende Bitte der Tante, daß sich der Herr Doktor unfehlbar nach dem Essen mit dem Glockenschlag ein Uhr bei ihr einfinden möge. Sie liege im Bette, doch scheine sie etwas besser zu sein als gestern.
«Gut. Ich komme!» sagte Falk, nahm den Zettel und entließ die Magd. Er wog den Zettel in der Hand, schüttelte lächelnd den Kopf und sagte: «Fühle doch Suschen, das ist ja schwer wie Blei!» Er öffnete. In eine Spielkarte eingeklemmt, blitzten ihm zehn neue, schön geränderte Dukaten entgegen. Er betrachtete die Adresse. Sie war an den Doktor Falk und an keinen andern Menschen auf Erden. Solche unerhörte Freigebigkeit der Jungfrau Sarah erregte die gerechte Verwunderung des Ehepaars. «Das ist das blaueste von allen blauen Wundern der Tante!» rief Falk: «Nun, Herz, mein Herz, seit wann hatten wir solchen Schatz im Hause? Siehe, die Vorsehung wacht für uns und unsere Kinder. Wir sind für den Winter geborgen. Alle Not hat ein Ende. Warum weinst du doch?»
«Ach!» schluchzte Suschen, und fiel ihrem Manne um den Hals: «vor Freuden wein ich. Aber,» setzte sie leise hinzu, «ich habe auch die ganze Nacht gebetet, denn schlafen konnt ich doch nicht viel.»
Da schlug Falk beide Arme um die Geliebte und sagte nichts; und weinte heimlich. Denn seine Rührungen zeigte er ihr nicht gern.
Das blaueste von allen.
Mit dem Glockenschlag ein Uhr stand er vor dem Bette der Tante. Er nahm mit innerer Bewegung, voller Dankbarkeit ihre Hand – er hatte es Suschen gelobt –, küßte diese wohltätige Hand und sagte: «Beste Tante, Ihr Geschenk hat mich und Suschen sehr glücklich gemacht.»
«Lieber Vetter,» sagte die Kranke holdselig, denn ein Kuß auf die Hand war ihr lange nicht widerfahren, «ich bin schon seit Jahr und Tag ihre Schuldnerin.»
«Und verzeihen Sie meine gestrige Unart!» fuhr der Doktor fort.
Die Tante bedeckte sich schamhaft das Gesicht mit Hand und Schnupftuch. Nach einer Weile sagte sie, ohne ihn anzusehen: «Vetter, ich setze mein ganzes Vertrauen in Sie – mein Leben hängt von Ihnen ab. Können Sie schweigen? Wollen Sie?»
Falk versprach alles. Sie beruhigte sich damit noch nicht. Sie gelobte ihm ihr ganzes Vermögen, wenn er reinen Mund hielte. Er tat den feierlichsten Schwur.
«Ich weiß, ihr beiden jungen Leute seid oft in Not und Mangel. Ich will mich zu Euch in die Kost geben, denn meine alte Magd, die mir so lange treu gedient» – hier fing sie laut an zu schluchzen –, «muß ich doch abschaffen. So lange Sie aber mein Geheimnis verschweigen, geb' ich Ihnen jährlich tausend Gulden Kostgeld, und sollt' ich einst sterben, mein ganzes Vermögen.»
Der Doktor fiel auf die Kniee und schwor.
«Aber Sie müssen außer der Stadt wohnen; denn in der Stadt bleib ich nicht. Ich trete Ihnen erb- und eigentümlich mein großes Haus vor dem Tore nebst Garten und Gütern ab. – Sie wissen mein Haus neben dem großen Gasthof zur Schlacht von Abukir, das ich vor einem halben Jahre von meiner Mutter Bruder, dem Akzisedirektor, erbte.»
Der Doktor schwor mit einer hochaufgestreckten Hand: er wolle, trotz Winterfrost und Schnee, folgenden Tages hinausziehen.
«Ich will, so lange Sie schweigen, Vetter, Ihnen mein Kostgeld halbjährlich vorausbezahlen; und für die ersten Einrichtungen für Sie und mich liegen im Wandschränkchen dort hinter der Tür vier Rollen mit Neuentalern.»
Der Doktor streckte beide Hände und alle fünf Finger in die Luft und schwor Verschwiegenheit bis ins Grab, dachte aber bei sich: die glaubt gewiß, der jüngste Tag oder das tausendjährige Reich sei vor der Tür, daß sie sich so schnell bekehrt. Nach allem diesem aber kam Sarah nie zum Bekennen des großen Geheimnisses. Und so oft sie versuchte anzufangen, starb ihr das Wort auf den Lippen, indem sie das Gesicht verbarg und schluchzte. – Dies Anfangen und Abbrechen und Jammern währte ziemlich lange. Der Doktor stand auf, setzte sich vor das Bett, wischte mit dem Rockärmel seine Knie, nahm eine Prise und dachte: wenn man einen Brunnen endlich trocken pumpen kann, werden doch die СКАЧАТЬ