Название: Ausgewählte Werke von Heinrich Zschokke
Автор: Heinrich Zschokke
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
isbn: 9788027214945
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Polly hat wieder ihre vorige gute Laune angenommen. Sie sucht wieder ihren Traum von der Bischofsmütze hervor und belustigt uns damit. Sie zählt beinahe allzu abergläubig auf das Neujahrsgeschenk des Schicksals. Ich habe wohl zuweilen an den Traum gedacht, aber ich glaube nicht daran.
Sobald der neue Vikar, mein Nachfolger, in Crekelade angekommen sein wird und er in die Geschäfte eintreten kann, übergebe ich ihm meine Pfarrbücher und mache mich auf den Weg, mir ein anderes Brot zu suchen. Inzwischen schreibe ich heute nach Salisbury und Warminster an ein paar alte Bekannte, daß sie trachten, meine Töchter als Köchinnen oder Näherinnen oder Stubenmädchen in achtbaren Familien unterzubringen. Jenny wäre auch eine gute Erzieherin für kleine Kinder.
In Crekelade lasse ich meine Töchter nicht; der Ort ist arm; die Leute sind hier unfreundlich, stolz und haben eine widerliche kleinstädtische Art. Man spricht jetzt von nichts anderem als dem neuen Vikar. Einige bedauern, daß ich fort muß; ich weiß nicht wem es von Herzen geht.
Am 29. Dezember.
Ich habe heute an den Herrn Bischof von Salisbury geschrieben, und ihm meine traurige, hilflose Lage, die Verlassenheit meiner Kinder und meine vieljährigen, treuen Dienste im Weinberge des Herrn lebhaft dargestellt. Er soll ein menschenfreundlicher, frommer Mann sein. Gott regiere sein Gemüt! Unter den dreihundert und vier Kirchspielen der Landschaft Wildshire sollte doch wohl endlich noch ein kleines Winkelchen für mich zu finden sein! Ich verlange ja nicht viel.
Am 30. Dezember.
Die Bischofsmütze aus Pollys Traum muß bald erscheinen, sonst muß ich ins Gefängnis wandern. Nun, sehe ich wohl, ist das Gefängnis unvermeidlich.
Ich bin halb ohnmächtig und strenge mich umsonst an, wieder den alten Heldenmut zu gewinnen. Selbst zu inbrünstigem Gebet fehlt mir's an Kraft; der Schreck ist zu groß.
Ja, das Gefängnis ist unausweichbar! Ich will es mir recht oft sagen, damit ich mich an meine Aussicht gewöhne.
Der Allbarmherzige erbarme sich meiner lieben Kinder! Ich mag es, ich kann es ihnen nicht sagen.
Vielleicht hilft mir noch ein früher Tod von der Schmach. Ich fühle mein Gebein zermalmt; es ist Fieberfrost in meinen Gliedern; ich kann nicht schreiben vor Zittern.
Einige Stunden nachher.
Nun bin ich schon gefaßter. Ich wollte mich in den Arm Gottes werfen und beten, aber mir ward nicht wohl; ich legte mich aufs Bett. Ich glaube, ich habe geschlafen; vielleicht bin ich auch ohnmächtig gewesen. Es sind seitdem drei Stunden vergangen. Die Töchter haben meine Füße mit Kissen bedeckt. Ich bin am Körper matt, aber mein Herz ist doch wieder frisch. Alles, was geschehen ist, was ich gehört habe, schwebt mir vor wie ein Traum.
Also der Fuhrmann Brook hat sich doch erhenkt. Der Herr Alderman Fieldson ließ mich rufen und gab mir die Botschaft. Er hat ein amtliches Schreiben erhalten nebst der Anzeige von meiner Bürgschaft, und daß Brook eine ungeheure Schuldenmenge hinterlassen habe. Er erinnerte mich, darauf zu denken, dem Tuchhändler Withiel zu Trowbridge wegen der hundert Pfund Sterling Genüge zu leisten.
Herr Fieldson hatte wohl Ursache, mich aufrichtig wegen dieses unerwarteten Ereignisses zu bedauern. Großer Gott! Hundert Pfund Sterling! Wie soll ich die aufbringen? Wenn man mir und meinen Kindern alle Habe nimmt, ist sie beim Verkauf keine hundert Schilling wert.
Brook galt sonst für einen rechtschaffenen und sehr reichen Mann. Ich dachte nicht, daß es so mit ihm enden würde. Das Vermögen meiner Frau verschwand während ihrer langwierigen Krankheit; mußte ich doch zuletzt die Äcker, die sie zu Bradford geerbt hatte, unter dem Preise verkaufen. Jetzt bin ich ein Bettler. Ach könnte ich nur noch ein freier Bettler sein.
Ich muß in's Gefängnis wandern, wenn Herr Withiel nicht großmütig ist. An Zahlung ist nicht zu denken. –
An demselben Tage abends.
Ich schäme mich meiner Schwachheit.
In Ohnmacht fallen! Verzweifeln! Pfui! . . . Und doch an eine Vorsehung glauben und ein Priester Gottes sein! Pfui, Thomas!
Doch nun habe ich alles wieder gut gemacht und gethan, was ich sollte. Den Brief an Herrn Withiel zu Trowbridge habe ich auf die Post getragen. Ich habe ihm mein Unvermögen, die eingegangenen Bürgschaftsverpflichtungen zu erfüllen, ehrlich angezeigt, und daß ihm freistehe, mich in den Schuldturm führen zu lassen. Hat der Mann menschliches Gefühl, so wird er Mitleid fühlen, wo nicht, so lasse ich mich hinschleppen, wohin er will.
Als ich von der Post kam, stellte ich den Mut meiner Kinder auf die Probe. Ich wollte sie auf das Böseste vorbereiten. Ach, die Mädchen dachten männlicher als der Mann und christlich-größer als der Priester!
Ich erzählte ihnen von Brooks Tode, von meiner Bürgschaft, von den möglichen Folgen derselben. Beide hörten mir ernst und ängstlich zu.
»In's Gefängnis?« sagte Jenny leise weinend und nahm mich in ihre Arme. »Ach, du guter armer Vater! . . . Nichts hast Du verbrochen und mußt so Vieles dulden. Aber ich gehe nach Trowbridge; ich werfe mich zu Withiels Füßen, ich stehe nicht auf, bis er Dich freispricht.«
»Nein,« rief Polly schluchzend, »thu' es nicht! Kaufleute sind Kaufleute; sie lassen für Deine Thränen von der Schuld des Vaters keinen Farthing nach. Ich gehe zum Tuchhändler und verdinge mich ihm auf Lebenszeit bei Wasser und Brot zur wahren Leibeigenen, bis ich durch meine Arbeit die Schuld des Vaters abgethau habe.«
Unter solchen Plänen wurden beide allmälich ruhiger, aber sie sahen endlich auch das Eitle ihrer Hoffnungen ein. Zuletzt sagte Jenny: »Wozu doch alle diese fruchtlosen Entwürfe? Erwarten wir die Antwort des Herrn Withiel. Will er grausam sein, so sei er's; Gott ist ja auch im Gefängnisse. Vater! geh' Du in's Gefängnis; vielleicht hast Du es da besser als jetzt mit uns in dem Elend unseres Lebens. Geh', denn du gehst ohne Schuld! Schande ist dabei für Dich nicht; wir beide aber verdingen uns als Mägde und mit unserm Lohn wollen wir Dir alle Bequemlichkeiten verschaffen. Zuletzt schäme ich mich auch des Bettelns nicht. Für einen Vater zu betteln ist etwas Heiliges und Schönes. Von Zeit zu Zeit kommen wir und besuchen Dich; Du sollst gut verpflegt werden. Wir wollen uns nicht mehr fürchten.«
»Jenny, Du hast Recht!« sagte Polly. »Wer sich fürchtet, glaubt an keinen Gott. Ich fürchte mich nicht; ich will recht froh sein, so froh, wie ich's, getrennt vom Vater und von Dir, sein kann.«
Solche Reden erhoben mein Herz. Fleetmann hatte beim Abschiede Recht, als er sagte, ich hätte zwei Engel des Herrn zur Seite.
Am Sylvestertage.
Das Jahr ist geendet. Ich danke dem Himmel, es war mit Ausnahme einiger Stürme ein herrliches, ein freudenreiches Jahr! Zwar hatten wir oft kaum zu essen, doch wurden wir satt. Zwar kamen zu meinem elenden Gehalte oft bittere Sorgen, allein die Sorgen sogar machten ihre Freuden. Nun freilich habe ich kaum so viel Vermögen, um mir und meinen Kindern das Leben noch ein halbes Jahr lang zu fristen; allein wie viele Menschen haben nicht so viel und wissen nicht, wovon den nächsten Tag leben! Meine Stelle habe ich freilich verloren, bin in meinen alten Tagen ohne Amt und Brot . . . es ist möglich, daß ich künftiges Jahr im Gefängnisse wohnen muß, getrennt von meinen guten Töchtern . . . aber Jenny hat Recht, Gott wohnt auch im Gefängnisse! Einem reinen Gewissen ist selbst in der Hölle keine Hölle und schlechten Seelen ist selbst im Himmel kein Himmel. Ich bin sehr glücklich.
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