Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke. Heinrich Zschokke
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Название: Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke

Автор: Heinrich Zschokke

Издательство: Bookwire

Жанр: Документальная литература

Серия:

isbn: 9788027214945

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СКАЧАТЬ Er nahm Stock und Hut.

      «Ei du gerechter Himmel!» kreischte Jungfrau Sarah Waldhorn, daß man's in den benachbarten drei Gassen ohne Mühe bis ins dritte und vierte Stockwerk hören konnte: «Ei, du gerechter Himmel, das wäre mir doch ein blaues Wunder!»

      Als der Doktor diese lebhaften Töne des jungfräulichen Waldhorns hörte, überlief es ihn eiskalt. Er besann sich, daß er in Unmut und halber Zerstreuung eine Albernheit ohnegleichen ausgestoßen hatte; aber eine Albernheit, die keine züchtige Jungfrau verzeiht; zumal eine Jungfrau, die ihre mühsame Würde siegreich den fünfziger Jahren entgegenführte, die keinem andern Mädchen auch nur einen Blick, einen Händedruck im Pfänderspiel verziehen hätte; die aus lauter Heiligkeit zusammengesetzt – genug, eine Jungfrau, wie eben Jungfrau Sarah Waldhorn war.

      «Ich will das Wetter austoben lassen und mein Heil in der Flucht suchen, eh die ganze liebe Nachbarschaft zusammenströmt!» dachte Falk, öffnete behend die Tür und rannte davon.

      Krankenbesuche.

       Inhaltsverzeichnis

      Diesmal hätte er schier auf der Gasse seinen eigenen Schwager, den berühmten Advokaten Zange, über den Haufen geworfen, wenn Herr Zange, langbeinig, hoch, breit, vierschrötig wie er war, nicht als ein echter Goliath seinen Mann gestanden hätte. So lief's zum Glück für beide mit einem blauen Fleck an den Rippen ab, indem sie zusammenrannten.

      «Holla! Herr Bruder!» rief der Advokat, indem er sein breites fleischiges Gesicht schmerzhaft verzog: «Wären Sie nicht mein leibhaftiger Schwager: für den mörderischen Überfall auf offener Straße hing ich Ihnen einen verdammten Prozeß an den Hals. Wenn Sie mir eine Rippe kassiert haben, müssen Sie sie mir unentgeltlich reparieren, und ich verlange nichts, als das Schmerzensgeld von Ihnen.»

      «Tut mir leid, bitt' um Verzeihung!»stammelte der Doktor und wollte davon. Der Advokat hielt ihn beim Arm: «Woher denn, Doktorchen, wohin so eilig? Woher?»

      «Von der Tante Waldhorn. Sie ist sterbenskrank!»erwiderte der Doktor.

      «Sterbenskrank, Herr Bruder? Sterbenskrank? Gott befohlen, auf Wiedersehen, Herr Bruder!» rief der Advokat und steuerte mit großen Schritten dem Hause der Tante zu.

      «Wenn der Doktor selbst bekennt, sie sei sterbenskrank,» murmelte Herr Zange unterwegs für sich: «so ist's richtig. Sie fährt ab. Es kann nicht fehlen. Wenn sie nur nicht schon von Sinnen ist, daß sie kein Testament mehr machen kann. Wer weiß, hat der Philosoph sich nicht schon seine Braten und Pasteten bei ihr bezahlt gemacht, oder der Pastor Primarius ihre Seele weggeschnappt. Nun die gönn ich ihm wohl, läßt er mir nur das Geld.»

      Er trat atemlos zur Tante ins Zimmer. Die Magd war eben beschäftigt, der Kranken ein Riechfläschchen unter die Nase zu halten. Wirklich sah die arme Sarah einer Sterbenden ziemlich ähnlich, denn sie hatte sich nur kaum von einer Anwandlung von Ohnmacht erholt, von der sie nach der Flucht des Doktors überfallen war. Herr Zange legte sogleich die Falten seines Gesichts zum Ausdruck des tiefsten Schmerzes zusammen, und seine Atemlosigkeit kam ihm dabei gut zustatten. Er schien vor Schrecken und Wehmut nicht reden zu können. Aber sein Herz hüpfte vor Freuden, denn er fand ja die Tante noch aufrecht genug zum Testament, und bei dem allem zum seligen Ende ziemlich fertig. «Jetzt,» dachte er, «jetzt oder nie muß das Eisen geschmiedet werden. Wollen sehen, ob wir nicht den Professor mit seinen Braten und den Pastor mit seinem Himmelreich durch einen erlaubten Pfiff aus dem Sattel heben können.»

      Sobald Sarah fähig war, wieder in Unterhaltung zu treten, fing er diese mit einer Schilderung seines Schmerzes an, die Tante – die liebe Herzenstante, – den Engel von Tante so schwach zu sehen. Nach diesem riet er ihr, statt des Doktors Falk einen andern Arzt zu nehmen.

      «Warum das?» fragte Sarah.

      «Sehen Sie, er ist ein armer Teufel – hofft vielleicht zu erben und gibt sich zur Rettung Ihres teuern Lebens nicht alle Mühe, die wohl nötig wäre. Menschen sind schwach. Besser ein neutraler Mann, als einer, der Partei nimmt. Und das begreifen Sie: ein Doktor, der zugleich Erbe ist, der ist Richter in eigener Sache.»

      Die Tante schüttelte den Kopf.

      «Ich will eigentlich nichts gegen ihn sagen!» fuhr Herr Zange fort, den das Kopfschütteln hoch erfreute, weil er daraus schloß, der Doktor sei nicht Richter in eigener Sache, weil er nicht zu erben bestimmt sei: «Gar nichts, liebste, himmlische Tante! Er ist sonst ein ganz guter Kauz. Aber die andern da haben mich argwöhnisch gemacht, der Pastor und der Professor . . . pfui, es sind Unmenschen, sich auf jemandes Absterben zu freuen, um des bißchen Geldes willen.»

      «Auf mein Absterben?« fragte die Tante mit dem vielkläglichen Blick einer Weltverlassenen.

      «Ich hab's schon längst bemerkt; es hat mich schon längst geärgert; doch wollt ich der guten Tante keinen Verdruß machen!» fuhr der Advokat eifriger fort, als er seine Sache auf gutem Wege sah.

      «Aber ist's auch wahr?» fragte die Tante, welche neben ihrer ungeheuern Leichtgläubigkeit für alle üble Nachreden, doch zuweilen Zweifel in diejenigen setzte, die ihre Person selbst betrafen.

      «Wahr? Und wenn ich ein Lügner wäre vom Morgen bis zum Abend: gegen Sie, Tante, hab ich nie zu lügen ein Herz gehabt, am wenigsten in diesen Augenblicken. Eigentlich sind es aber nur alberne Reden von den beiden Vettern.»

      «Alberne Reden? Was? Albern heißt das bloß?»

      «Nun ja. Zum Beispiel, der Primarius sagte noch neulich: die Leichenpredigt hab ich schon seit zehn Jahren auf die Tante fertig; aber Tante habe ein zähes Leben, und die Predigt werde ihm von den Würmern verzehrt.»

      «Ei, gerechter Himmel, das hätt ich dem Pastor nie zugetraut. Aber das weiß ich, ein Erzheuchler ist er doch neben seiner Kopfhängerei.»

      Darauf sagte der Professor: «Es kömmt auf die Hinterlassenschaft an. Ist sie danach, so geb ich am Begräbnistage einen Leichenschmaus von den leckersten Schüsseln, und lasse ein Dutzend Zapfen vom schönsten Champagner springen.»

      «Ei, da muß ich mein blaues Wunder hören!» schrie Sarah: «Wartet nur mit euern Zapfen und Predigten! Ich bin noch lange nicht zum Sterben. Ihr sollt euch die Augen wischen.»

      Die letzten Worte erschreckten den hoffnungsvollen Herrn Zange eben so sehr, als ihn die ersten entzückten. Er tastete zwar auf ihr seliges Ende lange herum; sehr behutsam, sehr zart; aber vergebens. Sie versicherte gar nicht behutsam, gar nicht zart, daß sie noch einige Dutzend Jährchen in diesem irdischen Jammertal Lust habe, ihr Kreuz zu tragen. Von Testamentmachen dürfte gar keine Rede sein. Der Advokat, untröstlich und verzweiflungsvoll, lief endlich davon.

      Bald nach ihm kam der Pastor Primarius Waldhorn, von Schweiß triefend, atemlos. Die Tante, vor Ärger in einem wahren Fieber, hatte sich zu Bett begeben. Als sie den Primarius sah, wandte sie das Gesicht weg und mochte ihm, eingedenk seiner Leichenrede, nur nicht den Gruß erwidern. Der Geistliche wurde dadurch noch mehr überzeugt, die Tante sei den letzten Zügen nahe, und fing ohne weitere Umstände ein kräftiges Gebet an, das endlich ganz unvermerkt in die Nutzanwendung überging: Mensch, bestelle dein Haus, denn du mußt sterben! – Unter Hausbestellung verstand er aber – ein Testament.

      «Es ist noch nicht so weit!» schrie ihn Sarah mit jener hellgellenden Stimme an, die der Familie Waldhorn erb- und eigen ist.

      «Aber der Herr Vetter Zange hat mich's СКАЧАТЬ